Donnerstag, 18. April 2024

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Freie Kunstszene im Irak 
Mehr Kunstbegeisterung erwünscht

Künstler haben es im Irak schwer, finden wenig Publikum. Nach dem Krieg gegen den IS, der Unsummen verschlang, gibt es dort andere Prioritäten. Auch das Erstarken des politischen Islam erschwert eine freiere Entwicklung der Szene.

Von Carsten Kühntopp | 31.08.2019
Kunstausstellung in Bagdad, Irak
Nicht gerade überfüllt: Kunstausstellung in Bagdad (Deutschlandradio / Carsten Kühntopp)
"Heutzutage interessieren sich die Iraker für Reisen, das ist wie eine Sucht. Die Frauen sind von Schmuck, Kosmetik und Kleidung besessen. Die Männer wollen ständig neue Handys und neue Autos. Es gibt niemanden mehr, der sein Heim mit Kunst dekorieren und verschönern will. Die Äußerlichkeiten sind den Leuten jetzt wichtiger: Mein Auto, mein Schmuck, mein Handy. Das ist jetzt das Wichtigste – und wichtiger als Kunst."
Warum das so ist – dafür hat Mina al-Hillo keine einfachen Erklärungen. Auf ihrem Handy zeigt Mina al-Hillo Fotos ihres Projekts. Die junge Mutter und Grafikerin eröffnete in einer Villa in Bagdad eine Galerie. Mit Liebe zum Detail und viel Geschmack hatte sie die Villa hergerichtet, voller Stolz berichtet sie, dass auch ausländische Botschafter die Galerie besuchten. Jeden Monat wechselte sie die Kunstwerke – doch Käufer fanden sich zu wenige. Nach drei Jahren musste sie aufgeben. Wie andere Iraker erinnert aber auch sie sich daran, dass Kunst und Kultur unter Saddam Hussein staatlich gefördert wurden – freilich ohne dass es echte künstlerische Freiheit gegeben hätte, aber immerhin.
Die Kunst hängt vom irakischen Staat ab
"Alles hängt vom Staat und der Mentalität ab. Wir hatten ein umfassendes staatliches System, das sich um die Kunst kümmerte und Künstler unterstützte. Es gab eine allgemeine Tendenz, die für Kunst war. So wurde das eigene Land gestärkt. Jetzt hat sich alles geändert. Vielleicht wegen der vielen aufeinander folgenden Kriege und Krisen. Wir hatten dunkle Phasen, in denen die Künstler ausgegrenzt wurden und sich zurückzogen, als Schauspieler, Maler oder Designer. Diese Atmosphäre führte dazu, dass das kulturelle Leben starb."
Auch wenn der Irak durch den Verkauf von Erdöl viel Geld verdient: Die Militärschlacht gegen den IS hat Unsummen verschlungen. Mehrere Millionen Menschen waren im Land auf der Flucht, Teile des Irak liegen in Trümmern und müssen wieder aufgebaut werden. Mina al-Hillo versteht, dass die Regierung vor diesem Hintergrund andere Prioritäten hat, als den Kulturbetrieb zu fördern. Sie berichtet, wie vor einigen Jahren der damalige Kulturminister dennoch versuchte, ihre Galerie in die staatliche Förderung aufzunehmen.
"Der Minister sagte mir, er könne uns mit 200 Dollar im Monat helfen. Aber was sollte ich mit diesem Betrag machen? Mir Minuten für das Handy kaufen? Die Kosten (für das Drucken) der Einladungen bezahlen? Dem Kellner, der Tee und Kaffee serviert, ein Gehalt geben?"
Bagdad: In den 60er-Jahren eine kulturelle Hochburg
In den 60er-Jahren war Bagdad ein wahres Juwel unter den arabischen Hauptstädten und hatte einen regen Kulturbetrieb. Mazin Mundher klingt etwas wehmütig, wenn er über die strahlende Vergangenheit der Metropole spricht. Mundher gehört der Führung des Künstlersyndikats an, einer Art Gewerkschaft.
"Vor 2003 war die Lage der Kultur im Land ganz anders. So war der Irak das erste arabische Land, in dem ein Fernsehkanal eingerichtet wurde; er wurde 1948 vom König eröffnet. Der Irak stützte sich auf seine historische Zivilisation, die während der assyrischen, babylonischen und sumerischen Zeiten aufblühte. Vor 2003 war der Irak kulturell an der Spitze. Deshalb kamen auch viele Menschen aus dem Westen nach Bagdad. Warum auch nicht? Alle Mythen rankten sich um Bagdad!"

