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Friedensexperiment im Nahen Osten
Sesame öffnet sich

In Jordanien wurde im Mai eine Forschungsanlage für Teilchenbeschleunigung eröffnet. Das Besondere: Sie steht Physikern aus allen Ländern der Region offen - darunter Iran, Israel und Palästina. Kann das Projekt damit auch einen Friedensimpuls in einer konfliktreichen Region setzen?

Von Frank Grotelüschen | 25.05.2017
    Eine große Gruppe von Männern und einigen Frauen posiert auf einer Bühne für ein gemeinsames Foto. Auf der Bühnenwand dahinter ist das Wort "Sesame" zahlreich zu lesen. Die Gruppe ist elegant gekleidet, es ist ein festlicher Anlass. Im Vordergrund sind viele Gäste und Medienvertreter zu sehen, einige von ihnen fotografieren machen Fotos.
    Weihte das SESAME-Forschungszentrum nahe Amman ein: Jordaniens König Abdullah II. (Frank Grotelüschen)
    Amman, die Hauptstadt von Jordanien. Das Interview soll in einem Business Center an einer belebten Hauptstraße stattfinden. Areej Abuhammad hat den Besprechungsraum für eine Stunde gemietet, in ihrem Büro an der Universität stapeln sich gerade Kartons mit technischem Gerät. Sie sei ein wenig nervös, sagt die Assistenzprofessorin und zupft ihr Kopftuch zurecht. Es ist ihr erstes Radiointerview.
    Das Training hat sie gar nicht nötig. Ihr Englisch ist brillant, nach ein paar Sätzen hat sie das Mikrofon vergessen und erzählt von ihrem Forschungsgebiet – der Pharmazie:
    "Ich bin sehr an der Entwicklung neuer Medikamente interessiert. Vor allem gegen Infektionskrankheiten wie Tuberkulose. Sie treten vor allem in Entwicklungsländern auf, weshalb die Pharmaindustrie sie vernachlässigt, weil es daran nicht viel zu verdienen gibt."
    Ihre Laufbahn: Jahrgangsbeste an der Universität von Jordanien. Dann, von 2008 bis 2013, Promotion in Oxford.
    "An meinem ersten Tag in Oxford zeigte mir meine Professorin das Labor. Und plötzlich sagte sie: 'Wissen Sie was – wir machen Sie zu unserer Strukturbiologin!'"
    Röntgenstrahlung zur Erforschung von Tuberkulose
    Abuhammads Auftrag: ein Protein des Tuberkulosekeims zu einem Kristall zu züchten und mit Röntgenstrahlung zu durchleuchten. Wie sieht das Protein im Detail aus, wo liegen Angriffspunkte für ein Medikament?
    Um das zu beantworten, brauchte es die stärkste Röntgenstrahlung der Welt, erzeugt von großen Teilchenbeschleunigern, sogenannten Synchrotrons. Als Abuhammad in Oxford arbeitete, konnte sie die besten Synchrotrons der Welt nutzen:
    "Ich habe meine Proteinkristalle nach Frankreich geschickt, zur Europäischen Synchrotronstrahlungsquelle in Grenoble. Und ich habe am englischen Beschleuniger Diamond experimentiert. Das war großartig. Diese Anlagen sind einfach fantastisch."
    Eine Rasenfläche mit verschiedenen farbenreichen Pflanzen, dahinter eine aphaltierte Autoeinfahrt. Im Hintergrund steht ein steinernes Gebäude. Die Eingangstür ist geöffnet, mehrere Leute gehen hinein. Darüber die Aufschrift: "Sesame International Research Center."
    Die Eingang zur SESAME-Forschungseinrichtung. (Deutschlandradio/ Frank Grotelüschen)
    2013 kehrte sie an die Universität Jordanien zurück. Hier war es viel schwieriger mit der Spitzenforschung:
    "Wissenschaft ist immer eine Herausforderung, aber für uns ist diese Herausforderung besonders groß. Denn in einem Land wie Jordanien steht Wissenschaft nicht gerade oben auf der Prioritätenliste, bei all den Schwierigkeiten in der Region. Die Mittel sind knapp, und man muss sich ziemlich strecken, um hier etwas zu erreichen."
