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Friedensnobelpreis für Äthiopiens Premier
"Abiy Ahmed ist eine gute Wahl"

Mit dem Friedensnobelpreis für den äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed habe das Nobelkomitee alles richtig gemacht, sagte der Friedensforscher Ulrich Schneckener im Dlf. Abiy habe mit dem Friedensabkommen mit Eritrea 2018 einen langjährigen und "extrem blutigen zwischenstaatlichen Konflikt beendet".

Ulrich Schneckener im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
Äthiopiens Präsident Abiy Ahmed reckt die Arme in die Luft.
Abiy Ahmeds (Bild) Friedensschluss mit Eritrea 2018 "hatte historische Bedeutung", sagt der Friedens- und Konfliktforscher Ulrich Schneckener (imago images/epd)
Der Friedensnobelpreis geht 2019 an den äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmend - als Anerkennung für seinen Einsatz zur Lösung des Grenzkonflikts zwischen Äthiopien und Eritrea. Eine gute Wahl, findet Ulrich Schneckener von der Uni Osnabrück, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Friedensforschung:
"Abiy Ahmends Entscheidung im letzten Jahr hatte historische Bedeutung, weil sie einen wirklich langjährigen zwischenstaatlichen Konflikt beendet hat. Wir dürfen nicht vergessen, dass beide Länder einen extrem blutigen Krieg gegeneinander geführt haben, 1998 bis 2000, mit fast 100.000 Toten, und seitdem zwischen beiden Ländern eine Art kalter Frieden herrschte." Eritrea hatte sich Anfang der 1990er-Jahre aus Äthiopien herausgelöst.
Die Versöhnung der beiden Länder und der Nobelpreis könnten laut Schneckener "auch eine Ausstrahlung in der Gesamtregion haben, die ja nach wie vor von vielen Konflikten und Kriegen gekennzeichnet ist".
Komitee war "gut beraten", Greta Thunberg nicht auszeichnen
Greta Thunberg "wäre sicherlich auch eine würdige Preisträgerin gewesen", glaubt Schneckener. "Ich glaube aber auch, dass das Komitee gut beraten war, ihr diesen Preis nicht zu geben." Die 16-jährige Klimaschutz-Aktivistin habe zwar "hohe Medienpräsenz erreicht, Unglaubliches geleistet für diese Frage der Klimapolitik", aber er sei sich "nicht sicher, ob dieser Preis ihr und ihrem Tun wirklich geholfen hätte".
Dass ein Friedensnobelpreis auch eine Hypothek auf die Zukunft sein kann, habe man zum Beispiel an Barack Obama gesehen, meint Schneckener. "Ich denke, der Preis an Barack Obama war ein Fehler. Ich glaube, da hat man ihm eigentlich auch keinen Gefallen getan." Nach nur einem Jahr der Obama-Regierung habe die Auszeichnung Erwartungen geschürt, "die Barack Obama letztlich nicht erfüllen konnte".
Firedensnobelpreis-Entscheidungen müssen umstritten sein
Dass die Entscheidungen des Komitees umstritten seien, liege bei einem Preis für friedenspolitische Leistungen in der Natur der Sache, sagt Schneckener. "Denn was Frieden genau ist, Frieden für wen, mit wem, selbst das ist ja auch umstritten. Insofern wundert es nicht, wenn auch der Friedensnobelpreis und wie er vergeben wird und an wen, immer wieder Diskussionen und Debatten auslöst. Das ist nicht schlecht, das ist eigentlich auch immer wieder Anlass, über diese Themen zu sprechen und nachzudenken."
"Wenn der Preis das Licht auf Themen lenkt, die sonst nicht so im Fokus stehen, dann finde ich diesen Preis eigentlich immer besonders gut - weil er dann eben auch Themen und damit verbundene Personen und Organisationen unterstreicht, die es sonst schwer haben, in der Weltöffentlichkeit gehört zu werden", sagte der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Friedensforschung.

Das gesamte Interview im Wortlaut:
Jörg Münchenberg: Es ist die wichtigste politische Auszeichnung der Welt: der Friedensnobelpreis, der traditionell am Ende der Verleihungswoche bekanntgegeben wird. Den Preis soll bekommen, wer unter anderem "am meisten oder besten für die Verbrüderung der Völker gewirkt hat". So ist die Vorgabe für den Friedensnobelpreis formuliert, die treffend auf den Ministerpräsidenten von Äthiopien passt, der die Auszeichnung in diesem Jahr bekommt.
