Freitag, 19. April 2024

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Fremdenfeindlichkeit an Schulen
"Die Hemmschwelle ist sehr niedrig geworden"

Durch die Gesellschaft ginge ein Ruck in Richtung menschenverachtender Ideologien - das spiele sich im Kleinen auch auf dem Schulhof ab, sagte Sanem Kleff, Leiterin des Netzwerks "Schule ohne Rassismus", im Dlf. Die Zahlen körperlicher Gewalt gingen zwar zurück, gleichzeitig nähmen verbale Angriffe aber massiv zu.

Sanem Kleff im Gespräch mit Michael Böddeker | 12.03.2018
    Das Logo des Netzwerks "Schule ohne Rassismus" an einem Schulgebäude
    Das Logo des Netzwerks "Schule ohne Rassismus" (Imago)
    Michael Böddeker: Heute beginnen bundesweit die "Internationalen Wochen gegen Rassismus". Am Abend ist in Dresden die Auftaktveranstaltung, und die Macher wollen mit diesen Wochen ein Zeichen der Solidarität setzen mit den Opfern und den Gegnern von Rassismus, denn die Überwindung von Rassismus, sagen Sie, dürfe nicht nur der Politik überlassen werden, sondern auch die Zivilgesellschaft müsse aufstehen. Viele tun das und engagieren sich, zum Beispiel Sanem Kleff, sie ist die Leiterin des Netzwerks "Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage". Schönen guten Tag!
    Sanem Kleff: Schönen guten Tag!
    Böddeker: Wie alltäglich ist denn das Problem Rassismus heute an den Schulen in Deutschland?
    Kleff: Alltäglich, wie Sie sagen. Rassismus eine Form der menschenverachtenden Ideologien, die uns eben an jedem Tag, ich würde sagen, an jeder Schule in irgendeiner Form begegnen. Dieses ist ja auch nicht weiter verwunderlich, denn in unserer Gesellschaft gibt es Rassismus, so wie es eben auch andere Formen gibt wie Antisemitismus, Sexismus und Homophobie. Tatsache ist, keines dieser Phänomene, auch wenn wir sie mit eigenen Namen belegen, so tauchen sie im echten Leben kaum in einer reinen isolierten Form auf, sondern sind oft die Übergänge fließend von der einen Diskriminierungsform in die andere. Diese menschenverachtenden Ideologien dienen am Ende dazu, Gruppen zu definieren, deren Unterdrückung und Ausbeutung und Herabsetzung damit scheinbar legitimiert wird.
    Böddeker: Ja, manchmal ist ja auch die Rede von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
    Kleff: Richtig.
    Selbstisolation als Folge von Aggression
    Böddeker: Da gibt es ja verschiedene Stränge, die haben Sie gerade schon etwas ausgeführt. Können die sich auch gegenseitig hochschaukeln? Ich denke da an so etwas wie Islamfeindlichkeit und religiösen Extremismus auf der anderen Seite?
    Kleff: Absolut. Also diese Phänomene sind auch deshalb immer gemeinsam ins Visier zu nehmen, da sie die Eigenschaft haben, sich gegenseitig zu beeinflussen und im negativen Falle gegenseitig zu verstärken. Ein typisches Paar haben Sie jetzt genannt mit der Muslimfeindlichkeit, die auf der anderen Seite eine stärkere Abgrenzung und scheinbare Legitimation für islamistische Positionen schürt. Dasselbe könnte man auch sagen in Bezug auf Sexismus: Je mehr Sexismus in einer Schule ist, umso mehr kann es sein, dass ein Rückzug von Mädchen oder auch anderen, eben sexistisch benachteiligten Gruppen stattfindet, die aber wiederum auch zu einer Art Selbstisolation führen kann - auch eine negative Folge. Also die negativen Folgen müssen nicht immer so aussehen, dass die eine Gruppe aggressiv ist und die andere mit Aggression zurückschlägt. Eine mögliche andere negative Folge kann eben auch sein, dass die eine Gruppe aggressiv auftritt und die Aggression ausgesetzte Gruppe sich zurückzieht. Auch das ist nicht gut für den Zusammenhalt an einer Schule und in der Gesellschaft.
