Donnerstag, 28. März 2024

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Freilassung von Deniz Yücel
"Einen Deal hat es nicht gegeben"

Für Sascha Lehnartz, Chefkorrespondent der "Welt" und Kollege von Deniz Yücel, kam die Freilassung des Journalisten sehr überraschend. Einen Deal mit der Bundesregierung habe es dabei nicht gegeben, sagte er im Dlf. Yücel habe selbst deutlich gemacht, dass er dafür nicht zur Verfügung gestanden hätte.

Sascha Lehnartz im Gespräch mit Jasper Barenberg | 16.02.2018
    Deniz Yücel nach seiner Freilassung in Istanbul.
    Deniz Yücel nach seiner Freilassung in Istanbul. (AFP / Yasin Akgul)
    Jasper Barenberg: Viele haben Anteil genommen am Schicksal von Deniz Yücel, viele haben sich für ihn eingesetzt. Ganz besonders dürfte das für die Kolleginnen und Kollegen bei der Zeitung gelten, für die der Journalist gearbeitet hat, "Die Welt". Vor der Sendung hatte ich Gelegenheit, mit Sascha Lehnartz zu sprechen, der Auslandsressortchef der Zeitung, das er lange geleitet hat, und jetzt ist er Chefkorrespondent der "Welt". Zu Beginn habe ich ihn gebeten, den Moment zu beschreiben, als er von der Freilassung von Deniz Yücel erfahren hat.
    Sascha Lehnartz: Ich habe es ganz ehrlich über Twitter erfahren, weil das erste, was ich gesehen habe in meiner Timeline, was das Bild, das Deniz Yücels Anwalt, Veysel Ok, gepostet hat, was das Bild ist, das ihn mit seiner Frau, Dilek Mayatürk, vor dem Gefängnistor zeigt.
    "Riesige Freude und Erleichterung"
    Barenberg: Und was schoss Ihnen da vor den Kopf?
    Lehnartz: Das ist ein tatsächlich ein Moment, wo man nach dem Jahr enorm emotional – da macht man eigentlich alles noch mal durch, große Freude … Es fällt eine große Last von einem ab, es ist ein Moment großer, riesiger Freude und Erleichterung, und man ist eigentlich überfordert emotional.
    "Noch nicht abschätzbar, welche Folgen es hat, wie es sich auswirkt"
    Barenberg: Können Sie uns irgendwas darüber sagen, wie es Deniz Yücel geht? Haben Sie so weit Kontakte schon knüpfen können, telefonieren können, dass Sie etwas in Erfahrung gebracht haben?
    Lehnartz: Ich habe noch nicht direkt mit ihm sprechen können. Ich habe sprechen können mit meinem Kollegen Daniel-Dylan Böhmer, der von uns aus der Redaktion der "Welt" im letzten Jahr, wie soll man sagen, die Hauptarbeit geleistet hat, den engsten Kontakt zu Deniz, zu seiner Familie und seinen Anwälten hatte. Und es geht ihm, wie man in solchen Fällen immer sagt, den Umständen entsprechend gut. Er ist natürlich auch froh und erleichtert, und man kann sich vorstellen, dass das ein Jahr war, das auch für ihn noch nicht abschätzbar ist, welche Folgen es hat, wie es sich auswirkt, und da ist erst mal der Moment der Erleichterung, dass man einfach raus ist aus der Situation, das Entscheidende.
    "Wir haben als Redaktion alles Mögliche versucht"
    Barenberg: Für uns alle, die wir am Rand stehen, die wir Außenstehende sind, ging das ja alles jetzt doch sehr schnell. Sie waren möglicherweise etwas näher dran, auch im Kontakt mit dem Kollegen, über den Sie gesprochen haben. Gab es Vorboten? War schon länger klar, dass es darauf hinausläuft, dass Deniz Yücel freikommt, mal abgesehen von den Äußerungen des Ministerpräsidenten in den letzten Tagen? So mancher Kollege sagt jetzt, ja, das hat sich schon länger abgezeichnet, dass es so kommen wird.
    Lehnartz: Dann wissen die Kollegen mehr, als ich wusste. Wir haben natürlich in den vergangenen Wochen und Monaten - hat es auf allen Ebenen immer wieder Initiativen, Aktivitäten gegeben, die Bundesregierung ist da sehr aktiv gewesen, die Bundeskanzlerin, der Bundesaußenminister. Wir haben als Redaktion alles Mögliche versucht. Die Anwälte, allen voran Veysel, haben alles Mögliche in Bewegung gesetzt. Wir haben eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, die quasi mit Dringlichkeit angenommen worden ist, eingereicht. Also, natürlich hat es ein ganzes Jahr lang massive Aktivitäten gegeben, und man darf, glaube ich, auch wirklich nicht vergessen, hier den Unterstützerkreis der Freunde von Deniz Yücel, "Free Deniz" allen voran, Doris Akrap, die ein Jahr lang die Öffentlichkeit immer wieder auf den Fall aufmerksam gemacht haben. Das alles hat es natürlich gegeben, aber ein Vorzeichen … Wenn Sie mich letzte Woche gefragt hätten, kommt er diese Woche raus, ich hätte nicht gesagt, sehr wahrscheinlich.
