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"Frieden kann nicht erzwungen werden"

Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, hält einen Einsatz deutscher Soldaten bei einer UNO-Mission im israelisch-libanesischen Grenzgebiet für möglich. Unter der Voraussetzung, dass die Konfliktparteien die Waffen ruhen ließen und ein Weg zum Frieden eingeschlagen werde, müsse sich Deutschland dieser Verantwortung stellen.

Moderation: Christine Heuer | 19.07.2006
    Christine Heuer: Am Telefon ist der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Rainer Arnold!

    Rainer Arnold: Schönen guten Morgen!

    Heuer: Sind Sie selbst, Herr Arnold, für oder gegen eine neue UN-Truppe im Libanon?

    Arnold: Ach, ich weiß nicht, ob man so komplizierte Konflikte mit einfachen Antworten klären kann. Ich selbst bin der Meinung, dass man die Dinge immer zum richtigen Zeitpunkt diskutieren muss und nicht das Pferd vom Schwanz her aufzäumen darf. Dies heißt im Klartext, ich bin nicht der Auffassung, dass eine schnelle Entscheidung dort sinnvoll ist. Weil, eine schnelle Entscheidung würde ja bedeuten, dass es eine friedenserzwingende Truppe gibt, und dies halte ich angesichts der Komplexität des Konfliktes für völlig ausgeschlossen. Das heißt, ich kann nur über so etwas nachdenken, wenn die Reihenfolge klar ist. Und da müssen zunächst einmal die Waffen schweigen in einem Waffenstillstand, und die Konfliktpartner müssen auch eine internationale Truppe akzeptieren. Und dann sollte als drittes eine Perspektive dazukommen. Wenn sich die Konfliktpartner insgesamt zur Lösung des Palästina-Israel-Konfliktes nicht wieder auf den Weg der Roadmap begeben, haben wir dann zwar im Libanon vielleicht eine kleine Insel der Sicherheit im Süden geschaffen, aber der Konflikt wird an anderer Stelle wieder aufbrechen und somit wäre am Ende nichts gewonnen. Also es sind viele, viele Voraussetzungen zunächst einmal zu klären.

    Heuer: Die haben wir jetzt einmal kurz angerissen. Sie sagen, schnelle Entscheidungen, da wären Sie dagegen. Aber irgendwann muss ja entschieden werden. Ist es richtig, dass die Bundesregierung intern schon entschlossen hat, wenn es diese Truppe gibt, dann auch mitzumachen?

    Arnold: Das kann ich nicht sagen, was die Bundesregierung entscheidet. Ich kann nur für das Parlament sprechen: Wir sind mit dieser Frage im Augenblick offiziell überhaupt nicht betraut. Und insofern ist aber sicherlich jedem deutschen Parlamentarier klar, dass wir als Bundesrepublik schon ein ganz besonderes Verhältnis zum Staat Israel haben, eine besondere Verantwortung, aber auch mit einer besonderen Sensibilität an diese Fragen herangehen müssen. Wenn es denn zu einem Prozess der Roadmap wieder käme, und man könnte mit einer internationalen Truppe diesen Prozess absichern, glaube ich schon, dass die Bundesregierung und das Parlament sich dieser Verantwortung stellen müssten. Ich denke, die ganze Welt und wir in hohem Maße auch, haben ein großes Interesse daran, dass dieser Konflikt dann tatsächlich einmal wieder in Richtung Frieden weitergeht und nicht immer stärker eskaliert wie in den letzten zehn Tagen.

    Heuer: Will heißen, Herr Arnold, Sie können sich deutsche Soldaten an der israelischen Grenze im Rahmen einer UN-Mission vorstellen?

    Arnold: Ich kann das nicht ausschließen, ganz eindeutig. Ich kann mir das auch vorstellen, aber die Reihenfolge ist klar. Und ich sehe im Augenblick überhaupt keine Indikatoren, dass Israel seine grundsätzliche Position ändert. Die ist sehr, sehr skeptisch in der Vergangenheit gewesen gegenüber Truppen der Vereinten Nationen. Die gibt es ja mit 2000 Soldaten schon im südlichen Teil des Libanons. Und ich sehe auch überhaupt noch keine Ansätze, dass die Konfliktparteien überhaupt wieder eine Bereitschaft finden, zusammen an einem Tisch zu sitzen und sich auf einen diplomatischen Weg einzulassen. Und dies wäre aus meiner Sicht eine der Grundvoraussetzungen, dass wir uns so einer Debatte auch in Deutschland überhaupt nähern können.

