Montag, 18. März 2024

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Frauen im Hinduismus
"Hundert Söhne sollst du haben"

In Indien gibt es Konzernchefinnen und Top-Politikerinnen, zugleich werden Witwen verstoßen und Vergewaltigungen geduldet. Nur Mütter von Söhnen bekommen Respekt, kinderlose Frauen werden verachtet. Wer für Emanzipation streitet, darf die Familie nicht kritisieren.

Von Margarete Blümel | 08.08.2018
    Eine junge indische Braut steht während einer Massenhochzeit zwischen anderen Frauen und Männern.
    Eine indische Braut während einer Massenhochzeit (AFP / Sam Panthaky)
    Als Prinz Rama von seinem Vater für vierzehn Jahre ins Exil geschickt wird, will er seine Ehefrau Sita in der Heimat zurücklassen. Sita aber kann Rama davon überzeugen, sie mitzunehmen. Denn der Ehemann, sagt sie, sei für eine Frau ein Gott und ihr Leben ohne ihren Gatten habe für sie keinerlei Bedeutung mehr.
    "Sita ist ein Frauenideal seit der klassischen indischen Zeit. Sie ist eine der großen Figuren, die in dem Epos Ramayana vorkommen, also die weibliche Hauptfigur", sagt die Religionswissenschaftlerin Birgit Heller.
    Einiges später wird Sita von einem Dämon entführt. Hanuman, der Affengott, eilt ihr zur Hilfe. Er bietet Sita an, sie auf seinem Rücken zu Rama zurückzubringen. Wie, fragt Sita, könne sie einem anderen Mann als ihrem Gatten erlauben, sie zu berühren? Und: Solle sie etwa zulassen, dass Rama um die Ehre ihrer Rettung gebracht werde?
    "Generell ist das klassisch-brahmanische Frauenideal die gute Ehefrau, die ihrem Mann dient, ihrem Mann ihr Leben weiht, die sich ihm hingibt, die, ja, es geht so weit, dass man eigentlich sagt, die Hochzeit ersetzt für eine Frau die religiöse Initiation", sagt Birgit Heller von der Universität Wien.
    Gattendienst ist Gottesdienst
    Die im Ramayana porträtierte Sita ist zum Inbegriff der treuen und ihrem Ehemann vollkommen ergebenen Frau geworden. Ramas Gattin vereint all die Qualitäten in sich, die eine ideale Gattin auszeichnen: eine Frau, die ihr Wohlergehen immer am Wohlergehen anderer ausrichtet, ganz besonders an dem des Gatten und der Kinder. Birgit Heller sagt:
    "Die Religion der Frau besteht im Dienst an ihrem Ehemann. Also, auf den Punkt gebracht würde das heißen: Gattendienst ist Gottesdienst für die Frau – also das ist die Vorstellung der Brahmanen."
    Ihr Vater beschützt sie in ihrer Kindheit, ihr Gatte beschützt sie im Alter – eine Frau ist nicht dazu bestimmt, unabhängig zu sein.
    Dies besagt ein landauf, landab bekannter religiöser Sinnspruch.
    Die treue Frau verehrt ihren Mann unbeirrt wie einen Gott, auch wenn er lasterhaft ist, sein Vergnügen auswärts sucht oder jeder guten Eigenschaft entbehrt.
    Eine Frau, die ihrem Mann gehorsam ist, wird dafür im Himmel erhöht werden.
    "Zugleich geht man im Hinduismus davon aus, dass Gott eine männliche und eine weibliche Hälfte hat. Ich kenne keine andere Religion, in der Frauen einen so hohen Status haben. Ein Mann, der an einer religiösen Zeremonie teilnimmt, sollte zum Beispiel immer eine Frau an seiner Seite haben", sagt die Anthropologin Sunita Jain aus Neu-Delhi. "Dem Dharma, dem göttlichen Gesetz gemäß, ist die Frau dem Mann ebenbürtig. Aber wie das dann umgesetzt wird, steht auf einem ganz anderen Blatt."
    Dies wiederum hat auch damit zu tun, dass es für die Gesamtheit der Hindus weder verbindliche religiöse Texte noch eine einheitliche Glaubenslehre gibt.
