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Freude über neugewonnene Souveränität im Irak

Heuer: Der Irak ist unabhängig, jedenfalls auf dem Papier. Gestern hat die Übergangsregierung die Souveränität bekommen. US-Zivilverwalter Paul Bremer hat das Land gleich darauf verlassen. Was bedeutet das für die Menschen im Land? Wird jetzt alles besser für die Iraker? In Bagdad ist in diesen Tagen mein Kollege Hassan Hussain von der Deutschen Welle. Guten Morgen, Herr Hussain.

Moderator: Christine Heuer |
    Hussain: Guten Morgen, Frau Heuer.

    Heuer: Terroristen, diese Nachricht hat uns heute Früh erreicht, sollen eine US-Geisel im Irak getötet haben, wiederum eine US-Geisel. Wie groß ist Ihre Hoffnung auf Frieden im Irak?

    Hussain: Die Hoffnung ist seit gestern relativ größer geworden als die Tage zuvor. Auf jeden Fall haben die Menschen die Überraschung als gut empfunden und zuerst hat man geglaubt, dass die Überraschung sie gelähmt hat, aber nach und nach hat man doch Freude, gewisse vorsichtige Freude zum Ausdruck gebracht. Gestern Abend waren viele Menschen auf die Straße gegangen und haben entspannte Spaziergänge und Einkäufe gemacht. Ich glaube, die Menschen haben seit gestern eine neue Hoffnung und neues Vertrauen bekommen zu der neuen Regierung, weil die Maßnahmen, die ergriffen worden sind einfach dafür sprechen.

    Heuer: Aber woher nehmen die Menschen im Irak diesen Optimismus, diese Freude, Herr Hussain? Denn in der Tat wird sich ja jetzt faktisch erst einmal recht wenig ändern.

    Hussain: Ja, aber hier in dem Straßenbild im Irak hat sich eine Menge geändert. Seit gestern Vormittag zum Beispiel sind die wichtigsten Symbole der Besatzung nicht mehr vorhanden, sind einfach verschwunden. Das sind die Straßensperren der Amerikaner, das sind rollende Panzer der Amerikaner und anderer Truppen, seit gestern ist das alles verschwunden, die Symbole sind nicht mehr da, man ist wieder unter sich, die Straßen sind freier, der Verkehr läuft flüssiger als vorher und keine Spur von amerikanischer Besatzungsmacht. Man weiß, dass sie noch im Land sind, aber sie sind jetzt nicht Herr des Landes, das sind die Iraker selber, das ist das eine, das andere ist aber auch, das die neue Regierung gestern durch die Rede von Ministerpräsident Ijad Allawi eine gewisse Entschlossenheit gezeigt hat durch die Maßnahmen, die jetzt ergriffen werden. Heute und morgen werden wahrscheinlich einige Maßnahmen bekannt werden, zum Beispiel werden einerseits die Angehörigen der alten Armee wieder in die neuen Streitkräfte des Irak integriert und wer nicht mehr tauglich ist, der wird umgeschult und in der zivilen Verwaltung eingesetzt. Das ist das eine, das andere ist aber auch, dass man durch die Maßnahmen, die heute oder morgen bekannt werden, im Kampf gegen, wie es heißt, Terrorismus hier im Land noch schärfer vorgeht und das führt auch dazu, dass die Polizei jetzt überall präsent ist. Alle Straßen, die von und nach Bagdad führen, werden scharf kontrolliert, noch sind das Amerikaner, die auf den Autobahnen Kontrollen durchführen, aber demnächst werden das Iraker sein und das schafft bei den Menschen neues Vertrauen.

    Heuer: Sie erwähnten den Kampf gegen den Terrorismus. Schon in wenigen Tagen sollen die Iraker selbst ja für mehr Sicherheit im Land sorgen. Aber könne das die schwachen irakischen Sicherheitskräfte überhaupt leisten, Herr Hussain?

    Hussain: Das kann man jetzt nicht behaupten, mit Sicherheit nicht. Also, alleine für die Sicherheit zu kämpfen, das wird eine zu große Aufgabe sein für die neu entstandenen irakischen Streitkräfte. Aber wenn man weiß, dass die Amerikaner, das behaupten jedenfalls die Verantwortlichen hier im Land, dass die Amerikaner noch im Rücken stehen als Verstärkung, dann glaubt man, dass man doch dieser Aufgabe gewachsen ist und dass man die Lage nicht sofort, aber im Laufe der Zeit in den Griff bekommt.

