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Friedensforschung
"Die Welt ist sehr viel komplizierter geworden"

Zur aktuellen Krise um die IS-Miliz kämen wenig Vorschläge aus seinem Fachbereich, sagte der Friedensforscher Michael Brzoska im DLF. Einige seien überzeugt, dass man mit nicht-militärischen Mitteln der IS die Unterstützung untergraben müsse. Doch es gäbe auch viele, die annehmen, es helfe nur noch Gewalt, so Brzoska.

Michael Brzoska im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Ein zerstörter Panzer der ukrainischen Armee steht am 19. September 2014 in der Region Lugansk.
    Die Logik des Krieges - Lösungsangebote der Friedensforschung? (pa/dpa)
    In den 1970er-, 80er-Jahren habe die Friedensforschung zwar nicht mehr Gewicht, aber mehr Gehör erhalten. Doch damals sei die Konstellation in der Welt einfacher zu analysieren gewesen, sagte der Friedensforscher von der Hamburger Universität Michael Brzoska im DLF. Die Friedensforschung, so Brzoska, sei vor allem gut darin, langfristige Strukturen zu analysieren.
    In Europa hingegen habe man erreicht, weitgehend friedlich miteinander zu leben. Nach Brzoska Ansicht liegt das vor allen Dingen daran, dass der wirtschaftliche Fortschritt massiv gewesen sei. Die Menschen würden nicht mehr denken, dass sie Krieg führen müssen, um ihr eigenes nacktes Überleben sichern zu können. Außerdem gäbe es ein Rechtssystem, das den Menschen vermittele, dass sie ihre Interessen ohne Gewalt durchsetzen können.

