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Fremdenfeindlichkeit
Die Tröglitzer und die Angst vor den Flüchtlingen

Anfang März legte der Tröglitzer Bürgermeister Markus Nierth sein Amt nieder. Er sah sich von NPD-Anhängern bedroht. Und noch immer wehrt sich ein Großteil der Bürger gegen die Unterbringung von nun 40 statt der ursprünglichen 70 Flüchtlinge. Nierth zeigt nun teilweise Verständnis: Er sieht in den Asyl-Gegnern nicht nur rechte dumpfe Mitläufer.

Von Christoph Richter | 02.04.2015
    Markus Nierth mit Krawatte und Mantel
    Markus Nierth: "Die Menschen müssten aufgenommen werden, sie müssten Raum haben zum Sprechen. Wer hört den Menschen denn mit ihren Sorgen noch zu?" (dpa / Jan Woitas)
    "Für die Ausländer wird viel Geld ausgegeben. Aber für uns nichts. Die kriegen die Wohnung hergerichtet von A bis Z. Jeden Scheiß."
    Es wird gehetzt und gepöbelt. Stimmung gegen Asylbewerber gemacht. Meist von Männern mit schlecht sitzenden, ausgeleierten Jeans. Die Mundwinkel sind nach unten gezogen. Durchschnittsalter: 50plus.
    "Warum kommen so viele Asylanten hier her? Soll doch jeder in seinem Land bleiben."
    "Die Bevölkerung in Tröglitz hat Angst. Die hat Angst vor der Kultur, die hier reinkommt. Und dass es hier ausartet mit Scharia wie in Essen oder Berlin-Kreuzberg. Das brauchen wir hier nicht."
    Die Mehrheit der etwa 500 Menschen, die zur Einwohnerversammlung in das DDR-typische Kulturhaus mit Empore und riesiger Bühne gekommen sind, schweigt allerdings. Empathie mit den Flüchtlingen haben nur wenige.
    "Wir sollten jetzt Solidarität üben mit den anderen Völkern. Die auch unschuldig vor dem Krieg fliehen müssen."
    Verkannte Fakten
    Eingeladen hat Landrat Götz Ulrich, CDU. Ein Jurist. Im grauen Anzug mit Bügelfalte und strahlend weißem Hemd steht er steif an einer langen weißen Tafel. Kein Wort des Willkommens an die Adresse der da kommenden Flüchtlinge, stattdessen referiert er nüchtern Zahlen und Fakten. Auf provokante Fragen reagiert Landrat Ulrich völlig emotionslos.
    "Meine Damen und Herren, wir reden hier nicht darüber, dass eine Menschenwelle über sie hinwegschwappt, die in keinem Verhältnis zur Einwohnerzahl steht."
    Denn in das 2.800 Seelendorf Tröglitz werden nur 40 statt der ursprünglich gedachten 70 Asylbewerber kommen. Dafür erntet der Landrat Beifall. Er verspricht einen Sozialarbeiter, als Ansprechpartner für die Asylbewerber. Und verweist darauf, dass Tröglitz einen Ausländeranteil von gerade mal 0,51 Prozent habe. Ein Fakt, der bei der schweigenden Mehrheit ungerührt aufgenommen wird, auch bei jener Besucherin.
    "Wenn Flüchtlinge kommen mit Kindern - kein Problem. Aber, wenn jetzt nur welche kommen, die unsere Hilfe ausnützen wollen, das ist nicht schön."
    Am hinteren Ende des riesigen Saales stehen die Vertreter der NPD. Zu erkennen sind sie an ihren T-Shirts mit NPD-Logo und der Szene üblichen Thor-Steinar-Kleidung. Sie sind die Organisatoren jener sogenannten Tröglitzer "Lichterspaziergänge" – einer Art Mini-Pegida - die vor drei Wochen auch eine Kundgebung vor dem Haus des ehrenamtlichen Bürgermeisters Markus Nierth veranstalten wollten.
