Ferudastan: 2003 scheint ja das Jahr der Bücher vor Gericht zu werden. Halten Sie diese Häufung für zufällig?
Löffler: Ich denke, man muss zwei Dinge auseinanderhalten: die Biographien und Autobiographien sind das eine. Da gilt ganz bestimmt der Persönlichkeitsschutz, da müssen Leute ihre Persönlichkeitsrechte einklagen können, wenn sie sich verunglimpft, verleumdet und so weiter fühlen. Ein bisschen heikler und schwieriger ist der Fall natürlich bei literarischen Werken, die sich Roman nennen, also Fiktionen sind. Da denke ich, geht es wirklich um Literatur und da ist es sehr schwer festzustellen, ob denn wirklich hier Persönlichkeitsrechte verletzt sind, wo es doch um fiktive Figuren geht.
Ferudastan: Das ist ja auch die Grenze, die zwischen der einen und der anderen Seite verläuft, das heißt, die Personen, die in diesen Büchern vorkommen, im einen, Esra, die Lebensgefährtin des Autors und ihre Mutter und in dem anderen Buch eben auch die Lebensgefährtin, die sagen, das verletzt unsere Persönlichkeitsrechte, das sind Details aus unserer Privatsphäre, die dürfen nicht veröffentlicht werden. Und die Schriftsteller und ihre Verleger entgegnen, das Ganze ist Fiktion und wegen der grundgesetzlich garantierten Freiheit der Kunst auch erlaubt. Wie stehen Sie dazu?
Löffler: Ich würde Leuten eher immer raten, nicht zu klagen, weil die Sache ja ganz paradox läuft. Zunächst mal liest der harmlose Leser das ja als eine Fiktion, einen Roman. Dann kommt jemand daher und sagt 'das bin aber ich!’. In dem Augenblick aber, wo man sich zu erkennen gibt, ist man es auch. Das heißt, man erkennt sich in einer verzerrten Figur, findet sich da verleumdet, wenn man aber gleich sagt, dass man das ist, dann ist man es auch. Da denke ich, sollte sich jeder das zweimal überlegen, denn gerade dadurch, dass er klagt und in die Öffentlichkeit tritt, bekleckert er sich dann selbst mit seinem eigenen Namen. Gut, die Frauen haben das für richtig erachtet, so zu tun. Jetzt sind sie in der Öffentlichkeit, jetzt weiß es erst recht jemand, auch Leute, die es vorher nicht gewusst hätten und jetzt müssen sich die Gerichte damit beschäftigen. Da, denke ich, haben wir es tatsächlich mit einer größeren, einerseits Klagelust, andererseits aber auch Verurteilungslust, zu tun. Ich könnte mir vorstellen, dass einerseits die Autoren vielleicht ein bisschen schlampig sind beim Fiktionalisieren ihrer Bekannten – das rächt sich. Andererseits aber denke ich, sind möglicherweise auch die Richter nicht mehr so geneigt, die Autonomie der Kunst und Literatur zu achten und zu respektieren und lesen das Ganze viel mehr eins zu eins. Kann sein, dass sie nicht mehr so literarisch gebildet sind.
Ferudastan: Können Sie das noch mal etwas genauer sagen, was das aus Ihrer Sicht bedeutet, die Autoren sind vielleicht etwas zu schlampig beim Fiktionalisieren?
Löffler: Es gibt doch ganz einfache Regeln, die man als Autor zu beachten hat. Wenn man mit einer Freundin in München beisammen ist, dann übersetzt man das ganze nach San Francisco und wenn sie blond ist, dann macht man sie schwarzhaarig und wenn ihre Mutter den alternativen Friedensnobelpreis bekommt, macht man etwas ganz anderes daraus. Es gibt ja einfache Möglichkeiten, wie man eine reale Figur in der Fiktion verundeutlicht oder ihr eine andere Kontur gibt. Da würden sich die Gerichte da schon wesentlich schwerer tun. Aber in der Tat, so höre ich zumindest, hat Maxim Biller die tatsächliche reale Anschrift dun Adresse seiner Freundin in den Roman hineingeschrieben. Da kann jeder auch vollkommen unbelesen und literaturfremde Richter sofort sagen, das ist doch diese Frau. Die Sache ist viel heikler, man muss aber auch als Autor, denke ich, gewisse Regeln einhalten.