Am Telefon ist jetzt der Friedensforscher Ulrich Schneckener von der Universität Osnabrück und Vorsitzender der Deutschen Stiftung Friedensforschung. Herr Schneckener, ich grüße Sie!
Ulrich Schneckener: Schönen guten Tag, Herr Münchenberg.
Münchenberg: Herr Schneckener, Abiy Ahmed bekommt also den Friedensnobelpreis als Anerkennung für seinen Einsatz zur Lösung des Grenzkonflikts zwischen Eritrea und Äthiopien. Ist das eine gute Wahl?
Schneckener: Ich denke, das ist eine gute Wahl. Er war sicherlich einer der Kandidaten, der auch heißer gehandelt wurde. Er hat ja bereits in diesem Jahr in Deutschland den Hessischen Friedenspreis bekommen, insofern auch hierzulande kein Unbekannter, und ich denke, seine Entscheidung im letzten Jahr hatte historische Bedeutung, weil sie einen wirklich langjährigen zwischenstaatlichen Konflikt zwischen Eritrea und Äthiopien beendet hat. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass beide Länder einen extrem blutigen Krieg gegeneinander geführt haben, 1998 bis 2000, mit fast 100.000 Toten, und seitdem zwischen beiden Ländern eine Art kalter Frieden herrschte, ein Waffenstillstand, der aber immer wieder sehr porös war, der zwar international überwacht wurde, ein Grenzkonflikt, der nicht beigelegt werden konnte, und letztlich auch am äthiopischen Widerstand lange gescheitert war, denn es gab eine Entscheidung über diesen Grenzkonflikt. Äthiopien hat diese Entscheidung nicht akzeptiert, und der äthiopische Ministerpräsident hat im letzten Jahr letztlich die äthiopische Position so verändert, dass ein Friedensvertrag nun möglich war, um diesen Konflikt beizulegen.
"Könnte ein historischer Schritt sein"
Münchenberg: Herr Schneckener, was würden Sie denn sagen, was bewirkt ein solcher Preis? Oder vielleicht anders gefragt: Kann er dem äthiopischen Ministerpräsidenten bei seiner Versöhnungspolitik helfen, ihn auch stärken?
Schneckener: Ich glaube, dass das schon möglich ist, dass er gerade in dieser Frage der Versöhnung mit Eritrea – denn beide Länder verbindet ja eine langjährige, durch Kriege und Gewalt und auch durch Annexion und Okkupation geprägte Geschichte, denn Eritrea hat sich ja aus Äthiopien herausgelöst. Es gab damals eine Sezession Anfang der 90er-Jahre aus Äthiopien heraus, und seitdem ist eigentlich das bilaterale Verhältnis immer wieder durch Konflikte gekennzeichnet. Insofern glaube ich, dass das schon ein historischer Schritt sein könnte, der zu einer hoffentlich dann auch langfristigen Versöhnung führt, die auch eine Ausstrahlung in der Gesamtregion hat, die ja nach wie vor von vielen Konflikten und Kriegen gekennzeichnet ist.
Münchenberg: Lassen Sie uns den Blick vielleicht ein bisschen weiten. Es war ja auch im letzten Jahr so, dass hier Personen den Friedensnobelpreis bekommen haben, die nicht so prominent in der Öffentlichkeit stehen. Ist das insgesamt für diesen Preis der richtige Ansatz?
Schneckener: Ich würde sagen, der Friedensnobelpreis geht eigentlich in drei Kategorien. Die erste Kategorie sind Organisationen. Das können internationale Organisationen sein. Die EU hat ja 2012 den Friedensnobelpreis bekommen. Das können aber auch NGOs sein, lokale wie globale NGOs. Amnesty International hat ihn mal bekommen, der UNHCR. Aber auch kleine lokale NGOs sind ausgezeichnet worden für ihre Arbeit.
