"Wir wollen aus diesem waffenstarrenden, weltumspannenden Irrenhaus ausbrechen. Wir wollen kein Feindbild, wir wollen nicht das Fußvolk einer Raketenpartei sein."
Petra Kelly, Gallionsfigur der damals noch jungen Partei der Grünen, auf der Friedensdemo im Bonner Hofgarten. Rund 300.000 Menschen versammelten sich an diesem Tag in der Bundeshauptstadt. Sie protestierten gegen die Rüstungspolitik der NATO und des Warschauer Paktes. – Darunter der linke SPD-Politiker Erhard Eppler: "Friedensbewegung, das ist zuerst einmal das Bündnis derer, die nichts mehr von Rüstung wissen wollen, mit denen, die zu viel davon wissen."
Vereint gegen die Logik atomarer Abschreckung
Mit 30 Sonderzügen und mehr als 3.000 Bussen, mit Privatautos und auf Rheinschiffen waren sie nach Bonn gekommen: Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Frauen- und Dritte-Welt-Gruppen, Christen, Kommunisten, Liberale, Pazifisten, sogar Soldaten in Uniform. Aus den Vereinigten Staaten reisten Harry Belafonte und Coretta Scott-King, die Witwe von Martin Luther King (*), an.
Diese Friedensbewegung einte die Ablehnung des "NATO-Doppelbeschlusses". Helmut Schmidt (SPD) Regierungschef einer sozialliberalen Koalition, hatte den NATO- Bündnispartnern 1979 ein strategisches Junktim vorgeschlagen:
"Nachrüstung so weit wie nötig zur Herstellung des ungefähren Gleichgewichts, aber so weit wie möglich gegenseitig vereinbarte Rüstungsbegrenzung."
Kein Einlenken bei Reagan oder Breschnew
Die Logik der atomaren Abschreckung: Während die USA und ihre NATO-Partner auf anderen Feldern der nuklearen Rüstung der Sowjetunion überlegen waren, sahen sie sich bei den Mittelstreckenraketen im Hintertreffen. Die SS 20, neueste Kreation der sowjetischen Waffentechnik, konnte jeweils drei Atomsprengköpfe über 5.000 Kilometer transportieren. Sie bedrohte ganz Europa, nicht aber die USA. Aus diesem Grund forderten die europäischen Nato-Mitglieder die Stationierung vergleichbarer Waffen: Pershing-II-Raketen und Marschflugkörper, Cruise-Missiles. Es sei denn, die Sowjetunion schlösse Abkommen zur Rüstungsbegrenzung. Die Friedensbewegung interpretierte diesen "NATO-Doppelbeschluss" als Startschuss zu weiterer Aufrüstung, denn weder Reagan noch Breschnew, die Hardliner an der Spitze der beiden Militärblöcke, waren zum Einlenken bereit.
"Der Atomtod bedroht uns alle – keine neuen Atomraketen in Europa." - Forderte der "Krefelder Appell" vom November 1980. Das Schlüsseldokument der Friedensbewegung, das sich an die Bundesregierung richtete, fand über vier Millionen Unterzeichner. Die Beteiligung von sowjetfreundlichen Aktivisten mit guten DDR-Kontakten trug der Friedensbewegung den Vorwurf der Einseitigkeit ein. Dagegen verwahrte sich auf der Kundgebung Erhard Eppler:
"Man hat uns Einäugigkeit vorgeworfen, weil wir uns vor allem an unsere Regierung wenden und nicht an die sowjetische. Der Grund ist sehr einfach: Weil wir diese unsere Regierung gewählt haben und nicht die sowjetische."
Der Bonner Demonstration vom 10. Oktober 1981 folgten weitere, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Mit Menschenketten und Sitzblockaden protestierte die Friedensbewegung vor US-Militärstützpunkten. Im Bonner Hofgarten versammelten sich auch 1982 und 1983 wieder Hunderttausende.
Der Protest spaltete die SPD. Die sozialliberale Koalition mit der FDP zerbrach 1982 allerdings an wirtschaftspolitischen Fragen. Unter Schmidts Nachfolger, dem CDU-Kanzler Helmut Kohl, stimmte der Bundestag im November 1983 der Stationierung der Pershing-Raketen in der Bundesrepublik zu. Erst 1987 unterzeichneten US-Präsident Reagan und Michail Gorbatschow den INF-Vertrag zur Vernichtung der bodengestützten Mittelstreckenraketen. Ob die NATO durch ihren Nachrüstungsbeschluss das Sowjetimperium niederkonkurriert und damit letzten Endes dessen Auflösung bewirkt hat, das bleibt eine Frage, über die Historiker immer noch streiten.
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