Mit dem gebotenen Respekt vor der Frömmigkeit seiner Landsleute sagt Mazin Mundher, dass heutzutage auch die Religion den Freiraum von Künstlern manchmal einengt. Die Diktatur von Saddam Hussein war zumindest nach außen hin demonstrativ säkular. Nachdem die USA das Regime vor 16 Jahren stürzten, ist der politische Islam erstarkt. In der noch jungen irakischen Demokratie haben viele politische Parteien einen konfessionellen Anstrich. Offen mischen sich islamische Rechtsgelehrte und Prediger in die Politik ein. Gleichzeitig sind die Iraker immer frommer geworden; während der Umbrüche der vergangenen Jahre und Jahrzehnte gab ihnen der Glaube Trost und Halt. Und wer ganz besonders strenggläubig ist, der hält Kunst häufig für "haram", für verboten.
Mina al-Hillo eröffnete in einer Villa in Bagdad, Irak, eine Galerie
Mina al-Hillo hat in einer Villa in Bagdad eine Galerie eröffnet (Deutschlandradio / Carsten Kühntopp)
"Ein Geistlicher erlaubt dir das Singen, wenn der Text religiös ist"
Mundher: "Ein Geistlicher mag dir das Singen erlauben, aber nur, wenn der Text religiös ist. Er mag dir das Hören von Musik erlauben, solange das nicht sexuell erregend ist. Auch ein Theaterstück darfst du dir anschauen, wenn sein Inhalt religiös ist und dein religiöses Bewusstsein schärft. Ein Geistlicher ist aber gegen verführerische Körperbewegungen auf der Bühne, die dem Rezipienten etwas vermitteln sollen. Der Geistliche ignoriert damit Kunst als visuellen Ausdruck des Körpers. Er steht also als Barriere zwischen mir und der Idee, die dem Empfänger mit der Sprache des Körpers vermittelt werden soll."
Im Foyer des Kulturministeriums zerschneidet Abdulameer al-Hamdani ein rotes Band, die Ausstellung ist eröffnet. Irakische Künstler zeigen Arbeiten, mit denen sie an die mindestens 90 Menschen erinnern wollen, die im März in Mossul ums Leben kamen, als eine Ausflugsfähre auf dem Tigris kenterte und sank.
Minister Hamdani geht von Kunstwerk zu Kunstwerk, lässt sich jedes erklären. Erst seit einigen Monaten ist er im Amt. Von seinem Vorgänger erbte er einen Etat, der gerade einmal 0,2 Prozent des gesamten Staatshaushalts in diesem Jahr ausmacht. Auf seine Bitte hin gab ihm der Finanzausschuss des Parlaments bereits einen Nachschlag. Hamdani versteht, warum sich viele Künstler im Land von der Regierung im Stich gelassen und ignoriert fühlen.
"Das Problem bestand darin, dass sich das Kulturministerium von der Kunstszene aus irgendeinem Grund getrennt hatte. Jetzt aber öffnen sich die verschlossenen Türen, und es fließt wieder Wasser im Fluss. Es gibt ja auch Dinge, die keine Finanzierung brauchen! Sich den Menschen öffnen, der Jugend, rauszugehen in die Cafés, sich der Presse stellen – das ist auch alles Teil der kulturellen Aktivität."
Minister: "Kunstwerk muss irakischen Charakter darstellen"
Trotz dieser demonstrativen Offenheit des Ministers: So manch einer in Bagdads Kulturszene begegnet ihm mit Skepsis. Denn Hamdanis Machtbasis ist eine Partei, die lediglich politischer Ableger einer Miliz ist. Diese Miliz bedient sich religiöser schiitischer Symbole, zum Beispiel steckt sie entsprechende Fahnen auf ihre Militärfahrzeuge.
Das wirkt intolerant und grenzt aus, und es weckt die Sorge, dass der Minister konservative religiöse Werte vertreten könnte, die der Freiheit der Kunst widersprechen würden. Doch Hamdani gehört der Partei dieser Miliz nicht an, und seine fachliche Qualifikation – er ist promovierter Archäologe – passt gewiss zu seinem Amt. Wenn er davon spricht, wie er Kunst und Kultur künftig helfen will, wirkt er ehrlich und engagiert und überhaupt nicht wie ein religiöser Fanatiker.
"Voraussetzung unserer Unterstützung für die Kunst ist, dass das Kunstwerk – sei es ein Gemälde, Musik oder ein Theaterstück – den irakischen Charakter passend darstellt. Damit wollen wir auch unsere kulturelle Identität bewahren. Wir respektieren nicht nur die Besonderheiten der Minderheiten und verschiedenen Konfessionen, sondern wir suchen auch einen allgemeinen irakischen Schirm, unter dem alle Christen, Muslime, Kurden und Araber stehen werden. Die Einzelheiten, was die jeweilige Arbeit betrifft, überlassen wir den Künstlern; da mischen wir uns nicht ein und geben ihnen einen Raum der Freiheit. Also, diese zwei Faktoren müssen gewährleisten sein: Dass die irakische Identität bewahrt wird und dass man sich von allem fernhält, was die Iraker entzweit."
Hamadani sagt, er habe vor, die Theater und Spielstätten, die nach 2003 verwüstet wurden, endlich zu renovieren und wiederzueröffnen. Wichtig sei ihm auch, die Gründung von Verlagshäusern zu fördern; dabei gehe es ihm vor allem darum, dass die Iraker wieder mehr lesen.
Und auch um die Bildenden Künste will er sich ganz besonders kümmern. Ausdrücklich ruft der Minister Künstler dazu auf, sich direkt an ihn zu wenden, wenn sie Geld für bestimmte Projekte brauchen. Die Mittel dafür seien da, sagt Hamdani, und er wolle das Geld auch ausgeben.