    Begrenzter Zugang für nahöstliche Forscher zu Anlagen in Europa
    Forscher aus Nahost haben nur begrenzten Zugang zu den großen Anlagen in Europa oder den USA, die Reisen sind teuer. Doch nun gibt es Hoffnung für Areej Abuhammad. Bald wird sie ihre Proteine ganz in der Nähe durchleuchten können – bei SESAME, einem neuen, einem besonderen Synchrotron.
    16. Mai. Mitsamt Gefolge und Security ist König Abdullah von Jordanien zu SESAME gereist, nach Allan, einem Ort 30 Kilometer nordwestlich von Amman. Er enthüllt eine Gedenktafel, lauscht Festreden, dann ein Gruppenfoto mit Würdenträgern und Organisatoren. Nach einer halben Stunde rauscht der König wieder ab, mitsamt Gefolge – die Security bleibt.
    SESAME, das erste wissenschaftliche Großgerät im Nahen Osten, ist feierlich eröffnet. Ein Gemeinschaftsprojekt von so unterschiedlichen Partnern wie Iran, Pakistan, Ägypten, Israel und den Palästinensern. Unter den Ehrengästen: zwei Pioniere von SESAME. Ohne sie wäre die Anlage kaum gebaut worden.
    "Es ist sehr bewegend. Ich schwebe mehr als dass ich klar denken kann. Das gibt mir Hoffnung in die Menschlichkeit – etwas, das sonst nicht leicht zu finden ist."
    Eliezer Rabinovici, emeritierter Physikprofessor an der Hebräischen Universität in Jerusalem:
    "Wenn zwei Wissenschaftler zusammenarbeiten, respektieren sie sich zunächst wegen ihrer Arbeit. Dann fangen sie an, sich auch für den Menschen dahinter zu interessieren. Und ich hoffe, dass das auch bei SESAME passieren wird."
    Und: Herwig Schopper, ehemaliger Generaldirektor des Teilchenforschungszentrums CERN in Genf, mittlerweile 93 Jahre alt:
    "Das ist ein Traum, der wahr geworden ist. Manchmal haben wir nicht mehr dran geglaubt, dass es funktionieren würde."
    Nahaufnahme eines älteren Herrn mit Brille, dunklem Anzug und hellgrauer Krawatte. Er sitzt auf einem Podium, vor ihm steht eine Wasserflasche. Der Mann heißt Herwig Schopper, er ist Physiker.
    Der Physiker Herwig Schopper gehört zu den Mitbegründern von SESAME. (imago / Lars Berg)
    Schopper lächelt. 20 Jahre haben Planung und Bau von SESAME gedauert, und er muss gerade daran denken, wie SESAME nach Jordanien kam. Damals, 1999, war das Land zwar ein vielversprechender Kandidat – politisch stabil, diplomatische Beziehungen zu allen Nachbarn, auch zu Israel.
    Erste Verhandlungen waren ohne Ergebnis verlaufen. Da besann sich Schopper eines jordanischen Doktoranden, den er in den sechziger Jahren in Karlsruhe betreut hatte:
    "In meiner Verzweiflung rief ich den an und sagte: 'Ich will hier nicht wegfahren, ohne noch einen letzten Versuch gemacht zu haben. Kannst du nicht helfen?‘ Und er sagte: ‚Ja, ich lade euch zum Abendessen ein.' Dann waren wir bei ihm zum Abendessen. Und dann kam noch ein anderer Herr sehr spät in einem Jogginganzug, da haben wir uns zunächst gewundert. Dann stellt sich heraus: Das war einer der königlichen Prinzen!"
    Schopper erzählt von den Plänen. Der Prinz geht zum Telefonieren auf die Terrasse, kommt zurück und sagt:
    "'Morgen um 10 haben Sie eine Audienz beim König.' Und da hatten wir am nächsten Tag den König getroffen. Eine halbe Stunde später hatte ich einen Brief von ihm, wo er das zugesagt hat. So kam SESAME hierher."
