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Roxane Gay: „Schwierige Frauen“
Frauen, die an die Decke starren

Roxane Gay gehört zu den prominentesten feministischen Stimmen der USA. In ihrem neuen Buch „Schwierige Frauen“ vereint sie 21 sehr unterschiedliche Geschichten rund um die Themen Feminismus, Rassismus und Klassismus.

Von Shirin Sojitrawalla | 22.11.2021
Buchcover Roxane Gay: „Schwierige Frauen“
Roxane Gay: „Schwierige Frauen“ (Buchcover: btb Verlag, Hintergrund: Gerda Bergs)
Gewidmet ist das Buch „schwierigen Frauen, die gefeiert werden sollten, weil sie so sind, wie sie sind.“ Das ist so allgemein formuliert, dass sich alle mitgemeint fühlen dürfen. Die Geschichten des Bandes erzählen von Frauen, die in schwierigen Situationen sind oder in solche hineingeraten. Die Verursacher dieser Schwierigkeiten sind naturgemäß meist männlichen Geschlechts.
In der Auftaktgeschichte „Ich werde dir folgen“ ist es ein Mr. Peter, der sich an zwei Teenager-Schwestern vergeht, sie vergewaltigt, foltert, quält. Roxane Gay erzählt aus der erwachsenen Perspektive einer der beiden Schwestern von den Spätfolgen dieses Missbrauchs. Es ist eine brutale Geschichte, auch wenn Gay uns Einzelheiten erspart. Auf rund zwanzig Seiten schildert sie in schlackenfreien Sätzen das Elend der einstigen Mädchen und heutigen Frauen. Wie so oft in diesem Buch geht das nicht ohne klirrende Grausamkeit vonstatten. Das hat zur Folge, dass man nicht mehr als drei dieser Geschichten am Stück lesen und dazwischen den Kopf in einen Blumenstrauß stecken möchte.

Fachfrau für Feminismus und Körper

Längst gilt Gay als Fachfrau für die Themen Feminismus, Körperbilder und Missbrauch. Ihr Buch „Bad Feminist“ versammelte ganz unterschiedliche Essays zum Thema Frauenbewegung und in „Hunger“ erzählte sie die Geschichte ihres Körpers, samt Vergewaltigung und Essstörung. Alles im strahlenden Tonfall cooler Urbanität.
Ihre jetzt von Anne Spielmann ins Deutsche übersetzten Stories, erstveröffentlicht in Zeitungen und Anthologien, erschienen im Original schon vor vier Jahren. Wie in ihren zwei bisherigen Büchern nimmt Gay auch diesmal kein Blatt vor den Mund, prahlt vielmehr gern ein bisschen mit ihrer ungeschönten Vulgarität. So wenn sie in der Titelstory „Schwierige Frauen“ schreibt:
„Zu wem eine unmoralische Frau aufsieht.

Nie zu ihrer Mutter. Sie versucht, ihre Mutter zu töten oder wenigstens diejenigen Teile ihrer Mutter, die unter ihrer Haut lauern. Wenn sie die Beine breitmacht, hofft sie, dass sich der Abstand zwischen ihr und ihrer Mutter noch vergrößert. Sie tut das, weil sie sich an zu vieles erinnert; sie hat zu viel gesehen – ihre Mutter, blass und zerbrechlich, eingeschüchtert durch das Fleisch ihres Vaters, seinen fleischigen Körper, seine fleischigen Forderungen.“
Sätze dieser Art gibt es am laufenden Band, gespreizte Beine und zu Fleisch erstarrte Leiber. Die Frauen stammen oft aus prekären Verhältnissen, aber keineswegs immer. So oder so liegen sie oft im Bett und starren an die Decke, die wahlweise schimmelig, feucht oder leer ist.

Spielarten des Sex

Wie sich überhaupt weite Teile der Geschichten in Betten abspielen. Dort ringen leichte Mädchen, Hausfrauen, aufmüpfige Frauen, harte Jungs, Stripperinnen und viele andere mehr um Haltung. Spielarten des Sex führt der Band eher en passant und lustlos vor: tröstender Sex, seelsorgerischer, verstörender, gemeiner, unfreiwilliger, gewalttätiger. Die Frauen erleiden, ertragen und ersehnen ihn, manchmal auch alles auf einmal.
Das Wörtchen „ficken“ fällt gefühlt in jeder Geschichte. Doch Gays Frauen haben mehr drauf, sind nicht nur kaputt, sondern auch abgeklärt. So wie die Ich-Erzählerin in der Story „Knochendichte“, die hier ihre Ehe schildert:
„Unsere Beziehung ist so: Sie stellt ein schreckliches Klischee dar. Er ist dieser typische Professor, der stürmische, aber verschwiegene Affären mit Forschungsassistentinnen und Studentinnen hat, und ab und zu lernt er auch Frauen in Hotelbars kennen. Er weiß, dass ich es weiß. Ich weiß, dass er weiß, dass ich es weiß. Es ist eine interessante Gleichung. Aber wir tun so, als wären wir beide loyal und treu. Die Lüge passt uns in den Kram, und ich weigere mich, die Rolle der unzufriedenen, eifersüchtigen Ehefrau zu spielen. Ich bin nicht unzufrieden. Ich weiß, wen ich geheiratet habe. Und ich habe meine eigenen Geheimnisse.“

Wenig Raum für Ambivalenzen

In einer der bewegendsten Geschichten mit dem Titel „Ganz und gar zerbrechen“ verliert ein Paar sein einziges Kind. Ein Thema, das immer mal wieder im Buch auftaucht. Die Leere breitet sich danach in der Ehe des Paares aus wie eine Pfütze Brackwasser. Gay schildert das gleichzeitig lapidar und dringlich. An einer Stelle sagt die Mutter „Wir waren verkommen und verdreckt vor Trauer“. Ein toller Satz: kurz und klar.
Für Ambivalenzen gibt es nicht viel Raum, entweder schwarz oder weiß, heiß oder kalt. Manches wirkt stereotyp, anderes unheimlich echt. „Wenn man es lang genug erträgt kann man sich an fast alles gewöhnen“, schreibt Gay. Davon erzählen ihre Geschichten im Kern. Mal auf faszinierend grelle Weise, mal märchenhaft allegorisch, mal plump. Immer aber: hart und wahr.
Roxane Gay: „Schwierige Frauen. Stories"
Aus dem Amerikanischen von Anne Spielmann
btb Verlag, München. 317 Seiten, 20 Euro.