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Friedensforscher: Militärische Gewalt von außen kann keinen Staat im Inneren verändern

Kramer: Herr Czempiel, fangen wir mal mit dem Konkreten an: War der Irak-Krieg nun nur der Anfang des großen Aufräumens im Nahen Osten, was denken Sie? Also, man muss davon ausgehen, Frau Kramer, denn das wird ja inzwischen ganz offiziell auch von der amerikanischen Regierung, vom amerikanischen Präsidenten gesagt, dass der Irak der Anfang ist, dass Syrien, als ein Staat, der sich den amerikanischen Wünschen widersetzt, als nächstes drankommen könnte, und auch der Iran steht schon auf der Liste, darüber wird offen diskutiert.

    Kramer: Drankommen könnte, sagen Sie. Ist das einigermaßen gesichert, dass Syrien noch angegriffen wird?

    Czempiel: Frau Kramer, man kann das natürlich nicht vorhersagen, Prophezeiungen sind in der Politikwissenschaft nicht möglich. Aber wenn Sie sich überlegen, dass das Ziel der amerikanischen Regierung von Anfang an ja nicht alleine war, den Irak zu besetzen, sondern den Mittleren Osten und den Nahen Osten politisch neu zu ordnen. Wenn Sie sich daran erinnern, dass Präsident Bush gleich nach dem 11. September gesagt hat, es wird sich nicht darum handeln, nur Afghanistan, und den einen oder anderen Schurkenstaat, wir haben 60 Staaten auf der Liste, deren Regime uns nicht gefällt, die wir als Gegner betrachten müssen, in die wir einmarschieren uns vorbehalten müssen. Wenn Sie sich daran erinnern, wie es mit dem Irak angefangen hat, nämlich genau so: erst Vorwürfe, dann Vermutungen, dann Druck, dann Ultimaten, dann muss man sagen, die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch.

    Kramer: Das wären ja zum Beispiel ganz neue Perspektiven für die Lösung des Palästinenserproblems. Man könnte die Feinde Israels nun einfach wegbomben.

    Czempiel: So ist es. Es hat ja eine ganz interessante Tagung gegeben. Zu Beginn des Krieges gegen den Irak hat man im American Enterprise Institute, das ist der ideologische Think tank der Bush-Administration, eine große Siegesfeier veranstaltet, nicht etwa weil der Krieg damals schon gewonnen war, sondern weil es gelungen war, diesen Krieg überhaupt mal durchzusetzen. Das wollte diese Gruppe von Anfang an, und bei dieser Feier hat man dann gesagt, so jetzt haben wir den Irak, jetzt muss noch Syrien und mindestens der Iran drankommen, und zu diesem Zweck hat sich dann auch der israelische Ministerpräsident geäußert zum selben Kontext und hat gesagt, jawohl, das muss jetzt dringend gemacht werden, denn das sind nach dem Irak die beiden größten Feinde der Regierung Scharon und diejenigen, die eine Lösung des Palästina-Problems im Scharonschen Sinne verhindern.

    Kramer: Wie weit wird das denn gehen mit diesem Aufräumen, nicht durch Verträge, Überzeugung und Verhandlungen, sondern mit Aufräumen durch militärische Macht, wir gestalten uns die Welt, so wie wir uns die Welt vorstellen.

    Czempiel: Wie weit sie kommen werden, das kann man nicht abschätzen. Meine These ist, sie werden nicht sehr weit kommen, weil sie ja jetzt schon im Irak sehen, was zu erwarten war. Man kann zwar mit der riesigen militärischen Übermacht das gegnerische Militär erledigen, aber man kann die Zustimmung der Bevölkerung nicht erschießen, sozusagen. Aber das wird die Bush-Administration nicht davon abhalten, zunächst einmal auf diesem Weg voranzugehen, das ist ihr außenpolitisches Ziel von Anfang an gewesen, vor dem 11. September, und dieses Ziel heißt: Wir ersetzen die Vereinten Nationen durch die Vereinigten Staaten. An die Stelle der Weltorganisation und der multilateralen Gemeinsamkeit, die Welt zu ordnen, setzen wir den Willen und die Macht Amerikas, und das sehen wir in der Praxis hier vor uns. So etwas kann man sich ja mal vornehmen, aber es gibt ja nun noch ein paar Völker und Staaten auf der Welt, die damit vielleicht nicht einverstanden sind. Wer könnte denn die Amerikaner aufhalten?

