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Fricke: Wir machen uns vor, dass Staaten nicht pleitegehen können

Haushaltspolitiker Otto Fricke (FDP) fordert mehr Ehrlichkeit beim europäischen Krisenmanagement: Länder könnten pleitegehen. Fricke stellt zudem den Bankenstresstest infrage: Die jetzt in Schieflage geratene Dexia-Bank habe bei dem Test gut abgeschnitten.

Otto Fricke im Gespräch mit Jasper Barenberg | 10.10.2011
    Jasper Barenberg: Die Krise spitzt sich zu. Schon dieser eine Satz aus dem Mund von Finanzminister Wolfgang Schäuble macht klar, was die Stunde offenbar geschlagen hat, dass Griechenland seine 350 Milliarden Euro Schulden wohl nie wird zurückzahlen können, dass europäische Banken auf viel Geld verzichten müssen, das sie dem Land einst geliehen haben, und dass viele Institute diese Abschreibungen in Milliarden-Höhe wahrscheinlich nicht aus eigener Kraft stemmen können.
    Am Telefon ist jetzt Otto Fricke von der FDP, der haushaltspolitische Sprecher der Fraktion. Schönen guten Morgen, Herr Fricke.

    Otto Fricke: Herzlichen schönen guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Bleiben wir, Herr Fricke, bei der gerade genannten Dexia-Bank. Wie man mit ihr verfährt, das gilt ja an den Finanzmärkten als eine Art Test dafür, ob es denn gelingen wird, den Zusammenbruch von Banken im Sog der Krise zu verhindern. Also: Die Entscheidung ist gefallen. Frankreich und Belgien werden tief in die Tasche greifen und die Banken weitgehend verstaatlichen. Wird bald die erste Bank in Deutschland folgen?

    Fricke: Das hängt von den Zahlen und vom Szenario ab. Ich glaube, wir müssen eines erkennen: Der Vorwurf an die Politik in der letzten Zeit war ja immer, ihr kommt immer erst dann, wenn das Kind sozusagen in den Brunnen gefallen ist, mit immer neuen Dingen. Jetzt sagen wir, in dem Fall, dass bei Griechenland die Troika sagt, es geht nicht mehr, müssen wir dann auch dafür sorgen, dass es keinen Flächenbrand gibt und dass die Banken stabilisiert werden, und dann muss man genau sehen, wer welche Zahlen dann hat, und muss dann die zweite Frage noch entscheiden – auch die ist noch nicht entschieden -, gebe ich nur dem, der beantragt, oder sage ich, ich mache es generell. Also das ist eine, ich will jetzt nicht sagen, philosophische Entscheidung, aber eine Grundfrage, die vorher noch geklärt werden muss.

    Barenberg: Die Troika, die in Griechenland dabei ist, die Anstrengungen dort zu überprüfen, die Troika aus EZB, IWF und Europäischer Kommission, die stellt ja dem Land ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. Haben Sie denn noch Hoffnung, dass es am Ende einen positiven Bescheid geben würde?

    Fricke: Ich persönlich nein, ich habe das nicht, vor allen Dingen, wenn man sieht, welche Diskussionen es über die Frage gibt, wo Griechenland – und ich will das ausdrücklich sagen – versucht hat zu erreichen, was von der Troika verlangt worden ist, aber einfach nicht in der Lage ist. Für mich erscheint Griechenland als ein Land, das es politisch will, sicherlich mit manchen Auseinandersetzungen, das aber, wie ein ehemaliger Marathon-Läufer, so unfit geworden ist, dass es trotz mancher Anstrengungen es nicht mehr schafft, innerhalb einer gewissen übersehbaren Zeit wieder, ich sage mal, auf unter fünf Stunden für die 42 Kilometer zu kommen. Da liegt die Schwierigkeit und dann muss man das auch sehen. Und wenn das so ist, dann hat das Folgen und dann haben wir wie beschrieben bei den Banken die Probleme, allerdings diesmal – auch das gehört zur Wahrheit dazu – nicht deswegen, weil man irgendwelche Papiere zerstückelt hat und damit Spielchen gemacht hat, sondern deswegen, weil die Politik (und das ist der Kern des Übels) Schulden gemacht hat und sie jetzt nicht zurückzahlen kann.

    Barenberg: Und die Banken haben gut daran verdient!

