Vollmer: Guten Morgen.
Müller: Herr Vollmer, ist das so mit dem Friedensplan?
Vollmer: Ja, in der Tat. Im Auswärtigen Amt wird seit der Woche vor Ostern sehr intensiv daran gearbeitet, und Joschka Fischer hat sich gegenüber den Außenministerkollegen der anderen westlichen Staaten bereits sehr intensiv für diesen Friedensplan eingesetzt. Er ist relativ konkret formuliert, und er versucht auf der Basis der fünf mittlerweile bekannten Anforderungen an Milosevic so etwas wie umsetzbare Schritte zu entwerfen, die dazu führen können, daß es gleichzeitig zu einem Waffenstillstand und zu einem Rückzug der jugoslawisch-serbischen Truppen aus dem Kosovo kommt.
Müller: Helfen Sie uns doch, Herr Vollmer, ein wenig weiter bei der Formulierung.
Vollmer: Also, es geht im Prinzip darum, einen Zeitpunkt zu definieren, an dem der Rückzug der jugoslawisch-serbischen bewaffneten Einheiten - also des Militärs, der Polizei und der bewaffneten Freischärler – beginnt. Und zu diesem Zeitpunkt wäre die NATO nach diesem Plan bereit, ihre Bombardierung zunächst auszusetzen. Wenn Milosevic planmäßig seine Truppen zurückzieht, so sollte am Endzeitpunkt des Rückzugs, also wenn die Truppen alle den Kosovo verlassen haben, die NATO ihre Bombardierung endgültig suspendieren. Zu diesem zweiten Zeitpunkt sollen dann alle Flüchtlinge zurückkehren können. Gleichzeitig müßte eine internationale Schutztruppe in den Kosovo einziehen, und zwar mandatiert durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Gleichzeitig sollen die Hilfsorganisationen zurückkehren, um Flüchtlingshilfe leisten zu können und Wiederaufbauhilfe. Gleichzeitig soll man beginnen darüber nachzudenken, wie die internationalen Institutionen – vor allen Dingen die Finanzinstitutionen – einen Wiederaufbau und eine langfristige Entwicklung dieses Bereichs finanzieren können. Und kurz darauf soll auch der Startschuß gegeben werden für eine Balkankonferenz, die einen Stabilitätspakt für den gesamten südlichen Balkan entwirft. Der UNO-Generalsekretär soll genau so involviert werden wie die OSZE - deren Mission, die ja nicht abgebrochen, sondern nur unterbrochen worden ist -, die dann auch wieder ins Konfliktgebiet einrücken könnte, um dort beim Wiederaufbau zu helfen. Das ist im Großen und Ganzen die Idee.
Müller: Bislang, Herr Vollmer, war die offizielle Lesart der Allianz so: Wenn Milosevic sich merklich und sichtbar zurückzieht bzw. seine Truppen aus dem Kosovo, erst dann wird die NATO in Erwägung ziehen, die Luftangriffe einzustellen. Hat sich das jetzt geändert?
Vollmer: Nein, darum geht’s ja gerade. Wir wollen versuchen herauszufinden, wie denn eine Absicht von Milosevic, der vielleicht erklärt haben mag, auch an der Realität zu überprüfen ist. Und deshalb sollen zwei Zeitpunkte definiert werden: Der Beginn des Abzugs und der Abschluß des Abzugs. Am Beginn des Abzugs werden die NATO-Angriffe zunächst mal ausgesetzt, und wenn der Abzug tatsächlich passiert ist, werden sie endgültig beendet. Dies scheint uns ein gangbarer Weg zu sein, denn nicht nur der Westen, sondern insbesondere die Kosovo-Albaner brauchen die Garantie, daß die jugoslawisch-serbische Mordmaschinerie gestoppt ist, denn nur so können die Flüchtlinge zurückkehren in den Kosovo. Und das ist ja das politische Ziel dieser gesamten Operation.
Müller: Sie sagen also: Einstellung der Luftangriffe zu Beginn eines Abzuges. Ist das eine neue Qualität von Kompromißbereitschaft?