Die zweite Kategorie – und das ist eigentlich die Kategorie, wie der Friedensnobelpreis mal begonnen hat -, das waren eigentlich Friedensaktivisten, Kriegsgegner, Antimilitaristen, und diese Einzelpersonen, Privatpersonen, die sich durch ihr Engagement für Frieden lokal oder global eingesetzt haben, diese Personen – das beginnt bei Bertha von Suttner, die 1905 den Friedensnobelpreis als erste Frau erhalten hat. Man könnte Namen nennen wie Martin Luther King, Albert Schweitzer, Andrei Sacharow oder auch die Preisträger vom letzten Jahr, die sich gegen den Einsatz sexueller Gewalt in Kriegen eingesetzt haben -, diese Einzelpersonen werden ausgezeichnet für ihr fast lebenslanges Engagement für Frieden, und das auch breit verstanden. Wir haben darunter auch Menschenrechtsaktivisten und Bürgerrechtler.
Die dritte Kategorie, wenn ich die noch sagen darf, in die gehört im Prinzip jetzt auch der Preis in diesem Jahr. Das sind aktive oder ehemals aktive Politiker und Politikerinnen, die für eine ganz konkrete politische Entscheidung ausgezeichnet werden. Diese letzte Kategorie ist meistens die Kategorie, die auch am meisten umstritten ist. Das sind natürlich Entscheidungen, die immer diskutiert werden und die immer umstritten sind, und das muss in gewisser Weise auch so sein.
Greta Thunberg "wäre sicher auch eine würdige Preisträgerin gewesen"
Münchenberg: Herr Schneckener, Sie haben schon gesagt, es werden auch Privatpersonen ausgezeichnet. Wir müssen natürlich da auch über Greta Thunberg reden, die Klimaaktivisten aus Schweden. Die galt ja als heiße Kandidatin in diesem Jahr. Sie gilt als Ikone der Fridays-for-Future-Bewegung. Wäre sie nicht auch eine würdige Preisträgerin gewesen?
Schneckener: Sie wäre sicherlich auch eine würdige Preisträgerin gewesen. Ich glaube aber, dass das Komitee gut beraten war, ihr diesen Preis nicht zu geben.
Münchenberg: Warum?
Schneckener: Weil ich glaube, dass sie - - Sie hat eine hohe Medienpräsenz erreicht. Sie hat Unglaubliches geleistet für diese Frage der Klimapolitik. Ich glaube aber, dass möglicherweise diese Überhöhung auch der Person, was auch vielleicht der Person nicht gut tut – das vermag ich aber nicht einzuschätzen -, dass das vielleicht der Sache auch nicht gut getan hätte. Insofern glaube ich, dass es sicherlich eher eine richtige Entscheidung war, diesen Preis an Greta Thunberg nicht zu vergeben. Sie hat den Alternativen Nobelpreis in diesem Jahr bekommen; das ist auch eine sehr, sehr hohe Auszeichnung, der, glaube ich, das Engagement auch noch mal in besonderer Weise zu Recht würdigt. Aber ich denke, dass man bei ihr auch sehen muss: Sie ist 16 Jahre alt. Sie ist vielfach durch die Welt gereist, überall aufgetreten. Ich bin nicht sicher, ob dieser Preis ihr und ihrem Tun wirklich geholfen hätte.
Münchenberg: Auf der anderen Seite: Die Bekämpfung des Klimawandels gilt als Menschheitsaufgabe. Es geht um die Zukunft ganzer Generationen, um die Zukunft auf diesem Planeten. Wäre da nicht trotzdem der Preis angemessen gewesen, ihn Fridays for Future oder Greta Thunberg zu geben?
Schneckener: Ja! Ich denke, man muss auch über dieses Thema sprechen. Dieses Thema gehört da mit rein und wir hatten auch in der Vergangenheit Friedensnobelpreise, die sich eher, sagen wir mal, Richtung ökologischer Fragen orientiert haben, und der Klimawandel ist ja mehr als nur eine ökologische Frage. Da haben Sie natürlich völlig recht. Und natürlich wäre das Engagement als Einsatz für eine Klimapolitik, für eine CO2-freie Welt absolut preiswürdig, und ich denke auch, dass ein solcher Preis in Zukunft sicherlich vergeben wird. Ob an eine Einzelperson oder an eine Gruppe, sei dahingestellt.