    Barenberg: Nun bestreitet Außenminister Gabriel, der involviert war, der auch nach Istanbul gereist ist, er bestreitet ja vehement geradezu, dass es irgendeine Gegenleistung der Bundesregierung für die Freilassung gegeben hat. Viele hier in Deutschland, viele Beobachter, auch Teile der Opposition, können das kaum glauben. Gab es im Hintergrund Zusagen, gab es einen Deal? Wie sehen Sie das?
    Lehnartz: Nein, diesen Deal hat es meiner Meinung nach nicht gegeben. Der Bundesaußenminister hat das ja noch mal klar gesagt, die Bundeskanzlerin hat es auch gesagt. Mir ist davon absolut nichts bekannt, und ehrlich gesagt, das ist etwas, was Deniz selbst ganz deutlich gemacht hat, dass er für einen Deal nicht zur Verfügung steht. Und diesen Deal hat es in dieser Form auch nicht gegeben.
    "Eine besondere Pointe der türkischen Justiz"
    Barenberg: So ist es. Er hat vehement gesagt, er steht für keinerlei schmutzige Geschäfte als Kompensation für seine Freilassung zur Verfügung, das möchte er unter keinen Umständen. Nun hat er selbst aber auch immer gesagt, dass er einen fairen Prozess für sich verlangt, und dass er auch bereit wäre, sich einem solchen fairen Prozess zu stellen. Jetzt sind wir ja in der merkwürdigen Situation, dass die Anklageschrift nun vorliegt, drei Seiten ist sie lang, irgendwann wird es also absehbar ein Verfahren, ein Gerichtsverfahren geben. Ist es für Sie vorstellbar, dass Deniz Yücel dann im Gerichtssaal in der Türkei sein wird?
    Lehnartz: Heute Abend ist das für mich schwer vorstellbar. Das ist jetzt natürlich die Situation, die wir haben, das ist eine besondere Pointe der türkischen Justiz. Wir haben ja eine ähnliche Konstellation im Fall Steudtner erlebt, da war es, glaube ich, ähnlich. Da lag eine Anklageanschrift vor, die, glaube ich, eine nicht ganz so lange Freiheitsstrafe gefordert hat, aber auch eine mehrjährige. Und dann durfte Peter Steudtner ausreisen. Bei Deniz Yücel war das Szenario nun ähnlich. Zum jetzigen Zeitpunkt halte ich es für eher unwahrscheinlich, dass wir Deniz Yücel da im Gerichtssaal sehen werden. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Prozess unter Umständen in Abwesenheit geführt wird. Ich kann mir allerdings auch sehr gut vorstellen, dass, wenn die türkische Justiz sich diese Anklageschrift noch mal genauer ansieht, dass sie sehr schnell zu dem Schluss kommen wird, dass der Prozess eingestellt wird, weil die Vorwürfe, die gegen ihn erhoben werden, nach wie vor vollkommen absurd sind, und das merkt jeder, die diese Anklageschrift liest.
    "Das sind absurde Strafen für Journalisten, die ihren Job gemacht haben"
    Barenberg: Deniz Yücel kommt an einem Tag frei, an dem sechs andere Journalisten zu lebenslanger Haft verurteilt worden sind. Wie viel Bitterkeit mischt sich da in die Freude über die Freilassung Ihres Kollegen?
    Lehnartz: Ja, das ist bitter, zumal Deniz Yücel immer wieder auch in seinen eigenen Veröffentlichungen auf das Schicksal dieser Kollegen hingewiesen hat. Er kennt die Betroffenen auch persönlich. Das sind absurde Strafen für Journalisten, die ihren Job gemacht haben, nämlich für freie Berichterstattung und für die Demokratie in der Türkei zu kämpfen.
    "Um Deniz Yücels berufliche Zukunft mache ich mir herzlich wenig Sorgen"
    Barenberg: Deniz Yücel ist Ihr Türkeikorrespondent gewesen bis zu seiner Verhaftung. Was wünschen Sie sich für seine berufliche Zukunft? Ist für Sie zum Beispiel klar, dass er das jedenfalls erst mal, jedenfalls nicht vor Ort, sein kann?
    Lehnartz: Ich wünsche mir für Deniz Yücel vor allem erst mal etwas für seine private Zukunft, nämlich, dass er den Raum findet, den Platz und die Zeit, sich von dieser Erfahrung jetzt erst mal hinreichend zu erholen. Ich wünsche ihm, dass er Zeit verbringen kann mit seiner Frau, mit Dilek Mayatürk, die auch einfach Unglaubliches geleistet hat in diesem Jahr, und ich glaube, man verkennt, was für eine unglaubliche Belastung das auch für die Familie, für Dilek Mayatürk, für das gesamte private Umfeld gewesen ist. Und danach mache ich mir ehrlich gesagt um Deniz Yücels berufliche Zukunft herzlich wenig Sorgen. Das ist einer der besten Journalisten, die Deutschland hat, und ich bin sicher, er wird einen Platz finden, wo er endlich wieder Texte schreiben kann. Denn das ist das, was Deniz Yücel am liebsten macht, wunderbar macht, und er wird es bald wieder tun, und da freue ich mich sehr drauf.
    Barenberg: Sascha Lehnartz, Chefkorrespondent der Tageszeitung "Die Welt". Danke für dieses Gespräch!
    Lehnartz: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.