    "Die Schwierigkeit ist, dass man eigentlich gar nichts verallgemeinern kann, weil es sich hier de facto um verschiedene Religionen und religiöse Traditionen handelt, die vielleicht nicht mehr miteinander zu tun haben als das Christentum und das Judentum", betont die Religionswissenschaftlerin Birgit Heller.
    "Es gibt eine gewisse Verwandtschaft, gemeinsame Vorstellungen, aber darüber hinaus sehr viele verschiedene Vorstellungen auch. Und insofern ist es sehr schwierig, überhaupt etwas Allgemeines zu sagen. Man muss eigentlich immer dazu sagen, das gilt jetzt für die klassisch-brahmanische Tradition der Hindu-Religionen, die mehr oder weniger prägend sich auch auf das gesellschaftliche Zusammenleben ausgewirkt hat. Oder das gilt für vishnuitische Traditionen, für shivaitische Traditionen und so weiter."
    Die Tochter hat nicht vor, einen Hausstand zu gründen
    Die indische Hindu-Frau gibt es nicht. Frauen stehen an der Spitze von Banken und Unternehmen, eine große Reederei hat eine Chefin. Es gibt Ministerinnen, Pilotinnen, Verlegerinnen, Forscherinnen und Juristinnen, die am Obersten Gerichtshof Recht sprechen. Und: Im selben Land ziehen viele Dorfbewohnerinnen bis heute noch immer den Zipfel ihres Sari-Endes vors Gesicht, sobald sich ihnen ein fremder Mann nähert. Stammesangehörige leben in Bergregionen fern von der Zivilisation. Die Tradition der Tempeldienerinnen ist lebendig, sie stehen Männern sexuell zu Diensten. Junge Frauen aus der städtischen Mittelschicht gehen Hand in Hand mit ihren Freunden durch die Geschäfts- und Vergnügungsviertel Neu-Delhis oder Mumbais. Einige von ihnen machen auch keinen Hehl daraus, dass sie keinen Wert darauf legen, als Jungfrau in die Ehe zu gehen – oder überhaupt zu heiraten.
    Dazu Politikerin und Frauenrechtlerin Lalitha Kumaramangalam: "Meine jüngere Tochter zum Beispiel hat nicht vor, einen Hausstand zu gründen. Sie sagt: ‚Du hast dafür gesorgt, dass ich eine fundierte Ausbildung bekomme. Ich habe einen Job, bin finanziell unabhängig und kann mir aussuchen, was ich tun will. Außerdem: Angehörige meiner Generation sind nicht mehr unbedingt Jungfrauen. Was ist schon dabei?!‘"
    Die indische Politikerin und Frauenrechtlerin Lalitha Kumaramangalam
    Die Politikerin Lalitha Kumaramangalam setzt sich für Frauenrechte ein (Deutschlandradio / Margarete Blümel)
    Im Westen werde oft nicht nur verkannt, dass die Situation indischer Frauen inzwischen in Bewegung gekommen sei, pflichtet Sunita Jain bei, es werde auch übersehen, dass die Tradition verschiedene Rollen zu bieten habe. "Selbst die verschiedenen Kasten und ihre Unterkasten haben ihre ureigenen Gesetze, Praktiken und Normen. Der Status der Brahmaninnen zum Beispiel unterscheidet sich deutlich von der Position, die Frauen sonst oft innehaben. Aber die Unterschiede machen sich manchmal auch daran fest, wo die Betroffenen leben. Die Leute aus dem Norden etwa haben generell eine andere Haltung Frauen gegenüber als die Bewohner des Südens. In weiten Teilen Süd-Indiens ist die Gesellschaft matriarchalisch orientiert und im Falle einer Erbschaft erhält die Frau was auch immer hinterlassen wird. Ansonsten werden Sie überall in Indien die eine oder andere Variation vorfinden. Problematisch wird es, wenn man versucht, das Ganze zu simplifizieren, also zu sagen: So ist die Position der Frau in Indien. Damit liegen Sie falsch, weil es sich immer wieder anders darstellt."
    Die Urkraft ist weiblich
    Was viele hinduistische Traditionen verbindet, ist die Verehrung einer Göttin: Bharat Mata, "Mutter Indien", die es uneingeschränkt zu beschützen gilt. Und die Göttin selbst kann, ohne dass ihr dies von den anderen Göttern streitig gemacht wird, sagen: "Alles, was ihr seht, bin ich."