    Czempiel: Niemand. Frau Kramer, das ist ganz einfach. Die amerikanische militärische Macht, ihre Gewaltkomponente, ist so riesig, und sie wird unter Bush noch weiter gesteigert werden, dass dagegen kein Staat und keine Staatengruppe auf der Welt ankommen kann. Das Verteidigungsbudget der Bush-Administration ist größer als das der nächstfolgenden 9 Staaten zusammen, und die Bush-Administration hat ja auch deutlich gesagt, sie hat es sogar geschrieben, dass sie jeden Staat mit Gewalt daran hindern wird, auf diesem Gebiet nachzuziehen. Also etwa zur Position der Rivalität aufzuwachsen, das sollten sich auch mal die Europäer hinter die Ohren schreiben, denn die wären ja sozusagen die ersten, die in der Lage wären, etwas Ähnliches wie die amerikanische Militärmacht auf die Beine zu stellen. Also militärisch, glaube ich, kann man die Vereinigten Staaten überhaupt nicht bremsen, und das muss man leider so sehen, das ist ein «fact of life», so ist es.

    Kramer: Sie sagten aber vorhin, Sie glauben nicht, dass das funktionieren wird mit dieser amerikanischen Weltherrschaft, sozusagen auf militärischer Basis. Worauf stützen Sie dann Ihren Optimismus, wenn sie eigentlich keiner aufhalten kann.

    Czempiel: Also, es ist ja kein Optimismus, es ist ja ehrlich gesagt ein aufgeklärter Pessimismus. Ich stütze diese Einsicht darauf, dass es bisher noch nirgendwo gelungen ist, mit militärischer Gewalt von außen einen Staat im Inneren zu verändern. Schauen Sie, das ist in Vietnam nicht gelungen, das ist in Somalia nicht gelungen, das ist den Sowjets in Afghanistan nicht gelungen, es gelingt den Amerikanern in Afghanistan nicht, es gelingt nicht mal der Nato auf dem Balkan, obwohl da gewisse Annäherungswerte vorhanden sind, aber gelingen tut es nicht, das funktioniert nicht. Und es kann auch nicht funktionieren, weil die Gesellschaft heute so entwickelt ist, so emanzipiert ist und so selbstbewusst ist, dass sie sich nicht von außen mit militärischer Gewalt ein Regime aufdrängen lässt. Selbst wenn, wie man das im Irak ja sehen kann, sehr viele Iraker gegen das Regime Saddam gewesen sind, so sind sie deswegen keineswegs für das Regime Rumsfeld bzw. für die amerikanische Besetzung. Und das wird sich in Staaten wie Syrien und Iran, die noch viel weiter entwickelt sind als der Irak, fortsetzen. Es wird sich auf der ganzen Welt fortsetzen, und das werden die Amerikaner auch spüren. Der Aufwand, mit militärischer Gewalt jede Opposition niederzuhalten, einen Zwangskonsens sozusagen zu erzeugen, indem man eben die Opposition vernichtet, das ist ein Aufwand, den kann sich Amerika auch ökonomisch nicht leisten, militärisch nicht leisten und ideologisch nicht leisten. Denn das widerspricht derart der amerikanischen Tradition, dass der Widerstand dagegen auch, denke ich, aus den USA selbst kommen wird.

    Kramer: Aber sie machen doch schon jetzt den Eindruck, als ob es ihnen eigentlich egal sein könnte, was die Völker, die sie militärisch in ihrer Gewalt haben, von ihnen denken, solange sie nur die Macht ausüben und vor Ort gemacht wird, was sie sich vorstellen.

    Czempiel: Das gilt für die Bush-Administration, aber das gilt nicht für die USA als ganzes. Wir haben eine neue Umfrage aus den Vereinigten Staaten, aus der wieder hervorgeht, die Hälfte der USA ist schlicht gegen eine solche Politik der direktiven Weltherrschaft, und in dem Masse, in dem der Widerstand der Welt deutlicher wird, denken Sie nur an die Demonstrationen, die wir schon hatten und die wir noch kriegen werden. Gestern haben sich erst mal die arabischen Außenminister versammelt, um ihrerseits nun diesen Krieg zu verurteilen. In dem Masse, wie der Widerstand wächst, in dem Masse, in dem auch dem letzten Amerikaner klar wird, dass dieses Washington, dass die Bush-Administration eine Außenpolitik betreibt, die Amerika bisher in seiner Überzeugung von dem, was richtige Außenpolitik ist, immer bekämpft und verurteilt hat. Denken Sie mal nur an die Kritik an der Sowjetunion und an der Politik der Russen in Tschetschenien. Ich denke mir, wenn sich das mal herumgesprochen hat, wird auch der Widerstand in Amerika noch größer werden, als er jetzt schon ist.