Ferudastan: Kann man denn überhaupt sauber eine Grenze ziehen zwischen dem legitimen Anspruch des Schriftstellers, zu schreiben, was er möchte und dem nicht mehr gerechtfertigten Versuch, eben jemanden bloßzustellen?
Löffler: Das ist natürlich die allerheikelste Frage, denn in der Tat prallen hier zwei Rechtsgüter aufeinander. Einerseits die Freiheit der Kunst und natürlich andererseits die Persönlichkeitsrechte eines Menschen, der sagt, ich möchte nicht, dass mein Privatleben an die Öffentlichkeit gezerrt wird und auch nicht durch meinen Exfreund, den Schriftsteller. Diese beiden Dinge sind immer schon aufeinander geprallt und die Gericht haben sich unterschiedlich schwer getan, das wieder auseinanderzuklamüsern.
Ferudastan: Es gibt ja in der Literaturgeschichte, Sie haben es eben kurz angesprochen, so einige Werke, die nur vordergründig Fiktion sind, aber in Wirklichkeit auch von Menschen aus Fleisch und Blut handeln und zwar Menschen, mit denen der jeweilige Schriftsteller ziemlich hart oder hässlich umgesprungen ist und über die er schonungslos intime Details verbreitet hat. Der Zauberberg von Thomas Mann gilt als so ein Beispiel, Goethes Werther oder Bücher von Gottfried Benn oder Thomas Bernhard. Wären diese Bücher im Jahr 2003 verboten worden?
Löffler: Das würde mich wahnsinnig interessieren. Ich hätte gerne gesehen, dass die Buddenbrooks vor Gericht kommen und mal sehen, wie sich die Richter damit getan hätten. Natürlich haben das Schriftsteller immer gemacht und sie machen es pausenlos, dass sie über ihr Privatleben und eigenen Bekannten schreiben, aber ich denke, man ist als Betroffener, der da portraitiert ist, klug, sich nicht zu erkennen zu geben. Gerhart Hauptmann war immer klug, das nicht zu tun in seiner Verzerrung in der Figur des Mynheer Peperkorn, denn die ganze Welt hätte darüber gelacht, wenn er vor Gericht gegangen wäre. Wir haben im Augenblick auch einen aktuellen Fall, es gibt einen Schlüsselroman über Martin Walser, der sehr persönliche und geradezu intime Details verrät und trotzdem ist Martin Walser natürlich ausgefuchst und abgefeimt genug, dass er nicht in die Öffentlichkeit gehen wird und sich darin zu erkennen gibt.
Ferudastan: Was bedeuten denn die Gerichtsurteile der jüngsten Zeit für zukünftige Romane, in denen real existierende Menschen eine Rolle spielen oder anders ausgedrückt: schadet diese Klagerei und Verbieterei der Literatur?
Löffler: Nein, aber sie schadet den Autoren. Die Autoren müssen ein bisschen vorsichtiger sein. Das ist jetzt eine furchtbare Unterstellung von mir, aber ich glaube, dass Maxim Biller und Alban Nicolai Herbst damit kokettiert haben. Sie haben doch den Skandal ein bisschen haben wollen, wollten schon, dass Gerüchte entstehen, dass man sagt, das ist doch die und das ist doch jene. Sie sind aber, denke ich, doch davon überrascht worden, dass die Gerichte so hart urteilen, denn sie haben sicher nicht damit gerechnet, dass ihre Bücher tatsächlich vom Markt gefegt werden, denn das ist etwas, was ein Autor nicht wünschen kann. So schnell kann er keinen neuen Roman schreiben.
Ferudastan: Sigrid Löffler, Chefredakteurin des Literaturzeitschrift Literatouren. Danke für das Gespräch.