    Indiens heiliger Fluss, der Ganges, wird gern auch mit dem Beinamen Ganga Mata, "Mutter Ganges", geehrt. Die Urkraft ist weiblich. Hindu-Frauen leben, zumindest theoretisch, in einem Umfeld, in dem sie traditionell als Göttinnen angesehen werden. Und doch werden jedes Jahr Millionen weiblicher Föten abgetrieben, werden Frauen ungestraft vergewaltigt und Witwen von ihren Familien verstoßen.
    Wie Gauri Malik, die in einem Witwen-Heim lebt. "Mein Mann war um einiges älter als ich. Nachdem er gestorben war, hat mein Herz plötzlich so komisch geschlagen. Ich müsste Tabletten nehmen, hat die Ärztin gesagt. Aber im Haus meiner Schwiegereltern wollte keiner etwas davon hören. Sie haben mich vor die Tür gesetzt. Bevor ich in dieses Heim kam, habe ich auf der Straße gelebt. Die meisten Frauen hier sind 70, ich bin gerade einmal 50 Jahre alt. Ich müsste jemanden finden, der mich heiratet und mich gesundheitlich unterstützt. Doch mit einer Witwe, mit einer wie mir, will keiner was zu schaffen haben."
    Die indische Witwe Gauri Malik
    Auch die erst 50-jährige Gauri Malik musste in einem Witwen-Heim unterkommen (Deutschlandradio / Margarete Blümel)
    Auch die 23jährige Sonia wird wohl keinen Partner finden. Seitdem sie vor acht Jahren aus ihrem Elternhaus entführt und von zwei jungen Männern missbraucht worden ist, gilt sie als entehrt. Seit zwei Jahren lebt sie wieder bei ihren Eltern.
    Sie erzählt: "Nachdem die Männer mich zehn Tage lang vergewaltigt und gequält hatten, haben sie mich an einen älteren Witwer verkauft. Sechs Jahre lang habe ich auf seine vier Kinder aufgepasst und musste ihm zu Willen sein. Er hat von morgens bis abends getrunken und mich immerzu geschlagen. Ich hatte ein Kind mit diesem Mann. Seine Mutter hat das Mädchen ein paar Minuten nach der Geburt umgebracht. In dem Moment bin ich ebenfalls gestorben. Eine Woche später haben sie mich von einem Quacksalber operieren lassen. Jetzt kann ich kein Baby mehr bekommen, weil der Mann wollte, dass ich mich nur um seine Kinder kümmere."
    Die meisten Hindu-Frauen führen ein Dasein voller Widersprüche. Denn die ihnen zukommende Ehrerbietung ist traditionell an Bedingungen geknüpft, an Konditionen und Vorstellungen, die mit der religiös legitimierten Dominanz der Männer zusammenhängen. In vielen Textpassagen wird die Frau zwar explizit geehrt – und im gleichen Atemzug aber auch immer wieder auf ihre Rolle als ergebene Gattin und als Mutter reduziert. Frauen, die diesem Ideal nicht nachkommen, gelten als gefährlich: als personifizierte Verführerinnen, die Männer vom spirituellen Pfad abbringen.
    "Weibliche Sexualität muss stark kontrolliert werden."
    "Es gibt in den Texten eigentlich immer wieder Belege dafür, dass die Frauen kontrolliert werden müssen. Und das hängt vor allem damit zusammen, wenn man ein Frauenbild konzipiert, das so stark darauf beruht, dass man die Sexualität, die Körperlichkeit, grundsätzlich dem weiblichen Geschlecht zuordnet. Dann muss in einer Gesellschaftsstruktur, die patriarchal geprägt ist, die davon lebt, dass der Vater weiß, wer sein Sohn ist und dass er sich sicher sein kann, dass auch das Erbe auf seinen Sohn übergeht und dergleichen, muss weibliche Sexualität sozusagen stark kontrolliert werden. Und das wird in den Texten ganz klar, die wir haben", erläutert Birgit Heller.
    Das Hochzeitsbuffet mit den vegetarischen Speisen, dem Reis und den gefüllten Fladenbroten ist mit fliegensicheren Gittern abgedeckt. Die Gäste – die Herren in Tuchhosen und Jacket, die Damen in Seiden- oder Brokat-Saris – hängen an den Lippen des Priesters, der einen Behälter mit geklärter Butter über einer Feuerstelle schwenkt und Sanskrit-Texte rezitiert.
