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Freiheitsindex 2014
"Deutsche setzen auf Sicherheit"

Die Freiheit in Deutschland steht unter Druck", erklärte die Politikwissenschaftlerin Ulrike Ackermann im Deutschlandfunk. Der Wert der Sicherheit - also einen fürsorglichen Staat zu haben - werde immer noch höher geschätzt als der Wert der Freiheit.

Ulrike Ackermann im Gespräch mit Sarah Zerback | 07.10.2014
    Auf Transparenten fordern Teilnehmer des friedlichen Demonstrationszuges am 10.10.1989 durch die Leipziger Innenstadt immer wieder "Freiheit" - hier auf einem Banner mit drei Ausrufungszeichen zu lesen.
    Auf Transparenten fordern Demonstranten am 10.10.1989 in Leipzig immer wieder "Freiheit". Auch heute nimmt die Wertschätzung der Freiheit in Ostdeutschland weiter zu. (picture alliance / Lehtikuva Oy)
    Sarah Zerback: Wir können unsere Meinung frei äußern, unseren Wohnort und den Beruf frei wählen und unser eigenes Leben relativ frei gestalten. Solche Freiheiten, die nehmen wir uns ganz selbstverständlich in unserer modernen Gesellschaft. Wir sind uns unserer Freiheit sicher. Vielleicht ein wenig zu sicher, so sicher zumindest, dass wir ihren Wert immer weniger zu schätzen wissen.
    Das zeigt der aktuelle Freiheitsindex Deutschland 2014, den das John Stuart Mill Instituts für Freiheitsforschung in Heidelberg ermittelt hat. Doch die Ergebnisse legen auch einige widersprüchliche Einschätzungen der Deutschen offen. Darüber habe ich kurz vor der Sendung mit der Leiterin des Instituts gesprochen, der Politikwissenschaftlerin und Publizistin Ulrike Ackermann, und habe sie zunächst gefragt, wie es die Deutschen denn mit der Freiheit halten.
    Ulrike Ackermann: Wir machen jetzt den Freiheitsindex im vierten Jahr und können jetzt allmählich Trends herauskristallisieren. Dieses Jahr ist der Freiheitsindex bei minus sieben in einer Bandbreite von möglichen minus 50 und plus 50 herausgekommen. Das heißt, die Freiheit steht unter Druck, das ist ganz eindeutig.
    "Medien trauen Bevölkerung weniger Freiheitswillen zu"
    Interessant ist allerdings, dass wir jetzt beobachten können, dass die Meinung der Bevölkerung, das was die Bevölkerung unter Freiheit versteht, wie sie die Freiheit wertschätzt, und die Wertschätzung der Medien auf der anderen Seite, dass das immer weiter auseinandergeht, und das ist eine ganz interessante Beobachtung, die wir jetzt machen konnten.
    Zerback: Sie beobachten. Haben Sie das auch analysiert? Haben Sie da eine Erklärung für, wie das zusammenpasst?
    Ackermann: Na ja. Das stellen wir erst mal fest. Offensichtlich - und das ist ein waghalsiger Schluss, den man daraus ziehen kann -, dass in der veröffentlichten Meinung, das heißt in den führenden Printmedien, offensichtlich auch der Bevölkerung weniger Freiheitswillen zugetraut wird. Das könnte man daraus schließen. Aber erst mal stellen wir fest, dass es auseinandergeht.
    Die eigentlichen interessanten Befunde jetzt in diesem Index sind, dass das Freiheitsbewusstsein der Bevölkerung zwischen Ost und West sich allmählich angleicht. Das heißt, die Menschen in Ostdeutschland fühlen sich doch zunehmend freier, insbesondere die unter 30-Jährigen, und die Wertschätzung der Freiheit nimmt in Ostdeutschland zu. Dort war früher der konkurrierende Wert der Gleichheit wesentlich ausgeprägter.