Ich persönlich bevorzuge oder begrüße immer dann Entscheidungen des Nobelpreiskomitees, das ist in diesem Jahr nicht der Fall, wenn das auf Themen gelenkt wird, die sonst nicht so im Fokus stehen. Dann finde ich diesen Preis eigentlich immer besonders gut, weil er dann auch Themen unterstreicht und auch vielleicht Personen und Organisationen damit verbunden unterstreicht, die sonst es schwer haben, in der Medienöffentlichkeit, insbesondere in der Weltöffentlichkeit gehört zu werden, die aber auch Ansporn sind und die Vorbilder sind wiederum für andere. Insofern finde ich dann den Preis immer besonders gut.
"Der Preis an Barack Obama war ein Fehler"
Münchenberg: Auf der anderen Seite hat auch damals Barack Obama den Friedensnobelpreis bekommen, sozusagen als Vorleistung, denn das kam ja schon relativ schnell nach seinem Amtsantritt. Da stellt sich schon die Frage: Nach welchen Kriterien wird eigentlich der Friedensnobelpreis verliehen?
Schneckener: Ich denke, der Preis an Barack Obama war ein Fehler. Ich glaube, da hat man ihm eigentlich auch keinen Gefallen getan, denn eigentlich hat dieser Friedensnobelpreis in gewisser Weise seine Amtszeit auch ein bisschen belastet, weil natürlich Erwartungen geschürt worden sind, wenn jemand ihn, mehr oder weniger ein Jahr im Amt, erhält – Erwartungen geschürt worden sind, die auch Barack Obama letztlich nicht erfüllen konnte. Insofern, glaube ich, war das eine Auszeichnung, die man lieber unterlassen hätte.
Ja, klar, man kann über die Kriterien reden. Ich denke, es wird immer so sein, dass es immer wieder Entscheidungen gibt in diesem Bereich der Friedenspolitik, der internationalen Politik, die umstritten sein werden. Das hat was mit dem Charakter des Preises zu tun, denn der Frieden selber, was Frieden genau ist, Frieden für wen, Frieden mit wem, selbst das ist ja auch umstritten. Der Friedensbegriff selber ist ja ein umstrittener Begriff und insofern wundert es nicht, wenn auch der Friedensnobelpreis, und wie er vergeben wird und an wen er vergeben wird, immer wieder Diskussionen und Debatten auslöst. Das ist nicht schlecht, sondern das ist eigentlich auch immer wieder Anlass, über diese Themen zu sprechen und nachzudenken.
Münchenberg: Herr Schneckener, noch ein Punkt. Es gab in diesem Jahr 301 Nominierte und ich habe gelesen, die Namen der Kandidaten werden 50 Jahre lang unter Verschluss gehalten. Würde ein solcher Preis nicht vielleicht auch ein bisschen mehr Transparenz gut vertragen, dass man sagt, wer auf dieser Liste stand?
Schneckener: Man könnte mal darüber nachdenken, ob man nicht es wie bei anderen Preisen macht, eine sogenannte Longlist oder eine Shortlist zu veröffentlichen. Man muss ja nicht 300 Personen auflisten. Ich glaube, das wäre verfehlt, weil nicht jeder Vorschlag, der dort eingeht, sinnhaft ist und zu recht dann vom Nobelpreiskomitee auch nicht weiter verfolgt wird. Aber eine Shortlist fände ich beispielsweise keine schlechte Idee, dass man sagt, wir haben hier fünf preiswürdige Personen oder Organisationen und haben uns dann letztendlich für diese eine Person oder Organisation entschieden. Manchmal ist es ja auch so, dass der Preis geteilt wurde, genau aus dem Grund, weil man sich vielleicht nicht für ein Thema oder für eine Person entscheiden mochte, was ja schon darauf verweist, dass es durchaus mehrere preiswürdige Träger/Trägerinnen jedes Jahr gibt.
Eine solche Shortlist, glaube ich, könnte dazu beitragen, ein bisschen mehr Transparenz reinzubringen und auch die Breite des Themenfeldes deutlich zu machen. Denn es passiert natürlich viel mehr in der Welt in jedem Jahr, was eigentlich preiswürdig wäre. Man könnte mehrere Themen ansprechen, mehreren Personen die Öffentlichkeit bieten, mehreren Organisationen damit helfen, gerade auf lokaler Ebene, wo Leute gegen schwerste Bedingungen versuchen, sich für Frieden, Gerechtigkeit und soziale Entwicklungen einzusetzen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.