    Gegenüber sitzen der angehende Ehemann und die ganz in Rot gekleidete Braut auf einem Podest. Die junge Frau schaut mit gesenktem Blick und mit undurchdringlicher Miene vor sich hin.
    "Еs gibt alte Texte, die heute noch im Hochzeitsritual verwendet werden, wo zum Beispiel ein Hymnus an Indra, eine der wichtigen vedischen Gottheiten, gerichtet ist. Und in diesem Hymnus wird um hundert Söhne für die Braut gebetet. Die Tochter gilt auch in dieser Zeit schon als ein Jammer und der Sohn ist eben das Licht in der Himmelswelt. Das erklärt sich dadurch, dass der Vater in der Vorstellung lebt, dass er in seinem eigenen Sohn eigentlich wiedergeboren wird und dafür die Frau einfach auch benötigt wird und sie wichtig für ihn ist", so Birgit Heller.
    Einerseits als Muttergöttin hochverehrt, gelten Frauen auf der anderen Seite nur als das "Saatbeet", wie es im sogenannten "Gesetzbuch des Manu" heißt. Der Same sei entscheidend, nicht dessen Empfangsbehälter, lautet es in diesen Schriften. Die Frau muss ihrem Ehemann Kinder gebären. Und wieder und wieder wird betont: Vor allem Söhne sollen es sein.
    Eine unfruchtbare Frau darf im achten Jahr der Ehe ersetzt werden; eine, deren Kinder alle sterben, im zehnten Jahr, eine, die nur Töchter gebiert, im elften Jahr. Eine streitsüchtige aber ohne Verzug.
    Und doch können zumindest einige wenige Göttinnen wiederum ungestraft martialisch sein. Sie säen Furcht, sind blutrünstig und enthemmt. Kali zum Beispiel, die eine Girlande menschlicher Schädel um den Hals geschlungen hat. Um der wilden Göttin zu huldigen, werden im Vorhof dieses großen Kalitempels in Kolkata Ziegen geschlachtet. Noch warm, wird ihr Blut in silberne Schalen gefüllt und vor den Bildern und Statuen der Gottheit drapiert. Die Augen in Kalis blauem Gesicht scheinen fast aus den Höhlen zu treten. Auf vielen Abbildungen streckt die Göttin ihren Anhängern die Zunge entgegen.
    In ihrer Inkarnation als Durga verkörpert sie eine weibliche Gottheit, der die gesammelte Kraft aller männlichen Götter innewohnt. Diese haben Durga erschaffen, um die Dämonen zu besiegen, die sie selbst nicht zu überwinden vermochten.
    In jeder ihrer Verkörperungen ist die Göttin mit Shiva verbunden. Doch selbst Shiva, der Erhalter und Zerstörer aller Welten, kann seiner Gattin nicht Einhalt gebieten. Als Kali etwa repräsentiert sie eine unbändige, wilde Seite, eine Kraft, die auch durch einen Ehemann wie Gott Shiva nicht zu kontrollieren ist. Sie besitzt so viel Macht, dass sie nicht nur Leben schenken, sondern auch den Tod bringen kann.
    "Auch einige der älteren Texte durchbrechen immer wieder Geschlechterstereotype. Die Königstochter Draupadi zum Beispiel wird im Epos Mahabharata weder als gutmütig noch als bescheiden dargestellt. Sie hat fast schon arrogante Züge, und um ihretwillen tobt sogar ein Krieg! Draupadi hat fünf Ehemänner, die sich allesamt völlig nach ihr richten. Sie ist eine ausgesprochen starke Frau", sagt Lalitha Kumaramagnalam.
    Begriffe wie "Emanzipation" oder "feministischer Kampf" versuchen die meisten indischen Frauenrechtlerinnen zu vermeiden, weil die damit verbundene Denkweise in ihren Augen mit dem Westen verknüpft ist und auf die falsche Fährte führt. Beim Thema Gleichberechtigung zum Beispiel lassen sie die Familie außen vor, weil diese außer Enge, Kontrolle und Pflichten auch einen Hort der Unterstützung birgt.
