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"Frau Merkel wartet, Frau Merkel zögert"

Angesichts sinkender Umfragewerte für die Union ist der Politologe Gero Neugebauer der Ansicht, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe sich zu sehr auf die Mitte im Parteienspektrum konzentriert. Die Union habe viele Gesichter: Die Partei wirke gleichzeitig konservativ, katholisch, wirtschaftsnah und sozialdemokratisch. Merkel stehe zischen all den Positionen in der Mitte, doch die Mitte "ist oft hohl".

Gero Neugebauer im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Wie gut ist die CDU/CSU? Wie gut kommt sie bei den Wählern an? Wie gut ist dabei auch die Kanzlerin? Eine Alltagsfrage, die jeden Monat gestellt wird, einschließlich der traditionellen, der berühmten Sonntagsfrage. Diesmal allerdings läuten die Alarmglocken. Auf gerade mal 32 Prozent kommen die Unionsparteien beim aktuellen Deutschlandtrend der ARD. Das ist so etwas wie ein historischer Tiefstand. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Berliner Parteienforscher Gero Neugebauer. Guten Tag!

    Gero Neugebauer: Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Neugebauer, ist die CDU so schlecht, weil sie gar keine CDU mehr ist?

    Neugebauer: Die CDU ist ja erst mal immer in den Umfragen doppelgesichtig, die CDU auf der einen Seite, die CSU auf der anderen Seite. Aber beide haben Probleme. Insofern kann man sie ruhig zusammenfassen. Die CDU ist, denke ich, aus sehr verschiedenen Gründen zurzeit in einem schlechten Licht, aber grundsätzlich wird es so sein, dass sie ihre Anhänger nicht ausreichend mobilisieren kann, damit die in den Umfragen dann auch für die Partei stimmen. Also insofern schlechte Mobilisierung; das hat Gründe, die können in der Person der Parteichefin liegen, die auch Kanzlerin ist, das kann in der Art und Weise liegen, wie Politik geregelt wird, das kann auch daran liegen, dass Leute sagen, Nebensächlichkeiten wie der Fall Steinbach werden auf einmal zu Hauptproblemen hochstilisiert, während die Hauptprobleme nicht mehr vorkommen.

    Müller: Herr Neugebauer, meine Frage zielte ja darauf hin: Hat die CDU oder auch die CSU - aber bleiben wir bei der CDU, bei der größeren Partei der beiden Schwesterparteien - nicht mehr genügend Profil, um klar zu machen, es lohnt sich, uns zu wählen?

    Neugebauer: Richtig. Die Union hat viele Profile. Sie hat ein konservatives Profil, sie hat ein katholisches Profil, sie hat ein Modernisiererprofil, sie hat ein Profil, das durch Personen bestimmt wird - nennen wir es mal etwas kantig in Hessen durch Herrn Koch, etwas sehr wirtschaftsnah durch Herrn Oettinger, etwas sozialistischer fast gesagt durch Herrn Rüttgers. Was stellt die Union dar? Und da ist Frau Merkel in der Mitte, die versucht natürlich dann, der Union ein Profil zu geben, aber die Mitte, Herr Müller, ist oft hohl und wenn man sie füllen will, wird das mit beliebigen Sachen getan und das hilft nicht zur Profilbildung.

    Müller: Das Wort "hohl" fällt Ihnen jetzt bei der Bundeskanzlerin ein. Nein?

    Neugebauer: Nein, das fällt mir ein bei Mitte.

    Müller: Das heißt, es geht gar nicht um die Mitte?

    Neugebauer: Doch. Es geht Frau Merkel um die Mitte. Es geht Frau Merkel darum, dass sie die Wahl am 27. September gewinnen will, und für sie stellt sich die Situation so dar, dass es eine Reihe von SPD-Anhängern gibt, die aber bei ihrer Wahlorientierung durchaus nicht für die SPD stimmen müssten. Die könnten auch für die Union stimmen, wenn die Union, sprich Frau Merkel, sozialdemokratisches Ideengut repräsentiert und auch durch die Schwäche der SPD dann eher geeignet scheint, bestimmte sozialdemokratische Orientierungen durchzusetzen - zum Beispiel in der Familienpolitik. Dann muss Frau Merkel eine Position in der Mitte einnehmen, und in der Mitte steht man und kann dann von allen Seiten beworfen werden, aber man muss nach allen Seiten ein unterschiedliches Profil zeigen, und das ist das Problem von Frau Merkel.