    Heuer: Herr Arnold, Sie haben das Parlament schon angesprochen: Wie ist denn die Stimmung in Ihrer eigenen Fraktion, was einen solchen Einsatz mit deutschen Soldaten angeht? Gibt es da eine Mehrheit? Ist das klar?

    Arnold: Dies kann man im Augenblick überhaupt nicht abschätzen. Aber im Parlament geht man sicherlich sehr verhalten an solche Diskussionen heran. Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir sehen, dass die Bundeswehr auf dem Balkan, in Afghanistan in einer zunehmend schwierigen Situation und aktuell jetzt auch im Kongo natürlich schon sehr stark belastet ist und wir auch die Möglichkeiten und die Fähigkeiten, die die Truppe hat, nicht aus den Augen verlieren dürfen. Dies heißt, für kurzfristige Einsätze, die ein paar Wochen oder Monate gehen, hat die Bundeswehr sicherlich noch Reserven. Für einen lang andauerndes Mandat - und dies wäre in Israel und Palästina sicherlich notwendig - ist die Truppe dann tatsächlich auch nicht unbedingt sehr gut vorbereitet, weil die Möglichkeiten angesichts der anderen Aufgaben begrenzt sind. Also man muss hier unterscheiden, kurzfristige Mandate wären möglich, langfristige wären für die Truppe sehr, sehr schwer. Das heißt im Klartext, man müsste auch irgendwann einmal andere Aufgaben erledigen können, zum Beispiel in Bosnien-Herzegowina.

    Heuer: Ist das ein Hintertürchen?

    Arnold: Nein, ich glaube nicht, dass das ein Hintertürchen ist. Mit dem Argument, die Bundeswehr kann nicht mehr, dürfte sich Deutschland, wenn die Staatengemeinschaft am Ende zu einer positiven Entscheidung kommt, dann nicht aus der Verantwortung stehlen. Dies halte ich bei diesem Konflikt für ausgeschlossen. Wir würden uns sicherlich an die Decke strecken, und die Soldaten würden das auch akzeptieren, um hier unserer Verantwortung gerecht zu werden. Aber es ist Zukunftsmusik. Ich sehe überhaupt nicht, dass die Konfliktparteien eine Bereitschaft haben, sich wirklich wieder auf einen diplomatischen Weg zu begeben.

    Heuer: Zukunftsmusik, sagen Sie, aber die wird schon sehr konkret besprochen: Zum Beispiel geht es schon um die Truppenstärke. Da sind Zahlen im Gespräch zwischen 2000 und 8000 Soldaten. Welche halten Sie für wahrscheinlicher?

    Arnold: Das kann man im Augenblick mit Sicherheit überhaupt nicht sagen. Also wir müssen jetzt wirklich aufpassen, dass wir nicht den vierten Schritt vor dem ersten machen und uns ins Reich der Spekulationen begeben. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Vereinten Nationen sehr detaillierte Vorstellungen haben, sondern dass Kofi Annan eher einmal diesen Impuls gesetzt hat, dass die UNO hier Verantwortung übernehmen muss. Dies finde ich auch richtig, dass die Staatengemeinschaft sich Gedanken macht, welche Beiträge sie zur Lösung des Konfliktes leisten kann. Aber noch einmal: Frieden kann nicht von außen erzwungen werden, solange die Konfliktparteien keine Bereitschaft dazu haben, die Waffen schweigen zu lassen.

    Heuer: Es wird schon gesprochen über einen zweiten oder gleichzeitigen UN-Einsatz nicht nur an der israelisch-libanesischen Grenze, sondern auch im Gazastreifen. Halten Sie das für sinnvoll?

    Arnold: Ich denke, wenn die Konfliktpartner sich auf die Roadmap einließen und wirklich einen Weg einschlagen, der Schritt für Schritt zu einer dauerhaften Lösung, das heißt zu einer Zwei-Staaten-Lösung kommt, wenn es dazu führt, dass auch Hamas und die Palästinenser den israelischen Staat in seinen alten Grenzen akzeptieren, dann denke ich, kann eine internationale Truppe einen Beitrag leisten. Das gilt dann für den Gazastreifen, das wird am Ende dann aber auch für die Westbank gelten. Nicht friedenserzwingend, aber beobachtend und Stabilität garantierend, das wäre schon hilfreich, ja.

    Heuer: Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold. Danke für das Gespräch.