Vollmer: Es geht dabei nicht um Kompromiß. Es geht darum, einen praktikablen Weg zu finden, wie man gleichzeitig Waffenstillstand und Rückzug der Serben aus dem Kosovo erreichen kann. Darüber wurde auch unter den NATO-Außenministern gestern bereits geredet. Es gibt eine recht breite Zustimmung zu dieser Idee, auch wenn noch viele Einzelheiten zu besprechen sind. Diese Idee war auch Gegenstand der Gespräche zwischen der amerikanischen Außenministerin Albright und dem russischen Außenminister Iwanow gestern abend. Da gab es – wie bekannt ist – Übereinstimmung bei einigen dieser Punkte. Es hakt allerdings noch bei dem wichtigen Punkt, wie denn die Schutztruppe genau konstruiert sein sollte.
Müller: Da wird die NATO, um bei diesem Thema zu bleiben, nach wie vor darauf bestehen: Es gibt eine internationale Friedenstruppe, die dann gegebenenfalls auch mandatiert wird durch die UNO, aber sie muß unter der Führung der NATO in den Kosovo gehen.
Vollmer: Ja, und über diesen Punkt wird zwischen den beiden Großmächten, zwischen den USA auf der einen Seite und den Russen auf der anderen Seite, noch gesprochen. Der Westen, insbesondere die USA, legen großen Wert darauf, daß der Kern dieser Truppe – und damit die Kommandostruktur – von der NATO gestellt wird. Die Russen wollen eine andere Zusammensetzung, wollen ein so starkes Gewicht der NATO nicht akzeptieren. Iwanow hat gesagt, daß er nur einer Truppe zustimmt, die auch die Zustimmung Belgrads hat. Das allerdings ist ein großes Problem, denn Belgrad hat sich bis jetzt geweigert, über welche Form der Schutztruppe auch immer überhaupt nur zu diskutieren.
Müller: In welchem Zusammenhang, Herr Vollmer, sind denn die Informationen aus Washington einzuordnen: Clinton hat angekündigt, die Luftangriffe werden intensiviert, werden verstärkt - zugleich die Bemühungen auf der politischen Ebene. Paßt das zusammen?
Vollmer: Das paßt durchaus zusammen, denn wenn man einen Friedensplan in Aussicht stellt und damit im Grunde andeutet, daß man, wenn der politische Wille da wäre, bald zu einer friedlichen Lösung kommen könnte – so man bei dem Konflikt von ‚friedlich‘ überhaupt noch reden kann –, dann widerspricht es dem absolut nicht, wenn im Vorfeld eines Friedensschlusses noch mal ‚die Schrauben angezogen‘ werden, denn um so größer könnte dadurch der Druck sein, auf diesen Friedensplan einzugehen.
Müller: Ist es realistisch anzunehmen – von westlicher Seite –, daß Rußland dann doch zustimmen sollte zu einer Friedenstruppe, trotz der Vorgaben, die aus Moskau gekommen sind, auch gestern?
Vollmer: Wir sehen es als ermutigendes Zeichen, daß sich der russische Außenminister eingelassen hat auf diesen Diskussionsprozeß. Und die NATO ist gut beraten, auf die Russen zuzugehen und eine gewisse Flexibilität zu zeigen, denn eine Lösung auf dem Balkan wird es letztlich ohne die Russen oder gar gegen die Russen mit Sicherheit nicht geben können. Der Westen täte nicht gut daran, herablassend auf die Russen zu reagieren, nur weil diese nun keine Großmacht mehr sind und westliche Finanzen brauchen. Sicher ist, daß man die Russen ‚ins Boot‘ holen muß, wenn man zu einer langfristig tragfähigen Konzeption kommen will.
Müller: Ludger Vollmer war das, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Vollmer: Auf Wiederhören.
Müller: Mitgehört auf der anderen Leitung hat der Vorsitzende der PDS, Lothar Bisky. Guten Morgen.
Bisky: Guten Morgen.
Müller: Herr Bisky, Gregor Gysi ist derzeit in Belgrad und will ausloten, zu welchen Kompromissen, Zugeständnissen die Serben bereit sind. Haben Sie von ihm schon etwas gehört?
