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Frauenrechte im Islam

Marokkanische Muezzine rufen zum Gebet. Marokko ist ein islamisches Land: 99 Prozent der Bevölkerung bekennen sich zu den Lehren des Propheten Mohammed. Für Frauen war Marokko lange Zeit kein guter Ort - bis Anfang 2004. Die Stellung der Frau war würdelos, sagt Touria Eloumri von der marokkanischen Frauenrechtsorganisation Printemps de l'égalité - Frühling der Gleichheit:

Von Gaby Mayr |
    Sie stand unter der Vormundschaft ihres Mannes. Er entschied, ob sie arbeiten gehen darf oder nicht. Sie hatte zu Hause keine Rechte. Frauen durften sich nicht scheiden lassen. Sie hatten keinen Anteil am Vermögen, das während der Ehe erwirtschaftet wurde. Dem Mann gehörte alles, der Frau nichts.

    Im Familienrecht waren all die Regeln zusammengefasst, die den Frauen das Leben schwer machten. Jahrelang forderten die Frauen "Würde, Gleichheit und Gerechtigkeit". Hunderttausende gingen für ein anderes Familienrecht auf die Straße. Der Durchbruch kam, als König Mohammed VI offen Position bezog für die Frauen. Er argumentierte auch mit der Religion.

    Er kann gar nicht anders als muslimisch argumentieren. Er ist das geistliche Oberhaupt der Gläubigen. Diese Position gibt ihm das Recht, religiös zu handeln. Deshalb hat die Religion in seiner Rede vom 10. Oktober vor dem Parlament natürlich eine Rolle gespielt.

    Die seit über 300 Jahren in Marokko regierende Königsfamilie zählt den Propheten zu ihren Ahnen. Weil der König ein Sharif, also ein Nachkomme Mohammeds ist, hat sein Wort bei seinen gläubigen Untertanen großes Gewicht. Im Januar 2004 wurde ein neues Familienrecht im Parlament verabschiedet, das die Position der Frau wesentlich verbessert. Und seit der König gesprochen hat, akzeptiert auch die im Parlament vertretene islamistische Partei das neue Recht.

    Als der König in seiner Rede das neue Recht ankündigt hat, haben sie gesagt, es sei gut, es entspräche dem Islam. Auch mit unseren Forderungen hätten sie keine Probleme.

    Ganz anders sieht es im Nachbarland Algerien aus. In der ehemaligen französischen Kolonie galt bis 1984 das französische Zivilrecht. Dann sorgten Politiker der einstigen Befreiungsbewegung - der sozialistischen, arabisch-nationalistischen Partei FLN - für ein Familienrecht, das Frauen lebenslang zu rechtlosen Minderjährigen macht. Die organisierten Islamisten waren an der Gesetzgebung nicht beteiligt - sie waren damals als Partei im Parlament nicht vertreten. Das seit 20 Jahren geltende Familienrecht, das die Frauen knebelt, ist ein Machtinstrument in den Händen der Männer, sagt Akila Ouared.

    Akila Ouared kämpfte einst selber in der Befreiungsbewegung FLN gegen die Franzosen. Später hat sie als Sozialarbeiterin und Psychologin gearbeitet und fünf Kinder groß gezogen. Nach dem Gesetz ist sie heute eine Minderjährige, während ihr Sohn die Rechte eines Volljährigen genießt. Ein solches Familienrecht stehe in völligem Widerspruch zur algerischen Verfassung, sagt Ouared:

    Die algerische Verfassung heiligt die Gleichheit der Geschlechter. Gleiches Recht gilt bei der Ausbildung, bei der Arbeit, im Zivilrecht. Frauen dürfen wählen und gewählt werden. Das heißt, es gibt einen Widerspruch zwischen dem Familienrecht einerseits sowie der Verfassung und dem Arbeitsrecht.

    Das Recht der Frauen, Geld zu verdienen, wurde allerdings nie angetastet. Es ist schließlich praktisch, wenn die Frauen für den Familienunterhalt sorgen.

    Algerien und Marokko, zwei muslimisch geprägte Nachbarn in Nordafrika: Während in Algerien die säkulare Regierung für die Entrechtung der Frauen in der Familie sorgte, hat in Marokko der muslimische König den entscheidenden Schritt getan, um der weiblichen Hälfte der Bevölkerung zu mehr Rechten zu verhelfen.