    Ausgemusterter Beschleuniger aus Deutschland ist Teil der Ausrüstung
    Giorgio Paolucci läuft durch die SESAME-Halle, sie ist fast so groß wie ein Fußballfeld. Darin ein Ring aus meterdickem Beton, Durchmesser 50 Meter. In diesen Ring darf Paolucci, der wissenschaftliche Direktor, jetzt hinein – der Beschleuniger ist abgeschaltet und erzeugt keine Strahlung. Der Italiener folgt einem kurzen Labyrinth durch den Beton:
    "Diese Schikane, durch die wir gerade gehen, verhindert, dass Strahlung von innen nach außen dringt."
    Paolucci öffnet eine Tür und geht auf eine dünne, luftleer gepumpte Edelstahlröhre zu, umschlossen von wuchtigen Magneten. Auf einem prangt ein Schild:
    "You see: BESSY. BESSY stands for Berliner Elektronenspeicherring-Gesellschaft für Synchrotronstrahlung mbH."
    Ein ausgemusterter Beschleuniger aus Deutschland, Umfang 40 Meter. Paolucci sagt:
    "Ich erinnere mich noch an die Aufregung, die in Berlin herrschte, als in diesem Ring erstmals ein Elektronenstrahl gespeichert wurde. Das war 1982. Doch Ende der 90er ging ein größerer Nachfolger in Betrieb, und der kleinere Ring wurde demontiert und hergebracht."
    1997 hatten zwei Physiker die Idee, den BESSY-1-Ring in den Nahen Osten zu bringen – als Spende, um der Wissenschaft in der Region auf die Sprünge zu helfen. Das war quasi die Geburtsstunde des SESAME-Projekts. Hier dient der Veteran jetzt als Vorbeschleuniger für Elektronen: Die Teilchen drehen ihre Runden, auf der Bahn gehalten von den starken Feldern der Magneten.
    In jeder Runde pumpen Radiowellen Energie in die Elektronen. Irgendwann sind die Teilchen schnell genug, um in einen größeren, nagelneuen Beschleuniger weitergeleitet zu werden – den Hauptring, Umfang 130 Meter.
    Ein paar Schritte nur, und wir stehen im Hauptring. Auch hier reiht sich ein Magnet an den anderen, jedoch sind sie größer, wuchtiger. Kaum angekommen, wird Paolucci von einem Techniker angesprochen, der gerade an den Komponenten schraubt.
    Eine große Halle mit einer massiven, ringförmigen Forschungsmaschine. Zu sehen sind auch viele Rohre, unterhalb der Decke ein breiter Schacht. Einige Stellen der Halle sind nur über eine blaue gestrichene Rampe begehbar.
    Blick in die Forschungshalle. Die Idee für SESAME entstand schon 1997. (Frank Grotelüschen)
    Letzte Arbeiten an der Wasserkühlung, ein Ventil muss geöffnet werden. Paolucci kann das Ventil nicht gleich finden. Endlich hat er es. Nur 40 Physiker, Ingenieure und Techniker sind bei SESAME angestellt. Da muss auch der wissenschaftliche Direktor schon einmal als Handlanger einspringen. Paolucci:
    "Das da sind Magnete, montiert auf speziellen Gestellen. Damit lässt sich die Position der Magnete sehr genau halten. Die großen roten Magneten sind ein wenig gebogen, sie lenken die Elektronen um die Kurve. Außerdem gibt es diese kleineren Magnete da, sie dienen als eine Art Linse, die den Elektronenstrahl bündelt und in Form hält."
    In dem Ring können die Elektronen über Stunden kreisen. Das Entscheidende: Dort, wo sie durch Magnete abgelenkt werden, geben sie gebündelte Strahlung ab – Synchrotronstrahlung, hochintensives Röntgenlicht, millionenfach stärker als die Strahlung eines Röntgengeräts in einer Arztpraxis.