Bisky: Nein, die Gespräche sind noch nicht abgeschlossen. Es ist auch noch nicht ganz sicher, ob Milosevic ihn empfängt. Er hat es bisher ja abgelehnt, aber ich denke, der Ministerpräsident und der Außenminister werden mit ihm sprechen. Aber das wäre verfrüht, dazu etwas zu sagen. Die Gespräche finden ja noch statt.
Müller: Haben Sie Ansprechpartner in Belgrad, die als kompromißbereitere Kräfte eingestuft werden könnten?
Bisky: Wir haben ja einen 5-Punkte-Plan gemacht. Da bin ich erstaunt, daß da doch einige Ähnlichkeit auch mit einigen Punkten, die Herr Vollmer eben genannt hat, besteht. Wir haben natürlich Ansprechpartner, und es gibt sicher auch in Serbien nicht wenige Politiker, die eine Beendigung dieses fürchterlichen Krieges wollen, und zwar sofort.
Müller: Was ist für Sie die Bedingung, die Voraussetzung, daß die NATO die Angriffe einstellt, oder sollen sie das als Vorgaben – als Geschenk sozusagen – tun?
Bisky: Nein. Ich denke, man müßte – um es kurz zu machen – zunächst einmal einen Waffenstillstand generell herbeiführen, also auch die jugoslawischen Polizei-Sicherheitskräfte, die Armee usw. müssen die Waffen schweigen lassen. Es muß Schluß sein mit der Vertreibung, so daß man die Voraussetzung hat, dann politische Lösungen zu finden. Nach unserer Auffassung wäre es gut, wenn unter Hoheit des UNO-Generalsekretärs und nach Möglichkeit auch unter Einbeziehung des Sicherheitsrates dort eine Lösung gefunden wird - jedenfalls bis die Verhandlungen zu einem Kompromiß kommen. Wir haben uns diesbezüglich ja nicht nur an Belgrad gewandt, sondern auch noch nach Tirana und Makedonien, und wir haben uns an Linkskräfte in Europa gewandt - wo es in der nächsten Woche wahrscheinlich zwei Konferenzen geben wird -, damit wir das unsere beitragen zur Lösung oder zu einer möglichen Lösung dieser Fragen, die ja außerordentlich kompliziert sind und nur zu Lasten der Menschen im Kosovo, vor allem aber dann schließlich auch der Menschen in Serbien gehen. Und das ist unser Anliegen, und deshalb ist Gregor Gysi gegenwärtig in Belgrad. Er wird anderswo hinfahren; wir haben Kontakte gehabt mit Politikern aus Moskau, aus Rom, aus Paris, und wir werden die Kontakte mit Linksparteien, von denen ja einige auch an der Regierung sind, fortsetzen.
Müller: Die PDS hat, Herr Bisky, hat von Beginn an den Einsatz der NATO kritisiert. Hätten Sie - in Verantwortung - Milosevic noch einmal eine Chance gegeben?
Bisky: Also, wir sind ja relativ schlecht informiert. Aber ich glaube, dieser Krieg hat gezeigt, daß die Resultate fürchterlich sind. Nach unserer Auffassung hätten die Verhandlungen zwingend fortgesetzt werden müssen, und es hätte natürlich verhindert werden müssen, daß dort eine Vertreibung der Albaner stattfindet im Kosovo. Das haben wir nie in irgendeiner Weise gerechtfertigt, und wir sind ja auch nicht besondere Freunde von Milosevic. Nur: Man hätte die Verhandlungen, die jetzt dann wieder aufgenommen wurden – denke ich –, doch intensiver und vielleicht auch mit anderen Kräften fortführen müssen. Wir sahen eine Chance, nicht unbedingt einen Krieg zu beginnen, denn dieser Krieg hat fürchterliche Folgen. Und die Leidtragenden werden vor allem dort in der Region sein, die ja nun in fürchterlicher Weise zerbombt ist. Deshalb können wir dieser kriegerischen Aktion keine positive Seite abgewinnen.
Müller: Also aus Ihrer Sicht durchaus realistisch, daß Milosevic dann bei weiteren Verhandlungen noch Zugeständnisse gemacht hätte?
