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Frauen in Afghanistan
Angst vor erneuter Taliban-Herrschaft

Obwohl häusliche Gewalt seit zehn Jahren unter Strafe steht, werden Frauen in Afghanistan noch immer misshandelt. Meist bleiben die Täter straffrei. Zwar hat sich die Lage verbessert, doch mit einer möglichen Vereinbarung mit den Taliban bei den Friedensgesprächen, könnte sich das wieder ändern.

Von Bernd Musch-Borowska | 05.08.2019
Frauen mit Kopftuch sitzen in einem großen Raumund klatschen.
Teilnehmerinnen der sogenannten Lola Dschirga (Große Ratsversammlung) in Kabul zum Thema Frieden: Zwar hat sich die Lage der Frauen in Afghanistan verbessert - mit einer Rückkehr der Taliban an die Macht könnte sich das ändern. (dpa-Bildfunk / AP / Rahmat Gul)
In einem Frauenhaus in der westafghanischen Stadt Herat vertraut sich Kadeja einem Arzt an, der sich der Versorgung ihrer Wunden widmet.
Die junge Frau ist von ihrem Ehemann grausam misshandelt worden. Kochendes Wasser hatte er ihr über den Kopf geschüttet. Die ganze Haut habe sich dadurch abgelöst, beschrieb Kadeja einer Reporterin der Nachrichtenagentur AP.
"Mein ganzer Körper hat furchtbar weh getan. Es war so schlimm, dass ich nur noch zu Gott beten konnte. Ich schrie meine Schwiegereltern an, sie sollten mich ins Krankenhaus bringen. Und als ich dort ankam, war ich bewusstlos."
Kadejas Ehemann wurde zwar vorübergehend wegen häuslicher Gewalt in Polizeigewahrsam genommen, doch nach kurzer Zeit war er wieder auf freiem Fuß und drohte seiner Frau mit einem Messer weitere Gewalt an.
"Als er mit dem Messer ankam und dreimal auf mich einstach, floh ich zu meiner Familie. Aber die haben überhaupt kein Verständnis für mich gehabt. Sie sagten, ich hätte das Haus im Hochzeitskleid verlassen und sie würden mich nur in ein Leichentuch gehüllt zurücknehmen."
Häusliche Gewalt gegen Frauen weit verbreitet
Häusliche Gewalt gegen Frauen ist in Afghanistan weit verbreitet, obwohl es seit zehn Jahren ein Gesetz gibt, dass dies unter Strafe stellt. Doch das Wartezimmer des Frauenhauses in Herat ist voll von Frauen, die von ihren Ehemännern geschlagen und misshandelt wurden. Auch Alissa ist es so ergangen, nachdem sie als kleines Mädchen mit einem viel älteren Mann zwangsweise verheiratet wurde. Dies war Teil eines Arrangements, damit Alissas Bruder die Schwester ihres neuen Ehemannes heiraten konnte.
"Als ich meinen Ehemann das erste Mal sah, war ich schockiert. Ich war doch erst sechs Jahre alt. Da sollte ein Kind doch bei seinen Eltern und seinen Geschwistern sein und nicht bei einem Ehemann. Ich fühlte mich so allein und hatte Angst. Ich habe nur noch geweint."
Nach einem Bericht der Vereinten Nationen wird Gewalt gegen Frauen in Afghanistan meist nicht strafrechtlich verfolgt. In den meisten Fällen werden betroffene Frauen dazu gedrängt, sich mit ihren Ehemännern wieder zu versöhnen. Die Gewalttäter bleiben oft straffrei.
Die Frauen in Afghanistan müssten um ihre Rechte kämpfen, sagte die Aktivistin, Suraya Pakzad. Bei den laufenden Friedensgesprächen mit den Taliban, seien diese Rechte in Gefahr, auch wenn sie in der Verfassung verankert seien.
"Wir dürfen nicht darauf warten, dass uns jemand vorsetzt, wie unsere Rechte aussehen. So wie das im Jahr 1996 passiert ist, als die Taliban an die Macht kamen. Diesmal müssen wir für unsere Rechte kämpfen. Und wir müssen die internationale Staatengemeinschaft dazu bringen, dass sie auf uns hört. Wir gehen nicht zurück zu der Situation von damals."