    In vielen islamischen Ländern ist das Familienrecht der Dreh- und Angelpunkt für die Situation der Frauen. Das Strafrecht und das Zivilrecht fußen oft auf einer nicht-religiösen Basis. Europäische Gesetze standen Pate bei ihrer Formulierung. Ganz anders das Familienrecht. Es wurde häufig aus dem Koran und den daraus abgeleiteten Regeln der Scharia entwickelt.

    Koran, Sure 4, Vers 34: "Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie ausgezeichnet hat und wegen der Ausgaben, die sie von ihrem Vermögen gemacht haben. Und wenn ihr fürchtet, dass Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie!"

    Der Islam in seiner authentischen Quelle, im Koran, beinhaltet einige wenige Verse, die man, ja, als nicht so gut für Frauen sehen kann,


    sagt die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi.

    Aber das sind die Stellen, die man interpretieren und auslegen muss. Und es gibt auch sicherlich sehr viele moslemische Theologen, die sich auch für die Rechte der Frauen einsetzen und auch dieser Auffassung sind, dass man den Koran, diese Verse, die ich angesprochen habe, in ihrem historischen Kontext lesen muss.

    Hamideh Mohammideh, eine gebürtige Iranerin, hält eine frauenfreundliche Koran-Interpretation für möglich - und nennt ein Beispiel:

    Es gibt ja viele Stellen im Koran, in denen Männer und Frauen genannt werden. Wirklich auch sprachlich diese beiden Geschlechterformen benutzt - in der Zeit vor 1400 Jahren auf der arabischen Halbinsel, wo das überhaupt kein Thema war, Frauen überhaupt zu erwähnen, dass im Koran wirklich auch diese weibliche Form benutzt wird, ist das für mich ein Ansatz, dass man diese Gleichberechtigung daraus lesen kann.

    Solches Bemühen, in den heiligen Schriften Anknüpfungspunkte und Begründungen zu finden für eine Gleichberechtigung von Frauen und Männern, ist hierzulande nicht unbekannt. Christinnen argumentieren mit der Bibel, warum Frauen zum Beispiel den Gottesdienst leiten und in der kirchlichen Hierarchie aufsteigen dürfen. Bisher mit unterschiedlichem Erfolg. In der Evangelischen Kirche wurden vor einigen Jahren die ersten Bischöfinnen geweiht, die katholische Kirche ist davon noch Meilen weit entfernt. In der Tat kann man aus den heiligen Büchern Vieles herauslesen - es kommt nur auf die Absicht an, mit der man an die Texte herangeht. Auf den Vers in der vierten Sure, der den Männern Vorrang vor den Frauen einräumt und Männern sogar erlaubt, ihre Frauen zu schlagen, folgt ein Vers, den man als wertvollen Hinweis für moderne Paartherapie interpretieren könnte:

    Koran, Sure 4, Vers 35: "Und wenn ihr fürchtet, dass es zwischen einem Ehepaar zu einem Zerwürfnis kommt, dann bestellt einen Schiedsrichter aus seiner und einen aus ihrer Familie. Wenn die beiden sich dann aussöhnen wollen, wird Gott ihnen zu ihrem Zusammenleben Gelingen geben."


    Ein Musterbeispiel für die Bandbreite möglicher Interpretationen liefert die Koran-Äußerung zur Polygamie. Tatsächlich steht im Koran, dass ein Mann zwei, drei, oder vier Frauen heiraten darf. Der Halbsatz fällt allerdings im Zusammenhang mit der Versorgung von Waisenkindern. Vielleicht ist eine Mehrehe nur bei Aufnahme von elternlosen Kindern möglich?! Ganz eindeutig dagegen ergeht die Aufforderung an den Mann, dass er alle seine Frauen gerecht behandeln muss. Wenn er das nicht garantieren kann, darf er nur eine Frau heiraten.

    "Und wenn ihr fürchtet, in Sachen der Waisen nicht recht zu tun, dann heiratet, was euch an Frauen gut ansteht - zwei, drei oder vier. Wenn ihr aber fürchtet, (so viele) nicht gerecht zu (be)handeln, dann eine, oder was ihr (an Sklavinnen) besitzt! So könnt ihr am ehesten vermeiden, unrecht zu tun."