    Heuer: Für die Bevölkerung im Irak besonders wichtig ist der wirtschaftliche Wiederaufbau des Landes und der Wiederaufbau der Infrastrukturen, da geht es vor allen Dingen um die Versorgung mit Strom und Wasser. Die Amerikaner haben in diesen Punkten nicht allzu viel erreicht. Können die Iraker selbst es besser?

    Hussain: Es sieht so aus, das hängt wiederum von der Sicherheitslage ab, denn die ausländischen Fachkräfte, die hier gearbeitet haben, die sind verschwunden, die sind nicht mehr da und man braucht sie aber. Dafür hat man jetzt irakische Fachkräfte und einige arabische Fachkräfte auch eingesetzt. Diese Probleme werden noch eine Weile bleiben und das ist natürlich Thema Nummer Zwei nach der Sicherheitsfrage: die Versorgung vor allem mit Strom. Ich sitze jetzt gerade hier mit Stromunterbrechung und es ist schon um diese Stunde an die 20 Grad Hitze jetzt im Schatten zu beobachten, das ist unangenehm für die Menschen, aber man hat gelernt damit zu leben, denn diese Situation ist nicht seit gestern oder vorgestern, sondern seit über zehn Jahren, seit der Verhängung des Embargos gegen den Irak. Es ist einfach so und man glaubt nicht, dass dieses Problem heute oder morgen gelöst wird, man hat sich irgendwie darauf eingestellt.

    Heuer: Im Januar soll es Parlamentswahlen geben und kurz danach eine reguläre irakische Regierung, wer wird sich da durchsetzen, die Schiiten?

    Hussain: Im Moment kann man kein klares Bild über die Stärke der Parteien, sowohl der Schiiten als auch der anderen Parteien machen, weil das geht alles durcheinander. Wir haben jetzt über 120 Parteien im Land, niemand kann sagen, diese Partei ist am größten und die andere ist am kleinsten. Wir müssen abwarten wie der Wahlkampf anläuft und welche Bündnisse entstehen, erst dann kann man darüber reden. Aber auf jeden Fall ist zu beobachten, dass die Volksreligiösität im Irak sehr stark sind, man rechnet damit, dass die schiitischen Parteien in Bagdad aber auch im Süden des Landes an die 50 Prozent bekommen werden. Aber es sind über 20 Parteien Schiiten, ob sie sich alle dann auf eine Linie einigen können, das wage ich jetzt nicht zu behaupten, ich zweifle einfach daran. Es wird keine einheitliche schiitische Partei geben, die das Land mit einer Mehrheit regieren wird, es wird auf jeden Fall eine Koalition geben.

    Heuer: Das klingt so, Herr Hussain, als rechneten Sie auf jeden Fall damit, dass der Irak in sich, die Bevölkerung religiöser sein wird in Zukunft. Sind die Iraker überhaupt eingestellt auf die Demokratie, die ihnen da offeriert wird?

    Hussain: Ich glaube, die letzten Monate haben gezeigt, dass die Menschen mit der neuen Freiheit relativ gut umgehen. Ich rede natürlich von den friedlichen Menschen, ich schließe in diesem Gespräch im Moment die gewalttätigen Gruppen aus. Aber die Mehrheit ist schon darauf eingestellt. Nun, Demokratie muss erlernt werden und der Prozess dazu hat schon längst begonnen hier im Land und ich kann nur behaupten durch die Gespräche, die stattgefunden haben, auch die einfachen Menschen meinen, jeder hat das Recht seine Meinung zu äußern, jeder hat das Recht eine Partei zu gründen und im Parlament vertreten zu werden. Wenn das alles stimmt und die Menschen es meinen, wie sie es sagen, dann glaube ich, dass die Demokratie auch eine Chance hat. Im Übrigen haben gestern auch viele Politiker behauptet, die Demokratie, die wir hier meinen, ist keine Ware, die aus dem Ausland importiert worden ist sondern es ist ein Prozess, der unter uns entsteht.

    Heuer: Mein Kollege Hassan Hussain von der Deutschen Welle, wir haben ihn in Bagdad erreicht. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Hussain.

    Hussain: Bitte.