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Freiheitsgöttin für die neue Welt

Sie ist das bekannteste Wahrzeichen von New York: die Freiheitsstatue. Wer Manhattan mit dem Schiff erreicht, kommt immer an ihr vorbei. 1886 wurde sie den Amerikanern von einem Franzosen geschenkt.

Von Ralf Geißler |
    Es gab eine riesige Party. Hunderttausende säumten die Straßen von New York, als am 28. Oktober 1886 die Freiheitsstatue eingeweiht wurde. Militärkapellen spielten, an der Börse warfen Händler überschwänglich Papierstreifen aus den Fenstern und US-Präsident Grover Cleveland hielt persönlich die Ansprache auf jener kleinen Insel vor New York, auf der die Statue ihre vergoldete Fackel in den Himmel streckte:

    "Wir wollen weder vergessen, dass die Freiheit hier ihr Haus gebaut hat, noch sollten wir ihren gewählten Altar vernachlässigen. Möge ein Lichtstrom die Dunkelheit der Ignoranz und die Unterdrückung der Menschheit durchdringen, bis die Freiheit die Welt erleuchtet."

    Die Idee zur Freiheitsstatue hatte ein Franzose. Frédéric-Auguste Bartholdi war ein bekannter Bildhauer seiner Zeit. Er wollte ein Monument schaffen, das an das gemeinsame Streben Frankreichs und der USA nach Freiheit erinnern sollte. Nicht zuletzt hatten beide Länder im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gegen England gekämpft. 1875 stellte Bartholdi sein Projekt vor. Er nannte es "Die Freiheit erleuchtet die Welt", erzählt der französische Historiker Robert Belot:

    "Bartholdi idealisierte Amerika. Und das hat man ihm in Frankreich sehr zum Vorwurf gemacht. Was man in Frankreich auch kritisierte: Damals emigrierten viel mehr Deutsche in die USA als Franzosen. Man beklagte sich also: Warum soll man eine Statue errichten, die vor allem Deutsche empfängt, die uns Elsass-Lothringen genommen haben?"

    Bartholdis Entwurf zeigte die römische Freiheitsgöttin Libertas. Seine Skizzen halfen ihm beim Spendensammeln, denn er wollte die Statue den USA unbedingt schenken. Lediglich den Sockel sollten die Amerikaner selbst bezahlen. Das Geld dafür kam allerdings erst durch eine Spendenkampagne des Verlegers Joseph Pullitzer zusammen. 1875 brachte ein Schiff die 350 Einzelteile der Statue aus Frankreich nach New York. Dort baute der Ingenieur Gustav Eiffel das Grundgerüst, an dem Bartholdi seine Statue montierte.

    Über Jahrzehnte hinweg bekam jeder Einwanderer die 90 Meter in den Himmel ragende, überwiegend aus Bronze geschaffene Statue zu sehen. Denn gleich auf der Nachbarinsel befand sich die Einwanderungsbehörde. Millionen folgten dem Ruf Amerikas, den die Dichterin Emma Lazarus in ein Sonett gefasst hatte, das noch heute am Fuß der Freiheitsstatue zu lesen ist:

    (aus "Der neue Koloss")
    Gebt mir eure Müden, eure Armen,
    Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren,
    den elenden Unrat eurer gedrängten Küsten;
    Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen,
    hoch halt' ich mein Licht am gold’nen Tore!


    Pathos kam nicht bei jedem gut an. Ein besseres Leben hatte Amerika bis ins 19. Jahrhundert bestenfalls den Zuwanderern aus Europa geboten. Schwarze Bürgerrechtler kritisierten die Symbolik der Statue als verlogen. In einer afroamerikanischen Zeitung, der Cleveland Gazette, war 1886 zu lesen:

    Werft die Bartholdi-Statue und die Fackel mit allem in den Ozean, bis die "Freiheit" dieses Landes derartig ist, dass es einem biederen und fleißigen Farbigen möglich ist, seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie in anständiger Weise zu verdienen, ohne "ge-kukluxt", womöglich ermordet zu werden.

    Die Kritik verhallte. 50 Jahre nach ihrer Einweihung zierte die Statue bereits Postkarten und diente als Filmkulisse. Der Jahrestag 1936 wurde fast so pompös begangen wie die Einweihung. Diesmal hielt US-Präsident Roosevelt die Rede:

    "Für mehr als drei Jahrhunderte folgte ein beständiger Strom aus Männern, Frauen und Kindern dem Leuchtfeuer der Freiheit, das diese Fackel symbolisiert. Sie brachten Festigkeit und Charakterstärke mit, geformt in Jahrhunderte alten Zivilisationen und neu entzündet vom Traum eines besseren Lebens in Amerika."

    1956 ließ US-Präsident Eisenhower die Insel mit der Statue in Liberty Island umbenennen: Freiheitsinsel. Die Freiheit, das Kunstwerk zu besichtigen, wurde allerdings mehrmals eingeschränkt – zuletzt nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Inzwischen kann die Statue wieder besucht werden. Weltweit gibt es heute dutzende Kopien. Eine der größten steht vor einem Spielkasino in Las Vegas.