    Kramer: Was haben die Europäer eigentlich auf der Agenda? Hätten die Europäer eigentlich die Möglichkeit, wenn sie sich schon nicht in der Außenpolitik einigen können, was ja offenbar nicht absehbar ist, haben sie wenigstens die Möglichkeit, die USA wirtschaftlich unter Druck zu setzen? Sich zu behaupten?

    Czempiel: Also, sie können sie wirtschaftlich unter Druck setzen, das ist vielleicht noch ein bisschen übertrieben, aber sie könnten ihre wirtschaftliche Macht selbstverständlich ins Feld führen. Denn schauen Sie, der Krieg gegen den Irak hat schon 60 Milliarden Dollar gekostet bis jetzt, und wieviel er noch kosten wird, das wird sich erst mal zeigen müssen, das kann Amerika auf Dauer gar nicht alleine stemmen, wahrscheinlich schon jetzt im Irak-Krieg nicht, und der Außenminister der USA reist ja herum und versucht die Europäer dazu zu kriegen, dieses Geld aufzubringen, um wie beim ersten Golfkrieg Amerika finanziell zu entlasten. Wenn hier die Europäische Union sagen würde, und sie hat es ja schon angedeutet, jedenfalls in Gestalt ihres Außenkommissars Chris Patten, das werden wir nicht bezahlen, weil es ein illegaler Krieg ist, ein völkerrechtswidriger Krieg ist und einer, der von den Vereinten Nationen nicht genehmigt worden ist, wenn die Europäer es fertig brächten, mit einer Stimme, also die Europäische Union, zu sagen, das bezahlen wir nicht, dann hätten sie ein riesiges Faustpfand in der Hand, mit der sie in Washington eine Menge anrichten können. Das ist das erste, und das zweite, was sie könnten, sie müssen ja nicht politisch hinnehmen, was sie militärisch nicht ändern können, und wenn sie mal ihre Stimme erheben würden, wenn die Europäische Union mal mit einer Stimme spräche und wenn es die Union jetzt noch nicht kann, weil die Verfassung noch nicht so weit ist, wenn wenigstens die Kerngruppe Europas mit einer Stimme spräche und diese Politik der USA ausgesprochen verurteilen würde, dann hätte sie eine wichtige Macht ausgeübt, nämlich die Definitions- und Beurteilungsmacht.

    Kramer: Herr Czempiel, noch ganz kurz zum Schluss, manche meinen ja, Bush und seine imperialen Gelüste seien nur ein Ausreißer in der amerikanischen Geschichte und Präsidentengeschichte. Meinen Sie das auch?

    Czempiel: Ja, ich meine das auch. Ich bin auch der Auffassung, dass Bush und Ronald Reagan zwei Ausnahmen in der bisherigen Geschichte der USA sind. Würde aber inzwischen hinzufügen, bei der Zustimmung, die die Bush-Administration im Kongress erfährt, wird sichtbar, dass sich im politischen Gefüge der USA seit den letzten 15 Jahren etwas verschoben hat und dass Orientierungen rechtsradikaler Art, wie sie sich in der Bush-Administration manifestieren, auch im ganzen Kongress vorhanden sind, und das würde bedeuten, Frau Kramer, dass die USA der Gegenwart nicht mehr die sind, die wir noch kennen vom Ausgang des Ost-West-Konfliktes, und das muss man erst mal abwarten, das wird sich daran zeigen, wie weit die Bush-Administration mit dieser imperialen, wie Sie zu Recht sagen, rechtswidrigen Politik in den USA Zustimmung finden und wie weit nicht.

    Kramer: Herr Czempiel, die Nachrichten kommen, wir müssen uns verabschieden. Herr Czempiel, vielen Dank für das Gespräch.