    Durch Kooperation und Interaktion sei zudem eine gegenseitige Abhängigkeit entstanden - man wisse, bei einem Krieg würden alle darunter leiden. Diese Elemente würden den Frieden fördern, aber genau diese seien im Nahen Osten nicht vorhanden.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Die Lage in der Welt ist so unruhig, so kriegerisch wie selten. Der Nahe Osten brennt, die Ukraine ist nicht befriedet, in Afrika gibt es bewaffnete Auseinandersetzungen, und diese Aufzählung war nicht einmal vollständig. Angesichts dieser Lage gab es sogar Überlegungen, möglicherweise den Friedensnobelpreis in diesem Jahr nicht zu verleihen. Das alles ist symptomatisch. Wir wollen heute Morgen mal fragen, was macht eigentlich die Friedensforschung? Hat die Friedensforschung noch Antworten auf die verschiedenen Fragen, auf die verschiedenen Krisen? Darüber wollen wir reden mit Michael Brzoska, Friedensforscher aus Hamburg, den ich jetzt erst mal am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Brzoska!
    Michael Brzoska: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Sagen Sie zunächst einmal: Dass der Nobelpreis möglicherweise hätte ausfallen können, hätten Sie ihn ausfallen lassen in diesem Jahr?
    Brzoska: Nein, ich hätte das für eine falsche Entscheidung gefunden. Denn es ist zwar richtig, dass gerade in diesem Jahr das kriegerische Geschehen wieder zugenommen hat, dass wir so viele Krisen haben, dass man denkt, oh Gott, wo gibt es überhaupt noch Friedensbemühungen, aber es gibt sie ja. Es ist ja nicht so, dass nicht gleichzeitig auch massiv versucht wird in der Welt, Krieg entgegenzuwirken. Das betrifft zum einen akute Krisen, wenn wir etwa denken an die Verhandlungen über das Atomprogramm des Irans, ein Thema, das ja früher immer die Nachrichten dominiert hat und wo ja doch Fortschritte festzustellen sind, aber auch eben bei den Bemühungen, die auch ja ausgezeichnet worden sind, darum, Gesellschaften umzubauen, sodass es eben weniger wahrscheinlich wird, dass in diesen Gesellschaften Menschen meinen, sie müssten zu Kriegen greifen, Kriege führen, um ihre Interessen, um ihre Ideen durchzusetzen.
    Auch in der Friedensforschung unterschiedliche Stimmen
    Zurheide: Ist denn mein Eindruck, den ich gerade schon genannt habe, so falsch, dass die Friedensforschung, was Sie ja betreiben, dass die nicht mehr so gehört wird oder sich nicht mehr so Gehör verschaffen kann, wie das vielleicht in den 70er-, 80er-Jahren, in Zeiten des Ost-West-Konflikts gewesen ist? Oder ist das eine falsche Beobachtung?
    Brzoska: Ich denke, es ist eine richtige Beobachtung. Allerdings würde ich jetzt daraus nicht den Schluss ziehen, dass die Friedensforschung in den 70er-, 80er-Jahren jetzt mehr an Gewicht hatte. Es war einfach so, dass damals die Konstellationen in der Welt einfacher zu analysieren waren. Das heißt, es war in der Friedensforschung auch einfacher zu sagen, was man denn glaubt, was die richtigen Schritte wären, um zum Beispiel dann die zentrale Ost-West-Konfrontation abzubauen. Die Welt ist sehr viel komplizierter geworden und das zeigt sich auch in der Friedensforschung, die jetzt nicht mehr sagen kann, das ist die Lösung, die wir als die richtige halten. Es gibt in der Friedensforschung sehr viele unterschiedliche Stimmen. Es ist so, dass jeder Konflikt für sich eine besondere Lage ist und insofern man auch jetzt nicht mit einfachen Rezepten behaupten kann, jetzt wirklich zu wissen, wie man den Frieden fördern kann.
    Zurheide: Dann kommen wir darauf, Sie haben es angesprochen, natürlich, heute haben wir viele Konflikte, die sind kompliziert, weil die Staaten sich auflösen, die Konflikte laufen entlang religiöser, ethnischer Grenzen, weniger an den ideologischen Grenzen. Jetzt dann schon die Frage: Welche Antwort können oder müssen Sie denn geben? Haben Sie zum Beispiel eine im Nahen Osten?
    Brzoska: Es ist immer auch in der Friedensforschung ein Problem gewesen, dass die Forderung war, dass man sehr kurzfristig Ideen und Vorschläge entwickelt, um aktuelle Krisen abbauen zu können. Und da ist die Friedensforschung im Grunde genommen genauso wenig in der Lage, jetzt gute Vorschläge zu machen wie etwa auch die Politik selber. Und deswegen ist, was die aktuelle Krise um insbesondere den Islamischen Staat, diese Terrororganisation im Nahen Osten angeht, da sind wenig Vorschläge aus der Friedensforschung gekommen. Es gibt in der Friedensforschung immer noch Stimmen, die sagen, man muss irgendwie versuchen, mit nicht militärischen Mitteln denen die Unterstützung zu untergraben, aber es gibt auch in der Friedensforschung durchaus viele, die sagen, da hilft jetzt nur noch, wirklich mit Gewalt vorzugehen. Und dann natürlich ist das eine abweichende Position von der, die auch in der Politik vertreten wird. Die Friedensforschung ist, glaube ich, immer noch besser, wenn es darum geht, langfristig zu sagen, was denn Strukturen sind, die weniger oder mehr friedensfördernd sind.
    Im Nahen Osten fehlen friedensfördernde Elemente
    Zurheide: Welche Strukturen sind friedensfördernd?
    Brzoska: Also, es ist so, dass wir feststellen, etwa wenn wir nach Europa gucken, dass wir es ja geschafft haben, doch weitgehend friedlich miteinander zu leben. Es hat Ausnahmen gegeben, Balkan-Krieg, jetzt sieht es im Moment auch in der Ukraine nicht gut aus, aber wir haben es doch geschafft. Das liegt, glaube ich, vor allen Dingen daran, dass der wirtschaftliche Fortschritt massiv gewesen ist. Es ist nicht mehr so, dass die Menschen denken, dass sie, um ihr eigenes nacktes Überleben sichern zu können, miteinander in Krieg gehen müssen. Es ist so, dass wir ein Rechtssystem geschaffen haben, was den Menschen den Eindruck vermittelt, dass sie ihre Interessen auch durchsetzen können ohne Gewalt. Und wir haben es geschafft durch Kooperation, durch Interaktion, uns voneinander abhängig zu machen, sodass wir wissen, glaube ich, jedenfalls überwiegend, dass, wenn wir einen Krieg anfangen würden, wir alle darunter leiden würden. Das sind so bestimmte Elemente, die man sehen kann auch in der Geschichte, auch wenn man sie eher so grundsätzlich überlegt, die friedensfördernd sind. Im Nahen Osten ist es eben leider schon seit vielen Jahren so, dass genau diese Elemente nicht da sind. Wir haben autoritäre Regime, wir haben große wirtschaftliche Probleme und wir haben eine Abschottung gegeneinander. Sodass die Vorhersage, dass im Nahen Osten es langfristig problematisch sein würde, die ja schon seit vielen Jahren von vielen Kolleginnen und Kollegen gemacht worden ist … Insofern, man wusste nicht, wann es kommt, aber dass der Nahe Osten eine hoch instabile, ein Pulverfass ist, das ist eigentlich schon seit Längerem klar.
    Zurheide: Ist denn das, was in der Ukraine passiert ist und noch passiert, ist das für Sie ein Rückschritt? Wie bewerten Sie das?
    Brzoska: Ja, absolut. Wir haben es nicht geschafft, das Fenster der Möglichkeit, uns mal sozusagen, was in den 90er-Jahren vor allen Dingen da war, in Europa eine neue Friedensordnung zu schaffen, zu nutzen. Auch da hat die Friedensforschung gewarnt und gesagt, dass das, was vor allen Dingen natürlich die USA betreiben, nämlich zu denken, dass Russland im Grunde genommen genauso werden wird wie Westeuropa und dass es in Zukunft in Europa keine Überlegungen mehr geben wird, die auf geopolitischer Grundlage sind, das heißt, dass Russland sich bedroht fühlen könnte, dass Russland versuchen könnte, ein Glacis zu schaffen, dass das naiv war und insofern die Ausweitung der NATO, die natürlich im Konsens mit der Bevölkerung dort erfolgte, diese Gefahr genau beinhaltete, dass die Geopolitik wieder an Gewicht gewinnen würde. Und das ist das, was wir dieser Tage erleben. Es ist noch nicht ein neuer Kalter Krieg, aber wir erleben das Wiederaufleben geopolitischer Überlegungen vor allen Dingen in Russland, aber auch im Westen. Und die Grundlage dafür ist, glaube ich, dass wir es eben nicht geschafft haben, Russland in ein europäisches Sicherheitssystem einzubauen, in dem auch ein wieder autoritärer gewordenes Russland – auch das muss man ja sehen, aber das ist natürlich etwas, was wir auch nicht von außen unbedingt verhindern können – sich in einem solchen europäischen Sicherheitssystem sicher fühlt. Das haben wir nicht geschafft.
    Zurheide: Es gibt noch viel zu tun für die Friedensforschung, aber auch für die Politiker, die möglicherweise etwas genauer hinhören sollten und können. Das war Michael Brzoska aus Hamburg, der Friedensforscher. Herr Brzoska, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Brzoska: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.