    Müller: Haben Sie denn den Eindruck, dass Frau Merkel Position bezieht?

    Neugebauer: Frau Merkel wartet, Frau Merkel zögert, Frau Merkel hat eine Eigenschaft, die ihr allerdings zugute kommt: Sie kann warten, bis sie sagt, jetzt muss sie, jetzt müsste sie was tun. Da fehlt es ihr aber doch immer auch an genügend Entschlossenheit und so entsteht manchmal eben der Eindruck, sie regiert so wie es kommt.

    Müller: Wenn wir jetzt über die Sympathie beziehungsweise über den Rückhalt tatsächlich der Parteien reden, also noch einmal der CDU, lassen einmal die Regierungsverantwortung, die ja auch etwas für sich hat, bei Seite. Tut die Kanzlerin der CDU gut?

    Neugebauer: Die Kanzlerin tut der CDU deshalb gut, weil sie die Macht repräsentiert und weil sie angesichts auch der Rivalen in der Union bisher der Union den Eindruck vermitteln kann, dass sie die Person ist, die die Union erfolgreich in die Wahl 2009 führt. Aber sie tut ihr nicht gut, weil die Parteienpräferenzen im bürgerlichen Lager so aussehen, dass sich ungefähr zwei Fünftel der Unionsanhänger auch vorstellen könnten, FDP zu wählen. Das sind immerhin rund 15 Prozent der gesamten Wählerschaft. Das ist nicht unerheblich und wenn diese Anhängerschaft meint, sie wähle dann doch lieber FDP als Union, gehen der Union die Stimmen verloren. Eine Koalitionsaussage zu Gunsten der Union hat der FDP geholfen; eine Koalitionsaussage der Union zu Gunsten der FDP kann der Union bei den Wählern schaden, die geneigt wären, vielleicht mit sozialdemokratischer Orientierung doch CDU zu wählen, die aber die FDP nicht mögen. Das ist eine schwierige Situation für Frau Merkel.

    Müller: Eine andere Frage, Herr Neugebauer, die immer wieder diskutiert wird. Viele fragen danach. Wir haben das ganz bewusst auch in unserem zusammenfassenden Bericht gleich an den Anfang gestellt. Die Krise ist natürlich das thematische Thema, was ganz oben steht, das Hauptthema, der Schwerpunkt. Warum profitiert ausgerechnet die FDP von dieser Krise?

    Neugebauer: Die FDP profitiert in dieser Krise, weil sie einmal politisch gesehen Aussagen macht, die einer Reihe von CDU/CSU-Anhängern wirklich sympathisch sind - zum Beispiel Wirtschaftsorientierung, zum Beispiel Staatsferne im Wirtschaftsbetrieb -, die dafür sagen, Unternehmen sind verantwortlich für das, was geschieht. Es ist nicht das Programm der FDP, es ist nicht die Person Westerwelle, die diese Wähler geneigt macht, es ist ihre Orientierung, und das sind vor allen Dingen jene Wähler, die koalitionspolitisch denken, und die sagen, ich könnte CDU wählen, aber ich kann auch FDP wählen, und bei solchen Umfragen sagen, jetzt entscheide ich mich mal für die FDP. Vielleicht wollen sie da auch der CDU ein Signal geben.

    Müller: Ist das in irgendeiner Form noch erwähnenswert, dass Herr Steinmeier inzwischen populärer ist als Frau Merkel?

    Neugebauer: Das wird Herrn Steinmeier freuen. Das wird die SPD in dem falschen Glauben wiegen, er könne mit seiner Popularität die Partei etwas mehr nach oben reißen, an die 30-Prozent-plus-Grenze führen. Ich würde zu diesem Zeitpunkt auf die Umfragen nicht so sehr viel geben, weil wir methodische Probleme haben, aber wir hätten auch möglicherweise Hinweise nötig auf das Entscheidungsverhalten der Wähler. Die sind scheu wie ein Reh; heute diese, morgen jene Partei. Wenn das zunimmt und sich zum Ende der Amtsperiode dieser Koalition auch noch steigern wird, dann werden die Ergebnisse von heute nicht das widerspiegeln, was im September 2009 abläuft.

    Müller: Demnach, Herr Neugebauer, ganz klar für Sie: Steinmeier ist besser als die SPD?

    Neugebauer: Ja, im Ansehen zumindest. Die Partei wird noch einiges aufholen müssen.

    Müller: Gero Neugebauer, Politikwissenschaftler aus Berlin. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Neugebauer: Auf Wiederhören!