    Großer Nutzen auch für die Archäologie
    Weltweit gibt es mehr als 50 Synchrotrons, die meisten in den westlichen Ländern und im Fernen Osten. Nun hat auch Jordanien eine Wunderlampe: SESAME – luftleere Röhren leiten die Strahlung vom Beschleuniger in die Halle, zu den Messplätzen, wo Gastwissenschaftler durchleuchten können, was immer sie wollen, so Paolucci:
    "Eine der Anwendungen ist die Analyse von Bodenverunreinigungen, die Bestimmung ihrer chemischen Zusammensetzung. Auch archäologische Fundstücke kann man untersuchen. Damit lässt sich herausfinden, ob unter einem Schriftstück ein anderer, noch älterer Text steckt, der irgendwann überschrieben wurde - ohne dass wir das Schriftstück dafür zerstören müssten. Das alles sind Untersuchungen, die in dieser Form nur mit Synchrotronstrahlung möglich sind."
    Zurzeit sind die Kapazitäten noch gering: In ein paar Monaten werden zunächst zwei Messplätze in Betrieb gehen. Bis 2019 dann ein dritter und ein vierter. Sie sind nicht identisch, sondern jeder ist auf eine andere Messmethode spezialisiert. Zum Vergleich: Die Europäische Synchrotronstrahlungsquelle in Grenoble bietet über 40 Messplätze. Auch bei SESAME könnten es noch mehr werden. Platz wäre für sechzehn Messplätze, allein die Mittel fehlen.
    Kosten: 80 Millionen Euro - aber auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen
    Geld war immer ein Problem bei SESAME: Der Bau geriet mehrmals ins Stocken, das Projekt drohte schon zu scheitern. Dann sprang das Ausland ein: Die EU zahlte die Magneten, Italien, die Schweiz und Deutschland stifteten weitere Anlagenteile. Bis heute hat SESAME 80 Millionen Euro gekostet – und ist nun so gut wie fertig.
    Mittags in einem der Büros von SESAME. Durchs Fenster sind Hügel zu sehen, Pinien und Olivenbäume, dazwischen einzelne Häuser und auch kleine Dörfer. Von einer Moschee in der Nähe erklingt der Aufruf zum Gebet. Gegen das Dröhnen der Klimaanlage kommt er kaum an. Dennoch schaut IT-Chef Salman Matalgah kurz von seinem Rechner auf:
    "Der Aufruf kommt fünfmal am Tag, und jedes Mal sollen wir Moslems beten. Allerdings: Wenn wir gerade im Stress sind, können wir das Beten auch verschieben. Das Gebet dauert dann 10 Minuten, und danach mache ich mich wieder mit frischen Kräften an die Arbeit. Zu welcher Religion man gehört, spielt bei SESAME keine Rolle. Egal ob Moslem, Christ oder was auch immer. Jeder kann hier seine Religion ohne jede Einschränkung ausüben."
    Wer bei SESAME angestellt ist, verbringt die meiste Zeit in der knapp fußballfeldgroßen Halle. Einige kommen aus Europa, wissenschaftliche Entwicklungshelfer, wenn man so will. Die Mehrheit aber stammt aus dem Nahen Osten, und aus Ländern wie Zypern und der Türkei – die meisten haben bereits Erfahrung mit Forschungsaufenthalten an anderen Synchrotrons. Das Miteinander funktioniert, sagt der Ägypter Mahmoud Abdellatief:
    "Am Ende geht es immer darum, über die technischen Probleme nachzudenken und sie zu lösen. Darüber vergisst man alles andere."
    "Erstes Gemeinschaftsprojekt im Nahen Osten" – Israelis kommen nur selten
    Hossein Khosraobadi, Iran, ergänzt: "Es ist das erste Synchrotron hier in der Region. Es ist auch das erste wissenschaftliche Gemeinschaftsprojekt im Nahen Osten. Und hoffentlich ein Vorbild für andere gemeinsame Forschungsprojekte."
