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Freihandelsabkommen
Keine Vorteile für den Bildungssektor

Wenn von den Nachteilen des Freihandelsabkommens zwischen EU und USA die Rede ist, geht es meist um Lebensmittel oder den Investitionsschutz. Der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, Udo Beckmann, beklagt im DLF-Interview: Auch der Bildungssektor profitiere nicht - er solle von dem Abkommen ausgenommen werden.

Udo Beckmann im Gespräch mit Manfred Götzke | 07.05.2014
    Der Bundesvorsitzende des Lehrer-Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, beantwortet am 14.02.2014 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) die Fragen von Journalisten.
    Der Bundesvorsitzende des Lehrer-Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, fürchtet Auswirkungen des Freihandelsabkommens mit den USA auf den deutschen Bildungssektor. (dpa picture alliance / Federico Gambarini)
    Manfred Götzke: "Wir müssen den Bürgern die Ängste vor dem Freihandelsabkommen nehmen und über die Vorteile aufklären", das hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel erst gestern wieder gesagt, aber welche Vorteile dieses Abkommen für die Bürger nun konkret haben soll, darüber hat er sich auch nach dem Spitzentreffen mit den US-Unterhändlern und denen von der EU ausgeschwiegen. Die möglichen Nachteile des Freihandelsabkommens mit den USA, die kennen wir schon: US-Genprodukte, Hormonfleisch, und dann könnten Konzerne auch gegen europäische Umweltauflagen klagen, wenn die ihre Gewinne schmälern. Auch auf den Bildungssektor könnte sich das Abkommen auswirken, wie, darüber möchte ich mit Udo Beckmann sprechen, er ist Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung. Guten Tag, Herr Beckmann!
    Udo Beckmann: Guten Tag!
    Götzke: Herr Beckmann, wenn wir über das Abkommen reden, dann müssen wir das meistens im Konjunktiv tun, da derzeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wird. Was wissen Sie konkret über mögliche Auswirkungen auf den Bildungssektor?
    Beckmann: Also wir wissen ja nicht sehr viel, weil, wie Sie richtig gesagt haben, vieles im Geheimen stattfindet. Es gibt auch keinen direkten Zugang zu den Verhandlungstexten, weder das EU-Parlament noch die nationalen Parlamente sind in diese Verhandlungen eingebunden. Was wir wissen, ist aber, dass dieses transatlantische Handelsabkommen auch den Bereich Dienstleistungen mit einbeziehen wird, und in Deutschland ist es ja so, dass zu dem Bereich öffentlicher Sektor, öffentliche Dienstleistungen auch der Bildungsbereich gehört, und von daher ist auch der Bildungsbereich letztlich von diesem Handelsabkommen betroffen, was zurzeit in der Öffentlichkeit überhaupt nicht wahrgenommen und diskutiert wird und auch vielen in der Politik nicht bewusst ist.
    Götzke: und wie könnte sich das dann zum Beispiel auf den Hochschulsektor auswirken?
    Investoren könnten Bildungsstandards als Handelsbarrriere ansehen
    Beckmann: Nun, das kann sich sowohl auf den Hochschul-, als auch auf den Schulsektor auswirken, und zwar dahingehend, dass, wenn es eine solche Vereinbarung gibt, festgelegte Standards, die von den Regierungen getroffen werden, um einen hohen qualitativen Standard an Bildung in den Ländern zu haben, dass diese Standards von Investoren aus anderen Ländern als Handelsbarrieren dargestellt beziehungsweise auch angesehen werden und diese dann die Möglichkeit hätten, vor internationale Gerichte zu gehen und Deutschland zu verklagen, dass solche Handelsbarrieren bestehen, die gegen dieses Abkommen verstoßen.
    Götzke: Nun ist es allerdings so, dass Konzerne ja nur dann Staaten verklagen könnten, muss man ja auch in dem Fall sagen, wenn durch neue Gesetze die Gewinne der Unternehmen geschmälert werden, heißt im Umkehrschluss: Ein Bildungskonzern, der auf den deutschen Markt kommt, der muss sich erst mal an die geltenden Richtlinien halten.