    Nierth - der auch anwesend ist – sah seine Familie bedroht und legte sein Ehrenamt nieder. Auch weil er keine Unterstützung von Politikern und der Tröglitzer Bürgerschaft bekommen hatte, erzählt der 7fache Vater, als wir ihn ein paar Stunden vor der Einwohnerversammlung in seinem Haus treffen, einem ehemaligen jahrhundertealten Gasthof mit dicken Türen und dunklen Dielen - direkt gegenüber der Tröglitzer Kirche.
    "Niemals hätte ich erwartet, dass es so ein Widerhall hat. Zumal ich nun auch nicht so ein großes heldenhaftes Beispiel bin, wie es manchmal dargestellt wird."
    Markus Nierth ist Theologe und als selbstständiger Trauerredner eigentlich wortgewandt.
    Aber auch drei Wochen nach seinem Rücktritt ringt der 51-Jährige – kurze graue Haare, Drei-Tage-Bart, randlose Brille - um Worte.
    "Sicher sind das irrationale Ängste. Das Andere ist, dass die Menschen offensichtlich so viele Brüche in ihrem Leben erlebt haben. Gerade vor 25 Jahren nach der friedlichen Revolution, dass viele sich damals alleingelassen gefühlt haben. Und mit ihrer sicheren Welt, die sie hatten, die über Nacht verloren gegangen war, vor dem Nichts zum Teil standen. Keine Arbeit, zum Teil nicht mal die Berufsanerkennung mehr hatten."
    Versuch eines Psychogramms
    Markus Nierth versucht sich an einem Psychogramm der Tröglitzer Asyl-Gegner. Er sieht in ihnen nicht nur dumpfe rechte Mitläufer, sondern Menschen, die nach der Wende unter die Räder gekommen sind, denen man durch fehlende Arbeit das Selbstwertgefühl genommen habe. Sei lediglich ein Erklärungsversuch, sagt er noch. Und Nierth verweist auf die Geschichte des Ortes, der durch zwei Diktaturen immens geprägt wurde.
    Mitte der 1930er-Jahre wurde Tröglitz als Industriesiedlung aus dem Boden gestampft. Hier wohnten die Arbeiter des Top-Nazi-Konzerns Brabag Zeitz, der das so kriegswichtige Flugbenzin herstellte. Später führte die DDR das Unternehmen weiter. Nach dem Mauerfall brach fast alles weg. 4.500 Arbeitsplätze gingen verloren. Fast alle Tröglitzer wurden arbeitslos, viele von ihnen sind es immer noch.
    Deren Schicksal betrifft uns alle, sagt Theologe Nierth. Und hat Mitleid mit den Asylgegnern. Sie seien zum großen Teil Leidende. Arme Seelen, die Hilfe bräuchten. Weshalb er nach Integrationsbetreuern als Ansprechpartner für die Bevölkerung, ruft. Mediatoren, die den Tröglitzern mental unter die Arme greifen, die ihnen die Sorgen vor den Fremden nehmen.
    "Fehlen eigentlich Seelsorger. Die Menschen müssten aufgenommen werden, sie müssten Raum haben zum Sprechen. Wer hört den Menschen denn mit ihren Sorgen noch zu?"
    Ein offenes Ohr
    Er und seine Frau wollen mit gutem Beispiel vorangehen: Ein Gesprächscafé wollen sie eröffnen, indem sich die Menschen begegnen und kennenlernen, um so ihre Sorgen und Ängste abzubauen. Wir müssen an die Herzen ran, sagt der Theologe wörtlich.
    "Damit die Leute ihre Lebensgeschichten austauschen."
    Die Einwohnerversammlung endet nach etwa zwei Stunden mit einer Tröglitzer Erklärung. Unterzeichnet haben mittlerweile mehr als 100 Personen. Überschrieben ist sie mit den Worten miteinander füreinander. Und wirbt für ein weltoffenes Tröglitz, in der Flüchtlinge willkommen sind, sagt die 36jährige Sachbearbeiterin Christiane Burkhardt.
    "Weil ich es für wichtig halte, dass man ordentlich miteinander umgeht, egal welcher Herkunft man ist."
    Ein fast versöhnliches Ende am Ende einer hitzigen Debatte, in der sich so mancher im Ton vergriff. In der es viel um die Kosten der Unterbringung ging, aber nie um Menschen.