    "Freiheit bleibt fragil"
    Zerback: Wir sind ja im 25. Jahr nach dem Fall der Mauer. Ist Freiheit da selbstverständlich geworden? Die Deutschen fühlen sich ja subjektiv frei. Brauchen wir in Deutschland also nicht mehr für die Freiheit zu kämpfen?
    Ackermann: Die Freiheit bleibt fragil und die Wertschätzung der Freiheit, die ist zwar in der Bevölkerung etwas besser geworden. Aber das zeigen unsere Ergebnisse auch ganz klar: Die Neigung, einen sehr fürsorglichen, betreuenden Staat zu haben, auf Sicherheit zu setzen, den Wert der Sicherheit höher zu schätzen als den Wert der Freiheit, das ist nach wie vor bei den Deutschen äußerst ausgeprägt.
    Zerback: Das zeigt Ihre Studie: Harte Drogen, Klonen, rechtsradikale Parteien, all das soll der Staat verbieten. Woher kommt denn dieses Bedürfnis nach Kontrolle? Das ist ja nicht erst seit dem Aus der FDP da.
    Ackermann: Na ja, das ist eine Widersprüchlichkeit. Die stellen wir fest. Das ist auch eine interessante Beobachtung, dass jemand, der sich frei fühlt und gleichermaßen sagt, ich will mein Leben selbst in die Hand nehmen, es dann letztendlich doch bequemer findet, wenn der Staat ihn umsorgt und für ihn aufkommt und ihn dirigiert und so weiter und so fort. Das heißt, das Freiheitsgefühl, tatsächlich waghalsig das Leben in die eigene Hand zu nehmen, das ist letztendlich etwas, was Zug um Zug eigentlich erst sich entwickeln kann.
    "Leichtfertiger Umgang mit persönlichen Daten"
    Zerback: Sie sagen gerade "Widerspruch". Einen weiteren Widerspruch haben Sie aufgedeckt: Sie haben zum ersten Mal auch eine Verbindung zwischen dem Internet, dem Datenschutz-Thema, und der Freiheit hergestellt. Da offenbart sich ja ein gewisser Fatalismus.
    Ackermann: Wir merken anhand unserer Daten und unserer Analysen, dass die Bevölkerung sich sehr wohl mit dem Thema digitale Revolution auseinandersetzt. Aber gleichermaßen zeigt insbesondere die repräsentative Bevölkerungsumfrage, dass eine diffuse Beunruhigung und eine gewisse Orientierungslosigkeit in der Bevölkerung gegenüber dem Internet vorherrscht, dass zwar einerseits die größte Bedrohung der Freiheit darin gesehen wird, dass ausländische Geheimdienste im Internet Daten abgreifen, persönliche Daten abgreifen, dass aber auf der anderen Seite, wenn man dann genauer nachschaut und nachfragt, wie die Bürger und Bürgerinnen sich um ihre Privatsphäre schützend kümmern, dabei herauskommt, dass mit den eigenen persönlichen Daten doch letztlich äußerst leichtfertig umgegangen wird, und das ist ein Widerspruch.
    "Weit entfernt von digitaler Selbstbestimmung"
    Das zeigt, dass wir von, sagen wir mal, diesem hehren Bewusstsein digitaler Selbstbestimmung noch weit entfernt sind. Allmählich gerät erst ins Bewusstsein, was die digitale Revolution uns beschert, welche Spielräume und Erweiterungen der Freiheit und Chancen der Freiheit darin liegen, aber auch welche Gefahren darin liegen, insbesondere Gefahren für die individuelle Freiheit.
    Zerback: Ob Online oder Offline - Freiheit wird in Deutschland immer weniger wertgeschätzt. Über das Ergebnis des aktuellen Freiheitsindexes habe ich gesprochen mit Ulrike Ackermann, Politikwissenschaftlerin und Leiterin des John Stuart Mill Instituts für Freiheitsforschung in Heidelberg. Vielen Dank für das Gespräch!
    Ackermann: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.