    Eine Nation aber fehlt im Team, das den Beschleuniger gebaut hat und nun betreibt – Israel. Dazu nämlich hätte das Land Personal abstellen müssen, das ständig vor Ort in Jordanien arbeitet – zu heikel, zu riskant, politisch nicht erwünscht.
    Stattdessen werden die Israelis SESAME nur zeitweise nutzen: Einzelne Wissenschaftler werden für ein oder zwei Wochen nach Jordanien fahren, um die gebündelte Strahlung auf ihre Scherben oder Proteinkristalle zu lenken. Wie andere Synchrotons auch ist SESAME eine Nutzereinrichtung. Wissenschaftler können Messzeit buchen. Das hat auch Roy Beck-Barkai vor, Nanoforscher an der Universität Tel Aviv:
    "Einfach ins Auto springen und zum Synchrotron zu fahren – das wird hoffentlich schon bald für uns in Israel möglich sein."
    Angewiesen sind die israelischen Forscher nicht auf SESAME. Sie haben sich beim europäischen Spitzen-Synchrotron in Grenoble eingekauft und können dort regelmäßig experimentieren. SESAME dagegen liegt um die Ecke – auch wenn die Kontrollen an den Grenzübergängen zwischen Israel und Jordanien oft Stunden dauern:
    Gemeinsam mit Ägyptern und Pakistanern arbeiten? "Das kann funktionieren"
    "Jeder, dem ich zu Hause erzähle, ich fahre nach Jordanien, um dort ägyptische, pakistanische und palästinensische Kollegen zu treffen, hält mich für verrückt. Diesen Skeptikern muss ich erst mal erklären, dass das funktionieren kann, weil wir Wissenschaftler gemeinsame Ziele vor Augen haben."
    In den letzten Jahren haben sich die potenziellen Nutzer von SESAME regelmäßig getroffen, um die Möglichkeit gemeinsamer Projekte auszuloten – ein Speed-Dating für Wissenschaftler. Beck-Barkai hat einige dieser Nutzertreffen besucht – und ist voller Zuversicht:
    "Ich bin optimistisch, dass das, was bei einem Gespräch bei einer Tasse Kaffee beginnt, sich zu Gemeinschaftsprojekten entwickeln kann. Wenn man uns lässt, werden wir Wissenschaftler zusammenarbeiten. Gebt uns die Möglichkeit, Brücken zu finden – und wir werden sie finden."
    In der Tat: Einzelne Wissenschaftler etwa aus Pakistan haben bereits ihr Interesse an gemeinsamer Forschung durchblicken lassen. Allerdings ist auch zu hören, dass manche Israelis Bedenken haben, überhaupt bei SESAME zu forschen – Sicherheitsbedenken:
    "Das stimmt schon. Aber das liegt vor allem daran, dass die meisten noch gar nicht hier waren. Ich jedenfalls fühle mich sicher – die Leute, mit denen ich hier zu tun habe, geben mir ein sicheres Gefühl."
    Eine Aussage, die nicht so recht passt zu dem, was auf der Eröffnungszeremonie passiert: Sicherheitsleute überwachen jeden Schritt der israelischen Delegation – nervöse Blicke, hektische Diskussionen. Ihre SUVs haben jordanische Kennzeichen. An der Grenze sind sie gegen die israelischen ausgetauscht worden.
    König Abdullah II bei der Einweihung des SESAME Forschungszentrums.
    König Abdullah II bei der Einweihung des SESAME Forschungszentrums. (afp / Yusef Allan )
    Und im Hotel in Amman, so ist zu hören, hält vor der Zimmertür eines israelischen Physikers ein Sicherheitsmann Wache. Die Nahost-Krise – auch aus der Welt der Wissenschaft lässt sie sich nicht heraushalten. Auch nicht bei den nicht enden wollenden Eröffnungsreden.