    Eine frauenfreundliche Auslegung heiliger Bücher scheitert vielerorts an Männern, die ihre in Jahrtausenden gefestigten Vorrechte mit Zähnen und Klauen verteidigen. Ein anschauliches Beispiel für die unheilige Allianz der Männer gegen die Frauen im Namen der heiligen Schriften ist der Libanon: In dem nahöstlichen Land sind Angehörige unterschiedlicher muslimischer und christlicher Bekenntnisse zu Hause. Der Staat hält sich aus familienrechtlichen Angelegenheiten heraus und überlässt deren Regelung den 19 anerkannten Glaubensgemeinschaften. So sehr jede einzelne Religionsgemeinschaft auf ihre Eigenständigkeit Wert legt, so einig sind sie sich in der Frage, dass die Frau dem Mann in der Familie untertan zu sein hat. Zoya Rouhana vom Rat für Widerstand gegen Gewalt an Frauen nennt als Beispiel die Eheschließung:

    Bei den Christen sagt der Bischof zur Frau: Ehefrauen sind ihrem Ehemann untertan so wie dem Herrn. Denn der Ehemann ist das Haupt der Ehefrau so wie Christus das Haupt der Kirche ist.

    Bei den Muslimen sieht das etwas anders aus, aber das Ergebnis ist das Gleiche:

    Der Vormund unterschreibt das Heiratsdokument. Im Hintergrund steht immer die Frage des Gehorsams. Denn im Koran ist geschrieben, dass die Männer über den Frauen stehen wegen der Ausgaben, die sie für sie haben. Und sie muss ihm gehorchen.

    Eine liberale Auffassung vom Islam herrschte lange Zeit in Niger. Niger liegt in der Sahelzone. Den Norden des Landes durchwandern die Tuareg-Nomaden, Wüstenfreunde schwärmen von den Schönheiten des Air-Gebirges. Die meisten Menschen in Niger sind arm, Frauen bekommen im Durchschnitt acht Kinder. Ousseina Alidou wurde in eine der alteingesessenen muslimischen Familien
    hineingeboren:

    In Niger hat es keine Spannungen zwischen den Religionen und Glaubensgemeinschaften gegeben. Das habe ich nie erlebt, als ich dort aufgewachsen bin. Ich wurde in katholischen Einrichtungen ausgebildet, vom Kindergarten bis zur weiterführenden Schule. Katholische Nonnen aus der kanadischen Provinz Quebec haben mich unterrichtet. Sie haben nicht versucht, mich zu bekehren, sie akzeptierten mich. Ungefähr 95 Prozent der Kinder in den katholischen Schulen waren Muslime.

    Ousseina Alidou unterrichtet mittlerweile als Professorin für Sprachwissenschaft und Afrikanische Literatur an der Rutgers Universität in den USA. Wenn sie nach Hause reist - und das tut sie regelmäßig - ist sie erschrocken über das, was sie in den letzten Jahren dort sieht:

    Es gibt Elemente von außen, denen ist wichtig, wie man aussieht: Ob Männer einen Bart tragen und ob Frauen ihre Kopfbedeckung so tragen wie im Mittleren Osten, in Saudi-Arabien und an anderen Orten, wo man behauptet, das Rezept für den wahren Islam zu besitzen. Wer es anders macht, ist angeblich nicht korrekt muslimisch gekleidet. Wir sehen Gewalt, Aggression gegen Frauen, gegen Kinder. Kinder werden von diesen Gruppen rekrutiert - vor allem Jungen. Und die gehen dann auf ihre eigenen weiblichen Verwandten los.

    Islamische Fundamentalisten, von außen - oft aus Saudi Arabien - inspiriert und finanziert, sorgen dafür, dass sich das religiöse Klima im Land ändert. Das passiert im Niger, das passiert auch anderswo. Ansprechbar für eine aggressive Interpretation des Koran sind oft junge Männer, die sich mehr Macht versprechen. Die ersten Opfer sind häufig Frauen.

    Einen mehrfachen Wandel seiner Rolle erfuhr der Islam in den vergangenen Jahrzehnten im Irak - je nach den Bedürfnissen der politischen Machthaber. Und so wie die Herrscher den Koran uminterpretierten, so veränderten sie auch die Anforderungen an die Frauen:

    Als der König regierte, und sogar zuvor, während der Kolonialzeit, gab es eine starke Frauenbewegung im Irak. Der Islam spielte damals eine Rolle als Tradition, in der Politik spielte er keine Rolle,

    erklärt die Islamwissenschaftlerin Nadje Al-Ali. 1968 übernahm die sozialistische, arabisch-nationalistische Baath-Partei die Macht. 1979 ernannte Saddam Hussein sich selbst zum Staats- und Regierungschef, zum Generalsekretär der Partei und zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte.