    Die Familie kann die Hölle sein
    Die Schriftstellerin Madhu Kishwar beschäftigt sich häufig mit Frauenthemen. Indien habe seine ureigene Geschichte und seine ureigenen, oft religiös verorteten Traditionen, sagt sie. Doch nicht alle diese Traditionen seien schlecht und müssten über Bord geworfen werden. "Der Westen hat sich mit dem Streben nach individueller Freiheit keinen Gefallen getan. Denn damit gerät die Familie ins Hintertreffen. Sie verliert an Bedeutung. Familie heißt aber: Wir. Uns. Und nicht dauernd Ich, Mir, Mich – und wieder Ich. In indischen Familien stehen die gemeinschaftlichen Interessen im Vordergrund. Jedes Familienmitglied ist Teil dieses Systems, in dem der Mann dafür sorgt, dass seine Gattin alles hat, was sie braucht. Die Frau wiederum ist ihren Eltern und den Schwiegereltern gegenüber in der Pflicht. Die Älteren versuchen ihrerseits so gut sie können, die Familie in Freud und Leid zusammenzuhalten."
    Eine indische Witwe, die auf der Straße lebt
    Eine indische Witwe, die auf der Straße lebt (Margarete Blümel / Deutschlandradio)
    Die Familie gibt Halt, sie kann aber gerade für Frauen auch die Hölle sein. Immer wieder werden Bräute kurz nach der Hochzeit umgebracht, weil die Schwiegereltern mit der in die Ehe eingebrachten Aussteuer nicht zufrieden sind. Die Regierung versucht daher auch, Frauen, die in den Dörfern leben, unabhängiger von familiären Zwängen zu machen, etwa durch Kleinkredite und Bildungsprogramme. Dass Frauen selbst über Geld verfügen können, verändert die Wahrnehmung. Besonders in den Städten gilt der arbeitslose Sohn inzwischen als größere Last im Vergleich zur Tochter, die vielleicht einen Lohn nach Hause bringen kann. Und Inder, die von einem Auslandsstudium oder dem Computerjob in ihre Heimat zurückkehren, suchen eine kultivierte Frau, die ihre Bildung schließlich an die gemeinsamen Kinder weitergeben wird. Und doch: Von europäischen Debatten um die gerechte Aufteilung von Hausarbeit und Kindererziehung sind Indiens Frauen noch weit entfernt, sagen Lalitha Kumaramangalam, Sunita Jain und die Verlegerin Urvashi Butalia.
    "Ich bin willensstärker als die meisten Männer"
    "Die meisten von uns haben nicht die nötige Courage, um für ihre Belange einzustehen. Ich zumindest kann von mir selbst sagen, dass ich ausdauernder und willensstärker bin als die meisten Männer, die ich kenne. Welcher Mann könnte seiner Arbeit nachgehen, zusätzlich die Kinder versorgen und die Hausarbeit erledigen? Den meisten Frauen ist das Potential, das sie besitzen, überhaupt nicht bewusst!", so Lalitha Kumaramangalam.
    "Vor allem in unseren großen Städten sind die Veränderungen deutlich sichtbar. Doch auch die jungen Frauen, die sich jetzt für ein paar Jahre richtig ausleben und aus dem Westen stammende Ideen praktizieren, werden irgendwann wieder zur Besinnung kommen. Und der Einfluss unserer religiösen Traditionen wird sich mit den neu gewonnenen Ansichten aus dem Westen vermischen. Warum nicht? Wir müssen mit der Zeit gehen. Doch bestimmt wird da immer etwas sein, das diesen Fremdeinflüssen Einhalt gebietet, das unseren Frauen sagt: Ich bin nicht so wie sie. Ich bin ich! Der Einfluss des Hinduismus hier in Indien ist so groß – und daran wird sich auch nichts ändern," findet Sunita Jain.
    Und die Verlegerin Urvashi Butalia ergänzt: "Die konservative Grundhaltung ist immer noch da. Eltern aus der Mittelklasse gestehen ihren Mädchen heute zwar ein paar Freiheiten zu – solange klar ist, dass sie danach in ihr gewohntes Umfeld zurückkehren. Sie sollen also innerhalb ihrer Kaste heiraten, und, ob noch immer unberührt oder nicht, dann eine traditionelle Hochzeit feiern und Kinder bekommen. Unsere junge Generation erhält eine ganze Reihe widersprüchlicher Botschaften. Das ist gut so! Mal sehen, was sie daraus machen!"