    Der Delegierte aus Palästina boykottiert die Eröffnungsfeier
    Im Festzelt gibt es Grußworte, jedes der acht Partnerländer von SESAME darf einen Vertreter auf die Bühne schicken. Nach dem Delegierten aus Pakistan wäre eigentlich der palästinensische Vertreter dran. Aber:
    Der palästinensische Redner lässt sich entschuldigen – der Grund bleibt unerwähnt. Wobei sich der Boykott schon am Tag zuvor abgezeichnet hatte: Per Email kam die Interviewabsage von Karim Tahboub, dem palästinensischen Vizepräsidenten des Sesame-Aufsichtsrats:
    "Ich muss Sie leider darüber informieren, dass ich nicht an der Eröffnungsfeier teilnehmen werde. Grund ist der seit einem Monat dauernde Hungerstreik von mehr als 1500 Palästinensern in den israelischen Gefängnissen. Ich habe mich ebenso wie andere Kollegen dafür entschieden, aus Solidarität mit diesen Gefangenen nicht zu kommen."
    "Ich sympathisiere mit ihrer Position. Aber es stand jedem von uns frei, sich an dem Boykott zu beteiligen. Und da ich von Anfang an bei SESAME dabei bin, wollte ich diese Zeremonie auf keinen Fall verpassen. Aber es ist das gute Recht meiner Kollegen, ihren Protest durch diesen Boykott zum Ausdruck zu bringen."
    Salman M. Salman von der Al-Quds Universität ist einer der wenigen Palästinenser, die zur Einweihung gekommen sind. Der Boykott seiner Kollegen bedeute aber nicht den Ausstieg aus SESAME, sagt er:
    "Wir haben bereits von der Anlage profitiert. Mehrere Forscher haben beim Aufbau mitgemacht und ihre Doktorarbeit über SESAME geschrieben. Wir haben einige Projekte in Vorbereitung und warten nun darauf, dass die Experimente beginnen."
    "Wissenschaft steht an erster Stelle. Nicht so sehr die politische Botschaft."
    Wissenschaftlich erwarten sich die Palästinenser von SESAME viel. Politisch eher weniger. Dass sich mit dem Experiment das Verhältnis von Palästinensern und Israelis verbessert, kann Salman sich nicht vorstellen:
    "Das bezweifle ich. Ich denke, Israels Motivation bei SESAME ist, generell die Beziehungen zu den Arabern zu normalisieren. Die Wissenschaft scheint für sie nicht so wichtig zu sein. Für uns palästinensische Forscher dagegen steht die Wissenschaft an erster Stelle. Uns geht es bei SESAME nicht so sehr um eine politische Botschaft."
    Fakt ist: Noch hat kein einziger Israeli einen Antrag für ein Forschungsprojekt bei SESAME gestellt. Das soll erst später passieren, wenn das Synchrotron mehr Messplätze zu bieten hat – und damit mehr Möglichkeiten. Nur: Wie viele Messplätze am Ende dazukommen werden, ist noch unklar.
    Finanziert seien nur die ersten vier, beklagt Eliezer Rabinovici. Manche der Mitgliedsstaaten sind notorisch klamm. Und Iran hat wegen der Sanktionen noch gar nicht gezahlt. Es ist nach wie vor schwierig, Geld aus Iran ins Ausland zu überweisen:
    "Wir arbeiten mit einem Minibudget, obwohl man doch eigentlich erwarten würde, dass so ein Projekt mehr Unterstützung erfährt. Die Region hier hat zwar schon einiges investiert, aber wir brauchen mehr. Und dafür brauchen wir Unterstützung."
    Eine weitere Belastungsprobe: Das Verhältnis zwischen Israel und Iran. Mahmoud Tabrizchi, Technische Universität Isfahan, Iran, sagt:
    "Wir haben zwei Wissenschaftler verloren, die mit SESAME zu tun hatten, Masoud Alimohammadi und Majid Shahriari. Sie hatten Iran bei SESAME repräsentiert und wurden 2010 in Teheran durch Autobomben ermordet. Die iranische Regierung sagt, es waren die Israelis. Doch trotz dieser Sache haben wir unser Engagement bei SESAME fortgesetzt, weil es uns so wichtig ist."