Frauen bis 2001 in der Öffentlichkeit unsichtbar
Während der Taliban-Herrschaft bis zum Jahr 2001 waren Frauen in Afghanistan fast völlig aus dem öffentlichen Leben verbannt. Frauen durften nicht arbeiten, außer zu Hause und Mädchen durften nicht zur Schule gehen.
Obwohl sich heute schon viele junge afghanische Frauen in westlich orientierter Kleindung auf die Straße trauen, sieht man in Kabul und anderen Städten noch viele Frauen unter einer Burka, einer Ganzkörper-Verhüllung, die nur einen vergitterten Sehschlitz freilässt.
Die afghanische Jura-Professorin Shehla Farid, von der Universität Kabul, wurde während der Taliban-Herrschaft zusammen mit ihrem Ehemann verhaftet, weil sie ihren Schülerinnen Englisch unterrichtete, was damals verboten war. Noch immer denkt sie an die gute alte Zeit davor, in der es viele Freiheiten gab für afghanische Frauen.
"Wenn ich heute meinen Töchtern Fotos aus den 70er-Jahren zeige, wo ich mit Minirock und offenem Haar als Studentin an der Universität zu sehen bin, dann werden sie ganz neidisch und sagen, Mama, was waren das denn für Zeiten? Wie war so etwas denn möglich?"
Niemand kenne die Pläne der Taliban und deren Verhandlungsposition bei den Friedensgesprächen, sagte Shehla Farid. Die Sorge der Frauen vor der Zukunft sei deshalb berechtigt:
"Nicht nur ich, sondern alle Frauen in Afghanistan fürchten sich vor einer möglichen Rückkehr der Taliban an die Macht. Sie haben uns keinerlei Garantien gegeben, dass sie den Frauen die Freiheiten lassen, die sie in den vergangenen Jahren errungen haben. Sie sagen immer wieder, sie respektierten die Rechte der Frauen nach dem islamischen Recht, aber das unterliegt alles deren Interpretation der Scharia."
Anfang Juli stellte die stellvertretende Generalsekretärin der Vereinten Nationen, Amina Mohammed, im UN-Sicherheitsrat einen Bericht über die Frauen in Afghanistan vor. Zwar habe sich in den vergangenen Jahren die Lage der Frauen verbessert, sagte sie, doch seien eben diese Fortschritte in Gefahr, wenn die Frauen nicht am Friedensprozess beteiligt würden.
"In Afghanistan hat es große Fortschritte für Frauen gegeben, seit dem Sturz der Taliban. In mehreren Ministerien sind Frauen in Führungspositionen, auch beim Militär. 27 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst sind Frauen. Und es gibt Frauen, die sind Bürgermeister und Provinz-Gouverneure. Frauen, vor allem junge Frauen kämpfen für ihre angemessene Position in der Gesellschaft. Und viele von ihnen sind einfach inspirierend."
Interessen der Taliban berücksichtigen
Zahlreiche internationale Nichtregierungsorganisationen in Kabul, die sich für die Stärkung der afghanischen Zivilgesellschaft einsetzen, für Menschenrechte und die Rechte der Frauen, beispielsweise, waren in den vergangenen Monaten Ziel von Drohungen und Terroranschlägen.
Die Taliban lehnen Freiheitsrechte nach westlichem Vorbild ab. Und angesichts einer möglichen Vereinbarung mit den Taliban scheint auch in Teilen der afghanischen Bevölkerung das Interesse an einer offenen demokratischen Gesellschaft zu schwinden. Sogar einigen Delegierten der Großen Ratsversammlung, die Anfang Mai zusammengekommen war, gingen die Freiheiten, die sich die afghanischen Frauen in den vergangenen Jahren erkämpft hatten, zu weit. Im Schlussdokument der Loja Dschirga hieß es, man müsse auch die berechtigten Interessen der Taliban berücksichtigen.