    Fricke: Die Banken haben gut daran verdient, ja, und das ist ja dann auch die weitere Folge. Wenn sie das denn dann tun, auch weil man ihnen sagt, das wurde ja eben auch noch mal beschrieben, ihr braucht, wenn ihr Staatsanleihen habt, anders als bei anderen Papieren kein Eigenkapital zu hinterlegen. Aber wenn es dann folgt – und das ist dann auch wieder ein Teil von Marktwirtschaft -, dann heißt das auch, dass im Zweifel durch den Staat übernommen werden muss, der dann da auch eintritt, also nach dem Motto, Kapital ohne Gegenleistung wird es nicht geben, hat es aber auch, darf man in der Vergangenheit sagen, in Deutschland nicht gegeben, Stichwort Hypo Real Estate und Stichwort anderes.

    Barenberg: Und das würde dann auch auf andere Institute zutreffen, dass ein Preis zu bezahlen wäre dafür, dass der Staat ein weiteres Mal einspringt?

    Fricke: Ich kann ja nicht davon ausgehen, dass der deutsche Steuerzahler sagt, okay, Pass auf, auch um das System zu retten – es geht ja nicht um die einzelne Bank; es geht ja darum, dass gerade, ich sage mal, die Sparkasse vor Ort, die kleine Genossenschaftsbank vor Ort, aber auch die kleine Privatbank vor Ort, die ordentlich gearbeitet hat, die nicht in Staatsanleihen investiert hat, die gut dasteht, nicht dadurch mit in den Sog gezogen wird, dass alle anderen um sie herum in Probleme kommen, und dann muss man an der Stelle dann auch sagen, da wird es dann entsprechende Verpflichtungen geben. Wie die dann genau aussehen, auch darüber muss man diskutieren. Noch mal: Lieber jetzt vorher darüber reden, als nachher zu sagen, jetzt muss es alles ganz schnell gehen, und dann sagt der Bürger wieder zurecht, ja guck mal, ihr lasst euch von den Finanzmärkten treiben. Jetzt haben wir gesagt, wir geben Griechenland eine Chance. Wenn sie diese Chance nicht einhält, was nicht die Politik feststellt, sondern die Troika, dann müssen wir aber dafür bereit sein und dann muss es nach fairen Kriterien gehen. Allerdings sage ich auch, wenn es um die Frage von Stabilisierung geht, kann es nur um die Stabilisierung von systemrelevanten gehen, und dann muss man aber auch sagen, dann müssen sie dafür einen Teil ihrer Eigentümerposition abgeben.

    Barenberg: Und die anderen kann man dann pleitegehen lassen?

    Fricke: Nein! Bei den anderen, glaube ich, muss man ganz einfach sehen: Wenn keine Systemrelevanz da ist, wenn es also nicht die Auswirkungen auf die hat, die ordentlich gewirtschaftet hat, dann sind doch diejenigen, die sich mit zu viel "schlechten Papieren" versorgt haben, nicht vom Staat zu retten. Die Rettung durch einen Staat geht ja nicht deswegen, weil man der Meinung ist – ich weiß, dass das der Vorwurf der Politik ist -, nach dem Motto, wir retten, komme was wolle, sondern wir retten, um insgesamt das System unserer Marktwirtschaft zu erhalten und die Möglichkeit auch zu erhalten, dass, falls es schlechter wird, wir immer noch jemanden haben, der Geld gibt für Investitionen, der Geld gibt, wenn jemand sich ein Haus kaufen will und eine Hypothek braucht, der Geld gibt, wenn der kleine Mittelständler sich eine neue Maschine kaufen will.

    Barenberg: Herr Fricke, Sie haben jetzt viel von vorausschauender Politik gesprochen und darüber, dass diese Überlegungen alle jetzt angestellt werden müssen. Wir erinnern uns ja vielleicht noch gemeinsam daran, dass Anfang des Jahres ein Stresstest für die Banken gemacht wurde, und da wurde denen beste Noten ausgestellt, und jetzt auf einmal sieht die Situation ganz anders aus. Also vorausschauende Politik sieht doch anders aus!

    Fricke: Da haben wir das größte Dilemma. Die Dexia lag, glaube ich, auf Platz 14 von ungefähr 90 Banken, also wirklich sehr weit oben, und hieran sehen wir, dass dieser berühmte Stresstest, der da gemacht worden ist, übrigens nicht einfach von der Politik, sondern hier auch wieder von Fachleuten, dass der nicht funktioniert hat. Und das hat etwas damit zu tun, dass wir uns an vielen Stellen dann etwas vormachen. Auf der einen Seite müssen wir eigentlich als Politik sagen, wir müssen auch mit schlimmen Szenarien rechnen. Dazu gehört dann auch, dass Staatspapiere, wo wir immer gesagt haben, nein, nein, die fallen grundsätzlich nicht aus, da braucht ihr kein Eigenkapital zu hinterlegen, eben auch ausfallen können. Das Schlimme, was wir haben und wo das eigentlich moralische Dilemma liegt, ist, dass wir immer uns vorgemacht haben, Staaten können nicht Pleite gehen, Länder können nicht Pleite gehen, Kommunen können nicht Pleite gehen, da steht ja immer der Steuerzahler hinter und garantiert. Und das haben wir dann nicht ehrlich da reingerechnet und das muss man dann tun. Tut man es allerdings, werden die Märkte nervös. Ich glaube allerdings, dass das zur gegenwärtigen Zeit dazugehört, sich hier, wie sagt man leider so platt und schön, ehrlich zu machen und auf der Basis zu agieren, allerdings dann auch nicht jedes Mal panisch zu werden und zu glauben, morgen geht die Welt unter.

