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Freispruch für die Sprossen?

Die Sprossen waren es bislang nicht, bei ersten Proben in Niedersachsen konnten keine EHEC-Erreger nachgewiesen werden. Die Suche nach der Infektionsquelle für den gefährlichen Darmkeim geht also weiter.

Von Dieter Nürnberger | 07.06.2011
    Auf der einen Seite geht die Suche nach dem Verursacher weiter, auf der anderen Seite ebbt aber auch die Kritik am Krisenmanagement der Bundesregierung und der beteiligten Behörden nicht ab.

    Noch immer werden die verdächtigten Sprossen aus Niedersachsen in den Laboren überprüft, doch diese Untersuchungen fielen bislang bei über der Hälfte der Proben negativ aus. Das heißt, es kann derzeit nicht der Beweis geführt werden, dass der Erreger über die Sprossen verbreitet wurde. Allerdings kann es auch weiterhin nicht ausgeschlossen werden. Deshalb gilt weiterhin die Verzehrempfehlung der Behörden, Sprossen nicht zu konsumieren. Ilse Aigner, die Bundesverbraucher- und Landwirtschaftsministerin:

    "Wie das niedersächsische Verbraucherministerium rät auch das Bundesverbraucherministerium vom Verzehr von Sprossen ab, solange nicht alle Proben abgeschlossen sind. Und somit auch der Verdacht nicht vollständig ausgeräumt wurde."

    Das Gleiche gilt weiterhin auch für Tomaten, Gurken und Blattsalate. Auch diese Rohkost sollte gemieden werden, so die Behördenempfehlung.

    Inzwischen sind republikweit 22 Tote zu beklagen, und der Schwerpunkt dieser Fälle bleibt hier auch weiterhin der Norden Deutschlands.

    Die Kritik an den Empfehlungen der Regierungsbehörden wird indes nicht leiser. Aufgrund der Verzehrempfehlungen sind ja inzwischen längst finanzielle Einbußen von rund 50 Millionen Euro zu beklagen – allein für Deutschland. Erst die Gurken und kein endgültiger Beweis, sagen die Kritiker, nun die Sprossen, auch hier fehlt bislang die Gewissheit, der Nachweis. Andreas Hensel, der Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung, verteidigt die Behördenstrategie.

    "Hier haben wir jetzt eine Situation, in der viele Menschen als krank gemeldet werden. Wenn wir auch derzeit nicht genau sagen können, welche Produkte wirklich sicher sind, dann müssen wir aber dennoch dem Verbraucher die Möglichkeit geben, sich zu schützen. Und in diesem Sinne sind auch die Verzehrsempfehlungen zu verstehen. Das heißt, jeder von uns hat durch die Essens- und Produkt-Auswahl die Möglichkeit, die eigene Gesundheit zu schützen."

    Zu den Kritikern dieser Verzehrstrategie gehört seit heute Vormittag auch der EU-Gesundheitskommissar John Dalli. Er sagt, künftig solle es keine vorschnellen Warnungen nationaler Behörden ohne gesicherte Erkenntnisse mehr geben. Notwendig sei eine bessere Koordination der Mitgliedsstaaten.

    Stichwort Europa: Um die finanziellen Ausfälle für die Landwirte geht es heute auch bei einem außerordentlichen Treffen der EU-Agrarminister in Luxemburg. Man arbeite bereits an einem konkreten Vorschlag für Ausgleichszahlungen, heißt es. Somit wird es wohl Hilfen geben, auch Bundesministerin Aigner äußert entsprechende Erwartungen.

    "Teile unserer Landwirtschaft haben ausgehend von EHEC mit massiven Umsatzeinbußen zu kämpfen. Das ist bitter, weil es viele tausend Landwirte und ihre Betriebe betrifft, die immer verantwortungsvoll gewirtschaftet haben und hochwertige Produkte herstellen. Diese Betriebe brauchen Hilfe. Wir brauchen hier eine europaweite Lösung, weil wir ein europaweites Problem haben."

    Auf der politischen Ebene bleibt auch die Kritik an der Zusammenarbeit der Ministerien und Behörden bestehen. Die Lebenskontrolle soll weiterhin Ländersache bleiben, sagt beispielsweise Johannes Remmel, Verbraucherschutzminister in Nordrhein-Westfalen. Seine Amtskollegin aus Hessen, die CDU-Politikerin Lucia Puttrich, fordert hingegen eine Ausweitung der Kontrollen in Kantinen und Restaurant, es müsse mehr Rückstellproben geben, die dann für spätere Untersuchungen bereitstünden. Bei Eierprodukten würde dies bereits geschehen.

    Diese politische Kontroverse wird somit weitergehen. Doch die wichtigste zu klärende Frage ist derzeit weiterhin, den genauen Verursacher zu finden. Eine Arbeit, die allerdings nicht per se von Erfolg gekrönt sein muss. Erfahrungen zeigen nämlich, dass es auch sein könnte, dass der Erreger letztendlich nicht lokalisiert werden kann, weil er räumlich und zeitlich nur begrenzt aufgetreten ist. Aber auch das ist keine Gewissheit – die Suche geht somit weiter.