    Beckmann: Gut, aber wir wissen, dass durch Klageverfahren sehr schnell erreicht werden kann, dass das, was besteht, auch weiter eingeschränkt wird, und von daher geht es jetzt darum, dass wir zu diesem Zeitpunkt dafür Sorge tragen, dass der Bildungssektor von diesen Verhandlungen nicht betroffen wird, genauso wie es für den Kultursektor auch gilt. Der soll ja schon bei diesen Verhandlungen ausgeschlossen werden.
    Götzke: Nun ist es ja nicht so, dass keine privaten Akteure auf dem Bildungssektor vorhanden wären. Privatunis sind ja zum Teil schon längst mit staatlichen Subventionen hier auf dem deutschen Markt. Wo läge konkret der Unterschied?
    Beckmann: Nun, wenn wir dieses Handelsabkommen unterzeichnen, danach sieht es ja auch aus, und es keinen Ausschluss für den Bildungsbereich gibt, dann könnten wir auf Dauer von ausländischen Investoren ... Es könnten Schulen installiert werden, die gewinnorientiert sind. Und unter diesem Aspekt glaube ich, gerade mit dem Blick auf eine hohe öffentliche Bildung, die wir in Deutschland haben, das ist ein hohes Gut, würde das bedeuten, dass der Grundsatz, der auch im Grundgesetz steht, dass gleiche Bildungschancen für alle gelten müssen, ausgehöhlt wird.
    Götzke: Nun gibt es ja auch viele Eltern, die ganz bewusst auf Privatschulen setzen, weil sie die für besser halten.
    Transatlantisches Abkommen könnte deutsche Gesetzgebung aushöhlen
    Beckmann: Ja, Privatschulen, so, wie wir sie zurzeit haben, unterliegen den Standards und den Regelungen und den Gesetzen, die wir in Deutschland haben. Wir möchten verhindern, dass diese Gesetzgebung, diese Standards durch ein solches transatlantisches Abkommen ausgehöhlt werden.
    Götzke: Sie haben ja gerade angeprangert, dass Unternehmen profitorientiert Bildung anbieten könnten. Auch das gibt es ja schon. Wir müssen ja uns nur die Privatschulkette Phorms anschauen, die das ja seit Jahren in Deutschland versucht. Auch da die Frage: Wo wäre genau der Unterschied?
    Beckmann: Ja, der Unterschied ist nicht sehr groß. Der einzige Unterschied, der besteht – und das ist ja das, wovor wir warnen: Wir würden Tür und Tor öffnen, dass sich solche Unternehmen hier in Deutschland breit machen könnten und die Möglichkeiten, restriktiv dagegen vorzugehen, bestimmte Standards zu verlangen, würden immer stärker eingeschränkt.
    Götzke: Frankreich hat ja schon vor Monaten dafür gesorgt, dass die Kultur aus den Verhandlungen rausgenommen wird, um zum Beispiel die staatlich subventionierte Filmindustrie zu schützen. Das sollte aus Ihrer Sicht auch für die Bildung geschehen?
    Beckmann: Das muss für die Bildung geschehen, und deswegen hat der Verband Bildung und Erziehung auch die Bundeskanzlerin, die Bundesbildungsministerin, die KMK-Präsidentin und die Fraktionen im Bundestag angeschrieben, um auf dieses Problem aufmerksam zu machen.
    Götzke: Was war die Antwort?
    Beckmann: Wir haben noch keine Antwort. Eine Antwort haben wir vom Bundestagspräsident Lammert, der unsere Eingabe an den Petitionsausschuss weitergegeben hat.
    Götzke: Ich glaube es ja nicht, aber sehen Sie irgendwelche Vorteile, die das Abkommen im Bildungssektor mit sich bringen könnte?
    Nur Nachteile für den Bildungssektor
    Beckmann: Für den Bildungssektor sehe ich überhaupt keine Vorteile. Ich sehe nur Nachteile. Und deswegen muss es uns gelingen, dass dieses Abkommen für den Bildungsbereich nicht gilt.
    Götzke: Eine absolut eindeutige Antwort. Der Bildungsbereich sollte aus dem Freihandelsabkommen mit den USA ausgenommen werden, sagt Udo Beckmann vom Verband Bildung und Erziehung. Vielen Dank!
    Beckmann: Ich danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.