    Barenberg: Und zur Ehrlichkeit gehört dann auch dazu, dass auch bei der nächsten möglichen Runde Bankenrettung am Ende wieder der Steuerzahler die Zeche zahlt?

    Fricke: Wenn er es denn zahlt. Es kommt jetzt darauf an. Wir haben bei der Hypo Real Estate, bei der WestLB, bei der Bayrischen Landesbank, bei der LBBW gegenwärtig den Fall, dass der Steuerzahler stark in der Haftung ist. Wir haben bei der Commerzbank, um ein anderes Beispiel zu nehmen, den Fall gehabt, ja, der Steuerzahler war, bisher hat der Steuerzahler daran verdient, ein Großteil davon ist zurückgezahlt (das gilt auch für eine andere Bank). Man muss hier einfach sehen, man muss unterscheiden zwischen der Frage, wo muss ich es machen, um es zu dämpfen, und bekomme es zurück. Aber ja, das stimmt, das Risiko ist da. Nur die Alternative wäre, auch wenn hier der große Streit in der Öffentlichkeit geht und ich die Diskussion regelmäßig dann auch bekomme, ich weiß nicht, was in dem Fall passiert, dass wir nichts tun und sagen, ja Pech gehabt, müssen wir halt mal sehen. Die Chance, das System zu stabilisieren, ist die Chance, die verpflichtend notwendig ist in der sozialen Marktwirtschaft, wenn wir können es nicht wie in anderen Ländern machen, oder wie Amerika es bei Lehman probiert, dass wir sagen, lassen wir mal Pleite gehen, gucken wir was kommt, diejenigen, die es erwischt, haben dann halt Pech gehabt. Und wenn es ausgerechnet dann der Mittelständler ist, dessen Bank über die Wupper geht, der eigentlich gut läuft, dann werden wir uns alle nachher wundern, dass unsere Wirtschaft runtergeht. Das kann es nicht sein.

    Barenberg: Sie haben ja so etwas beschrieben wie die Kehrtwende der Politik der Bundesregierung. Jetzt sagt Angela Merkel nach dem Treffen mit Frankreichs Präsident Sarkozy, es wird noch eine Weile dauern, erst Ende des Monats läge das Gesamtkonzept vor. Ist das nicht ein bisschen spät dann?

    Fricke: Also es wird jetzt daran gearbeitet. Man muss ja auch sehen: Ich hätte es auch gerne früher, ja, aber andererseits haben wir einerseits das Problem, dass wir innerhalb der Euro-Zone uns möglichst einig sein müssen. Das ist ja schon beim EFSF schwer, ich hoffe, dass die Slowakei hier jetzt zu Potte kommt. Zweitens müssen wir innerhalb Europas klar kommen und dann auch noch über G-20. Und dann müssen wir gucken, dass es dabei keine Verwerfungen gibt. Der Streit zwischen Deutschland und Frankreich, der nicht an die Öffentlichkeit bisher groß dringt, den man aber überall lesen kann, ist ja, muss erst mal nicht eine Bank A selbst gucken, wenn sie das nicht kann, muss es B das jeweilige Land tun, und erst dann, wenn es das nicht kann, muss es Europa tun. Und dieses "muss es das Land selbst tun", das wird dann eben auch die Frage sein, wie Frankreich mit seinen Banken umgeht. Und erst als letztes kommt dann Europa an die Stelle, es zu tun. Aber das heißt auch Einigung bis daher, und da geht es dann um Macht im positiven wie im negativen Sinne und da haben wir unsere Verpflichtungen.

    Barenberg: Otto Fricke von der FDP, der haushaltspolitische Sprecher, er ist auch parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion. Danke, Herr Fricke, für das Gespräch.

    Fricke: Einen schönen guten Morgen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Wirtschaft und Gesellschaft: Menetekel Dexia Bank

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