    Konflikt Israel-Iran wirkt sich auch auf SESAME aus
    Mit SESAME hatten die Attentate wohl nichts zu tun, eher mit dem iranischen Nuklearprogramm. Die Vorwürfe haben das Verhältnis zwischen iranischen und israelischen Physikern zeitweise sehr belastet. Ist vielleicht in Zukunft eine Zusammenarbeit möglich? Tabrizchi will die Frage zunächst nicht beantworten. Doch dann, nach einer kurzen Pause:
    "May be not Israel, but other countries are okay.”
    Ein gelb gefärbtes Blatt Papier, das in eine Folie gehüllt an einer blauen Rampe klebt. Darauf zu lesen ist in arabischer und englischer Sprache: "Kein Eingang". Zu sehen ist außerdem ein schwarzes Strahlenwarnzeichen.
    Warnschild in der Forschungshalle. Die Zusammenarbeit bei SESAME birgt auch Konfliktpotential. (Frank Grotelüschen)
    Selbst wenn die Wissenschaftler gemeinsame Projekte anstreben würden – das politische Umfeld dürfte es ihnen kaum gestatten: Forscher, die sich auf eine Liaison mit dem Feind einlassen, müssten zuhause Ärger und Repressalien befürchten.
    Hardliner könnten das zum Anlass nehmen, aus dem Projekt auszusteigen – sie beäugen SESAME sowieso mit Misstrauen. Das weiß auch Eliezer Rabinovici, der Pionier aus Israel – und will dennoch seinen Idealismus nicht verlieren:
    "SESAME wird den Friedensprozess nicht groß verändern. Aber es ist ein Hoffnungsfunke für den Nahen Osten – eine Region, wo viel Blut fließt und Menschenleben nicht viel zählen. Wir wollen zeigen, dass es auch anders geht."
    Im Besprechungsraum des Ammaner Business-Center an der belebten Hauptstraße hat Areej Abuhammad ihre Nervosität abgelegt – nun sprudelt es regelrecht heraus aus der Pharmazie-Professorin. Sie erinnert sich an ihre Doktorarbeit in Oxford:
    "In meiner Zeit in Oxford hatte ich mit allen möglichen Leuten zu tun – mit verschiedene Religionen, Kulturen, Sprachen. Und wir alle haben harmonisch zusammengearbeitet. Das ist eine der faszinierendsten Seiten der Wissenschaft. Und ich sehe keinen Grund, warum es bei SESAME anders laufen sollte."
    SESAME ist vor allem für Forscherinnen eine Chance
    Gemeinsame Projekte mit israelischen Forschern? Auch für sie eine Frage, auf die sie nicht antworten mag – offenbar ein vermintes Feld, selbst in der Wissenschaft. Viel lieber erzählt sie, dass insbesondere die Forscherinnen ihres Landes von SESAME profitieren könnten, dem Synchrotron gleich um die Ecke:
    "Ins Ausland zu reisen ist für die Frauen hier oft schwieriger als für Männer. Ihre Eltern könnten etwas dagegen haben, oder ihre Ehemänner. Kinder können ein Hindernis sein, und manchmal sprechen religiöse Gründe dagegen. Mit einem Synchrotron im eigenen Land können die Frauen nun Forschungsprojekte angehen, an die sie sich sonst nie herangetraut hätten."
    Das Interview ist geschafft, Abuhammad scheint zufrieden – und wohl auch ein bisschen erleichtert. Doch eines muss sie am Ende noch loswerden, unbedingt:
    "Unser Potenzial liegt in der jungen Generation. Dieses Potenzial müssen wir in die richtige Richtung lenken, hin zu etwas Konstruktivem – wo doch andere versuchen, sie in etwas Destruktives hineinzuziehen. Ich denke, ein Projekt wie SESAME kann helfen, den Zulauf zum Terrorismus einzudämmen und die jungen Leute stattdessen in Richtung Wissenschaft zu leiten. Damit sie Leben retten statt Leben zu vernichten."