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Friedensforscherin: Libanon braucht Hilfe bei Bombenentschärfung

Nach Worten der Friedensforscherin Simone Wisotzki wird die Entschärfung der israelischen Streubomben im Libanon mehrere Jahre dauern. Es sei ein Problem, dass der Einsatz von Streumunition bislang völkerrechtlich nicht verboten sei, sagte die Mitarbeiterin der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.

Moderation: Gerd Breker | 01.09.2006
    Gerd Breker: Israel geriet wegen des Einsatzes von Streubomben während der Offensive im Süden des Libanon zunehmend in die Kritik. So hat zum Beispiel UN-Generalsekretär Kofi Annan bei seinem Besuch in Jordanien den Einsatz von Streubomben im Libanon kritisiert. Diese Art von Waffen sollten in zivilen und bewohnten Gebieten einfach nicht eingesetzt werden.

    Am Telefon begrüße ich nun Simone Wisotzki von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Guten Tag, Frau Wisotzki!

    Simone Wisotzki: Guten Tag!

    Breker: Es mag seltsam klingen, aber welchen Sinn, welchen militärischen Sinn machen eigentlich Streubomben?

    Wisotzki: Streubomben gehören zum strategischen Arsenal ganz vieler Staaten. Insgesamt sind das 50. Sie werden vor allen Dingen gegen feindliche Truppen eingesetzt. Es geht darum, großflächige Gebiete zu bombardieren aus der Luft oder auch vom Boden von der Artillerie aus. Insgesamt bestehen geringe Gefahren für die eigenen Truppen, wenn man aus der Luft bombardiert. Streubomben sind eine sehr kostengünstige Alternative zudem zu teuren, lasergelenkten Präzisionsraketen und haben eine umfassende Wirkung. Das Problem ist, dass durch die weite Verteilung der so genannten Submunition halt die Gefahr von so genannten Kolateralschäden sehr groß ist.

    Breker: Also Streubomben werden eingesetzt bei größeren Ansammlungen von Soldaten?

    Wisotzki: Normalerweise ja. Es gibt wiederholt Beispiele. Das ist momentan jetzt der Libanon, der in die Schlagzeilen geraten ist, beziehungsweise Israel, aber auch in anderen Konflikten sind Streubomben schon eingesetzt worden, zum Beispiel in den beiden Golf-Kriegen, in Afghanistan oder auch im Kosovo haben die USA, Großbritannien, Frankreich, Saudi-Arabien Streubomben eingesetzt.

    Breker: Aber Streubomben sind völkerrechtlich nicht verboten?

    Wisotzki: Bisher nicht. Das ist ein Problem, dass Streubomben bisher völkerrechtlich nicht verboten worden sind. Es gibt insgesamt völkerrechtliche Regelungen, wie zum Beispiel die Genfer Konvention zum Schutz der Zivilbevölkerung. Da geht es darum, die Zivilbevölkerung vor Angriffen zu schützen, aber die Munition ist nicht verboten wie zum Beispiel jetzt die Antipersonenminen, deren Einsatz seit 1997 verboten worden ist.

    Breker: Nun hat der UN-Koordinator für Hilfseinsätze, Jan Egeland, erklärt, er finde es schockierend und auch völlig unmoralisch, dass 90 Prozent der Streubomben, die im Libanon eingesetzt wurden, in den letzten drei Kriegstagen von der israelischen Armee abgeworfen wurden. Was könnte man strategisch aus so einer Tatsache, wenn sie denn zutrifft, ablesen?

    Wisotzki: Es ging auf jeden Fall noch mal darum, große Gebiete zu treffen und möglichst weitflächig halt die Hisbollah zu treffen. Ich denke, das war das primäre strategische Ziel.

    Breker: Nun ist die Frage: Die Streubomben sind da. Angeblich handelt es sich um 359 Abwurfstellen von Streubomben. So ist zumindest zu lesen, und man spricht auch von 100.000 nicht explodierten Sprengsätzen. Machen solche Zahlen Sinn?

    Wisotzki: Ja, die machen durchaus Sinn, und die sind eigentlich relativ gering, wenn man das mal mit anderen Zahlen vergleicht. Ich kann Ihnen zum Beispiel aus dem Irak, dem ersten Golf-Krieg, da hatten wir es mit 20 Millionen Stück Submunition zu tun. Wenn Sie daran denken: Die Versagensquote liegt zwischen 5 und 25 Prozent. Wir rechnen das runter. Dann ist das noch erheblich mehr, was dort an unexplodirten Kriegsrückständen im Irak lagert.

    Breker: Wenn wir nun im Libanon bleiben und von diesen 100.000 nicht explodierten Submunitionsstellen ausgehen, wie wird man die wieder los? Wie kann man die wieder loswerden?

    Wisotzki: Das ist extrem zeitaufwändig. Das können Sie vergleichen mit der Räumung von Antipersonenminen. Man muss sie entweder gezielt detonieren, deaktivieren, den Zünder deaktivieren, aber wie gesagt, das ist zeit- und kostenaufwändig. Das Problem ist einfach, dass das mehrere Jahre dauern wird und die Lebensräume für die Bevölkerung eingeschränkt sind und natürlich auch das Verletzungs- beziehungsweise Todesrisiko erheblich steigt durch diese Form von Waffen.

    Breker: Ist es denn so, Frau Wisotzki, dass diese Submunition eigentlich wie Spielzeug aussieht und deswegen besonders gefährlich für Kinder ist?

    Wisotzki: Das ist zum Teil so. Es gibt ganz verschiedene Typen dieser Streubomben. Teilweise sieht sie so aus wie nicht Spielzeug, sondern man kann sie mit Colabüchsen vergleichen. In Afghanistan war zum Beispiel das Problem, dass die Lebensmittelpakete die gleichen Farben hatten wie diese Submunition und natürlich die Bevölkerung gedacht hat, das sind Lebensmittelpakete. Wie die jetzt in Israel konkret aussieht, kann ich Ihnen nicht sagen.

    Breker: Hat eigentlich jede Armee, also hätte zum Beispiel auch die libanesische Armee die Fähigkeit, diese Submunition wieder zu beseitigen?

    Wisotzki: Im Grunde genommen schon. Wenn sie Sprengmittelräumteams haben, dann haben sie die Möglichkeit. Aber ich denke hier ist der Libanon auf internationale Hilfe angewiesen, um das so schnell wie möglich zu beseitigen. Was wir inzwischen haben, ist ein Zusatzprotokoll des VN-Waffenübereinkommens. Das tritt jetzt am 12. November 2006 in Kraft. Danach sind die Verursacher von Kriegsschäden, von Kampfmittelrückständen verantwortlich für die Räumung dieser Kampfmittel. Allerdings ist Israel da bisher nicht beigetreten. Sonst könnte man sagen, Israel hat eine Verantwortung.

    Breker: In den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk war das Simone Wisotzki von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Frau Wisotzki, danke für dieses informative Gespräch.

    Wisotzki: Ja, vielen Dank.