    Böddeker: Es gibt ja auch immer wieder Fälle, die durch die Presse gehen. Letztes Jahr zum Beispiel ein Fall von Antisemitismus an einer Berliner Schule. Haben Sie den Eindruck, dass insgesamt Rassismus und Gewalt auf den Schulhöfen zunimmt?
    Kleff: Also Gewalt in Form von körperlicher Gewaltausübung nimmt nach allen Statistiken, die uns vorliegen - und zwar sind das sehr ernstzunehmende Statistiken von Polizei - aber vor allem auch von Versicherungsträgern, die ja ein großes Interesse daran haben, ein realistisches Bild der Gewalttaten wiederzugeben, gehen zurück in Deutschland, an allen Schulen insgesamt. Was aber uns nicht dazu führen sollte, uns in Ruhe zurückzulehnen und zu sagen, na ja, gut, dann ist ja kein Problem vorhanden, sondern gleichzeitig nehmen die Angriffe, die Haltungen, die verbalen Angriffe und die Diskriminierungen massiv zu. Ich weiß gar nicht, ob nicht vor fünf oder zehn Jahren genauso viele Menschen antisemitisch gedacht haben, mag sein, aber eins ist sicher: Heute ist die Hemmschwelle sehr niedrig geworden, dieses auch offen zu zeigen. Das hat sich geändert.
    "Gefahr, dass das soziale Lernen zu kurz kommt"
    Böddeker: Wie erklären Sie sich das?
    Kleff: Ich erkläre mir das mit dem insgesamt gesellschaftlichen Ruck Richtung menschenverachtender Ideologien, rechtsextremer Haltungen, Positionierungen. Dazu gehören eben auch größere Kontexte wie nationalistisch sein zu sollen, zu wollen. All das ist ja auch nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und eigentlich weltweit zu beobachten. Ich bin sicher, dass die Tendenzen, die wir auf dem einen kleinen Schulhof in Hannover hier beobachten, sehr wohl zusammenhängt mit diesen Entwicklungen, die eben im Land, in Europa und weltweit stattfinden. Letzten Endes sind es Kinder und Jugendliche, die an Schulen handeln, die transportieren das, was aus der Erwachsenenwelt auf sie einwirkt in ihre kleine Lebenswelt an der Schule.
    Böddeker: Und genau dort kann man aber auch ansetzen. Das versuchen Sie ja mit Ihrem Netzwerk "Schule ohne Rassismus", dagegen etwas zu tun. Über 2.500 Schulen bundesweit machen jetzt schon mit. Wie gehen Sie da vor?
    Kleff: Wir haben nicht etwa ein spezielles Programm erfunden oder eine Art Wunderseminarkonzept entwickelt nach dem Motto: Durchlauft einmal unseren Workshop, dann seid ihr befreit von Rassismus und anderem Übel. So läuft das nicht, sondern wir sind ein Netzwerk von Schulen und mehr als 300 außerschulischen Kooperationspartnern. Unsere Aufgabe ist, zwischen den beiden eine gute Scharnierstellung einzunehmen, also die Angebote von außerschulischen Organisationen, wie zum Beispiel Museen, Jugendbildungsstätten, die in die Schulen zu bringen, ist eine unserer Aufgaben, und vor allem ist unsere Funktion, die Aktivitäten an der Schule aufrechtzuerhalten. Wissen Sie, wenn kurz vor Ende des Schuljahres eine Prüfung die nächste jagt und wenn Personal knapp ist, und das ist im Moment deutschlandweit an allen Schulen so, dann gibt es die Gefahr, dass die Menschenrechtserziehung und Demokratieförderung das soziale Lernen zu kurz kommt. Wir wollen mit allen Mitteln versuchen, dem entgegenzuwirken.
    Böddeker: Heute starten die "Internationalen Wochen gegen Rassismus", und auch viele Schulen engagieren sich im Kampf gegen Hass und Gewalt, etwa im Netzwerk "Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage", das Sanem Kleff leitet. Vielen Dank für das Gespräch!
    Kleff: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.