    Frauen waren sichtbar unter Saddam Hussein. Nicht dass er ein Feminist war. Aber er brauchte Arbeitskräfte für die Wirtschaft. Im Irak lief es gut, vor allem in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Deshalb mobilisierte die Regierung die eigenen Arbeitskräfte. Und die waren zu 50 Prozent weiblich.

    Vor allem die Frauen in den Städten profitierten von der guten Wirtschaftslage. Religiöse Autoritäten wurden von Saddam Hussein verfolgt. Er präsentierte sich als säkularer Herrscher. Das aber änderte sich mit dem irakisch-iranischen Krieg in den Achtzigerjahren. Im Iran hatte Ayatollah Khomeini 1979 die islamische Revolution ausgerufen. Unter dem Druck des Krieges suchten Menschen auch im Irak Trost in der Religion. Saddam Hussein spürte die Hinwendung zur Religion in seinem Volk und wollte sie nutzen:

    Er hat befohlen, das Zeichen für Allahu Akbar, Gott ist groß, in die irakische Fahne aufzunehmen. Er hat begonnen, sich nicht nur als Oberbefehlshaber und Präsident darzustellen, sondern auch als religiöser Führer. Als gläubiger Mann, der immer in der Moschee betet. In einer berühmten schiitischen Moschee hat er seinen Namen in die Reihe der Nachfahren des Propheten Mohammed eintragen lassen.

    Männer wurden in jener Zeit als Kriegshelden glorifiziert, für die Frauen blieb in der Heimat noch mehr Arbeit. Nachdem irakische Truppen 1990 in Kuwait einmarschiert waren und der Irak mit Wirtschaftssanktionen belegt wurde, verschlechterte sich die Lage im Land dramatisch. Die Arbeitslosenquote stieg auf 60, 70 Prozent.

    Die Regierung hat ihren Ton gegenüber den Frauen verändert: Die Frauen sollten zu Hause bleiben und Mütter werden. Einige Frauen haben sich wegen der Wirtschaftskrise gezwungen gefühlt, mit Prostitution Geld zu verdienen. Und die zunehmende Prostitution hatte Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis. Väter, Ehemänner, Söhne und Brüder haben zu Frauen gesagt: Bleib zu Hause, geh nicht aus, sonst könnten die Leute denken, du bist eine Prostituierte. Frauen begannen sich konservativer zu kleiden. Viele Frauen haben angefangen, Kopftuch und langärmlige Kleider zu tragen.

    So war allmählich der Boden bereitet für einen Vorstoß gegen das frauenfreundliche Familienrecht aus dem Jahre 1958: Im Dezember 2003 beschloss die irakische Übergangsregierung auf Betreiben eines islamistischen Mitglieds ein Gesetz, das Männer bevorzugte und die Rechte der Frauen beschnitt. Die Übergangsregierung war allerdings gar nicht berechtigt, Gesetze zu erlassen. Und US-Statthalter Bremer weigerte sich, das Gesetz zu unterzeichnen. Islamwissenschaftlerin Nadje Al-Ali:

    Das Problem ist: Das Gesetz hat jetzt einen hohen Symbolgehalt. Viele Frauen hatten dagegen protestiert. Aber weil die Besatzungsmacht USA sich so energisch gegen das Gesetz ausgesprochen hat, machte sich auch unter Gegnern das Gefühl breit: Wir zeigen ihnen, dass wir machen, was wir wollen, wenn sie draußen sind. Je mehr die Besatzungsmächte Frauenrechte unterstützen und sagen, wir wollen die Frauen befreien, desto schwerer wird es für die irakischen Frauen, ihre Rechte zu wahren. Denn Frauenrechte werden jetzt der westlichen Agenda zugeordnet.

    Frauenrechte im Islam - es gibt kein einheitliches Bild. Jedes pauschale Urteil verbietet sich. Ein letztes Beispiel: Kürzlich hat die türkische Regierung ein Gesetz abgeschafft, das milde Strafen für Männer vorsieht, die Frauen im Namen der Ehre ermorden. Die derzeitige türkische Regierung ist islamisch-religiös. All ihre Vorgängerinnen, darunter viele ausdrücklich nichtreligiöse Regierungen, hatten dieses Gesetz nicht angetastet.