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Freizügigkeit
Verbandspräsident: Handwerk habe "hohe Willkommensstruktur"

Der neue Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer, sagt im Deutschlandfunk, das Handwerk könne auch Zuwanderer aus neuen EU-Staaten integrieren. Einen flächendeckenden Mindestlohn zum Schutz vor Dumping brauche es nicht.

Hans Peter Wollseifer im Gespräch mit Birgid Becker | 13.01.2014
    Der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Hans Peter Wollseifer.
    "Das Handwerk steht hinter der Energiewende", kündigt der neue ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer an. (picture alliance / dpa)
    Birgid Becker: Wie eigentlich steht das deutsche Handwerk die Zuwanderungsdebatte, die ja ausgelöst wurde durch die völlige Arbeitnehmerfreizügigkeit von Rumänen und Bulgaren zum Jahresanfang? – Hans Peter Wollseifer, den neuen Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, habe ich vor der Sendung gefragt: Was erwarten die Handwerksbetriebe von der Freizügigkeit? Fürchten sie eine neue Welle an Billigkonkurrenten?
    Hans Peter Wollseifer: Ich glaube, vom Grundsatz her hat das Handwerk eine sehr hohe Willkommensstruktur. Ich denke, dass wir die Leute, die da kommen, die EU-Bürger aus Rumänien, aus Bulgarien, schon in unseren Betrieben eingliedern können, wenn sie denn arbeitswillig und arbeitsfähig sind. Das ist natürlich die Grundvoraussetzung. Wir möchten keine Scheinselbstständigkeit. Wir möchten Facharbeiter in unsere Betriebe oder Auszubildende in unsere Betriebe bekommen, und ich glaube, dass das Handwerk auch in der Lage ist, diese Leute zu integrieren.
    Becker: Nun sorgt sich ja das Handwerk um seinen Nachwuchs und Sie selber kommen aus dem Kammerbezirk Köln und haben schon vor zwei Jahren bilanziert, dass Sie Lehrstellen nicht besetzen konnten, und das nicht nur bei den Bäckereien, wo man nachts um zwei in der Backstube stehen muss. Wie halten Sie es denn vor diesem Hintergrund mit Interessenten aus Rumänien und Bulgarien? Sie sagen, die sind willkommen. Aber können Sie denen auch helfen, etwa bei Sprachproblemen?
    Wollseifer: Ja. Wir bieten ausbildungsbegleitende Hilfen und das ist ja eigentlich ein Thema, was uns schon seit Längerem begleitet. Denn wenn wir schauen: Gerade hier in Köln haben wir bei den unter 25-Jährigen die Mehrzahl an jungen Leuten mit Migrationshintergrund oder mit ausländischem Pass sogar. Auch die versuchen wir, in unsere Betriebe zu integrieren, und das ist uns auch weitestgehend gelungen, und wir haben im deutschen Handwerk doch umfangreiche Unternehmungen, die das begleiten.
    Becker: Kurzes Beispiel?
    Wollseifer: Zum Beispiel unsere Migrationsbörsen, die wir haben. Dort versuchen wir, die jungen Leute und ihre Eltern und auch die Multiplikatoren ihrer Gesellschaftsgruppe anzusprechen in der jeweiligen Sprache. Das gelingt uns auch ganz gut. Hier in diesem Bereich sprechen wir 1.500 junge Leute an und können auch wirklich viele für die Ausbildung begeistern.
    Becker: Noch einmal auf die Sorge vor Billigkonkurrenz geguckt. Kann da ein Mindestlohn helfen? Wie steht es mit den 8,50 Euro als Schutz vor Dumping-Konkurrenz?
    Wollseifer: Wir im Handwerk vertreten die Ansicht, dass der Lohn von starken Sozialpartnern vereinbart werden muss. Wir wollen starke Gewerkschaften, wir wollen starke Arbeitgeberverbände, die dann auch miteinander verhandeln müssen und einen regionalen Mindestlohn beziehungsweise einen regionalen Tariflohn dann auch miteinander aushandeln, und ich denke, dass das der richtige Weg ist, den wir beibehalten sollten. Gesetzlicher Mindestlohn dann flächendeckend übers ganze Land berücksichtigt natürlich nicht die berufsspezifischen Ansprüche, das berücksichtigt nicht die regionalen Ansprüche. Ich glaube, da sind die Tarifpartner die richtigen, die in der Tarifautonomie bleiben sollten und den Lohn miteinander betriebswirtschaftlich kalkulieren.
    Becker: Und um ein zweites Projekt der Großen Koalition anzusprechen: Wie steht eigentlich das Handwerk zur Energiewende, die ja in vielen Bereichen durchaus ein Konjunkturprogramm sein kann? Es soll ja nicht weniger als 30 Gewerke geben, die am Ausbau erneuerbarer Energien oder an der energetischen Gebäudesanierung verdienen. Von daher: Das Handwerk müsste doch zu den ganz großen Freunden der Energiewende gehören. Ist das so?
    Wollseifer: Das ist so. Das Handwerk steht hinter der Energiewende und ich glaube, es gibt keine Energiewende ohne das Handwerk. Sie nannten eben 30 Berufe. Das ist in der Tat so, dass diese Berufe mit Energieeffizienz und mit Gewinnung der Energie verbunden sind und ihre Geschäftstätigkeit dorthin ausführen. Wir wollen die Energiewende, wir wollen sie unterstützen, aber sie muss auch mit Augenmaß passieren. Wir möchten auch eine bezahlbare Energie in Zukunft haben für unsere Betriebe. Wir haben teilweise Betriebe, die sehr viel Energie benötigen, Bäckereibetriebe, Galvaniseure, Metallbau-Betriebe. Auch die müssen natürlich in der Zukunft auch ihre Produkte weiter verkaufen können und ihre Mitarbeiter beschäftigen können in der Produktion. Das geht nur, wenn Energie bezahlbar bleibt. Das möchten wir.
    Ein Weiteres haben wir bezüglich der Energie anzumerken. Wir möchten – das haben wir in den vergangenen Jahren schon vorgetragen -, wir möchten die steuerliche Absetzbarkeit von Investitionen in die Energieeffizienz in Privatgebäuden, in Privatimmobilien. Wir glauben, dass das der Königsweg ist, nämlich Energie einzusparen. Wenn man sieht, dass über 40 Prozent der Energie in die Immobilien geht, in die Wohnhäuser geht, dann ist dort ein Potenzial, was man einsparen könnte, und es ist eigentlich verständlich: Energie, die nicht verbraucht wird, die braucht man auch nicht zu erzeugen, die braucht man nicht weiterzuleiten über Netze, die braucht man nicht zu speichern. Das ist eigentlich der Weg, den wir präferieren. Da werden wir uns auch weiter zu Wort melden.
    Becker: Dann hoffen Sie, dass die Große Koalition anpackt, was in der vergangenen Legislaturperiode liegen gelassen wurde, oder liegen geblieben ist?
    Wollseifer: So ist das. Die Koalitionsverhandlungen haben das ja auch zunächst mal aufgenommen. Dann wurde es unter Finanzierungsvorbehalt gestellt. Jetzt diskutiert man nicht mehr darüber. Aber wir werden dieses Thema thematisieren. Wir sind der Ansicht, dass das der Weg ist, der in der Zukunft richtig ist, der beschritten werden soll und der auch eine Chance für die Energiewende, für die Umwelt, aber natürlich auch für die Wirtschaft ist.
    Becker: Hans Peter Wollseifer war das, der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Der Verband vertritt etwa eine Million Handwerksbetriebe in Deutschland.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.