Bisky: Das ist schwer zu sagen, aber es wäre der bessere Weg gewesen, glaube ich. Man hätte dann vielleicht auch andere noch einbeziehen können und einbeziehen müssen. Es gibt Alternativen zum Kriege, und die gab es auch da. Wir haben ja jetzt erfahren, daß die friedenspolitische Sprecherin der Grünen auch unzufrieden ist mit dem Stand der Informationen, den sie hatte. Das Rambouillet-Abkommen, das man jetzt erst vollständig lesen konnte – wenn man in Opposition ist –, das zeigt ja, daß es da durchaus Alternativen zu einzelnen Passagen in diesem Abkommen gegeben hätte. Und die hätten wahrscheinlich auch eine Zustimmung von Milosevic finden können – wie wohl ich anmerken will: Für mich ist Milosevic nicht berechenbar.
Müller: Also, die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, hat ihre Vorwürfe vom Wochenende – zum Teil jedenfalls – relativiert. Das war der PDS-Bundesvorsitzende Lothar Bisky. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Bisky: Auf Wiederhören.
Müller: Herr Vollmer, ist das so mit dem Friedensplan?
Vollmer: Ja, in der Tat. Im Auswärtigen Amt wird seit der Woche vor Ostern sehr intensiv daran gearbeitet, und Joschka Fischer hat sich gegenüber den Außenministerkollegen der anderen westlichen Staaten bereits sehr intensiv für diesen Friedensplan eingesetzt. Er ist relativ konkret formuliert, und er versucht auf der Basis der fünf mittlerweile bekannten Anforderungen an Milosevic so etwas wie umsetzbare Schritte zu entwerfen, die dazu führen können, daß es gleichzeitig zu einem Waffenstillstand und zu einem Rückzug der jugoslawisch-serbischen Truppen aus dem Kosovo kommt.
Müller: Helfen Sie uns doch, Herr Vollmer, ein wenig weiter bei der Formulierung.
Vollmer: Also, es geht im Prinzip darum, einen Zeitpunkt zu definieren, an dem der Rückzug der jugoslawisch-serbischen bewaffneten Einheiten - also des Militärs, der Polizei und der bewaffneten Freischärler – beginnt. Und zu diesem Zeitpunkt wäre die NATO nach diesem Plan bereit, ihre Bombardierung zunächst auszusetzen. Wenn Milosevic planmäßig seine Truppen zurückzieht, so sollte am Endzeitpunkt des Rückzugs, also wenn die Truppen alle den Kosovo verlassen haben, die NATO ihre Bombardierung endgültig suspendieren. Zu diesem zweiten Zeitpunkt sollen dann alle Flüchtlinge zurückkehren können. Gleichzeitig müßte eine internationale Schutztruppe in den Kosovo einziehen, und zwar mandatiert durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Gleichzeitig sollen die Hilfsorganisationen zurückkehren, um Flüchtlingshilfe leisten zu können und Wiederaufbauhilfe. Gleichzeitig soll man beginnen darüber nachzudenken, wie die internationalen Institutionen – vor allen Dingen die Finanzinstitutionen – einen Wiederaufbau und eine langfristige Entwicklung dieses Bereichs finanzieren können. Und kurz darauf soll auch der Startschuß gegeben werden für eine Balkankonferenz, die einen Stabilitätspakt für den gesamten südlichen Balkan entwirft. Der UNO-Generalsekretär soll genau so involviert werden wie die OSZE - deren Mission, die ja nicht abgebrochen, sondern nur unterbrochen worden ist -, die dann auch wieder ins Konfliktgebiet einrücken könnte, um dort beim Wiederaufbau zu helfen. Das ist im Großen und Ganzen die Idee.
Müller: Bislang, Herr Vollmer, war die offizielle Lesart der Allianz so: Wenn Milosevic sich merklich und sichtbar zurückzieht bzw. seine Truppen aus dem Kosovo, erst dann wird die NATO in Erwägung ziehen, die Luftangriffe einzustellen. Hat sich das jetzt geändert?
Vollmer: Nein, darum geht’s ja gerade. Wir wollen versuchen herauszufinden, wie denn eine Absicht von Milosevic, der vielleicht erklärt haben mag, auch an der Realität zu überprüfen ist. Und deshalb sollen zwei Zeitpunkte definiert werden: Der Beginn des Abzugs und der Abschluß des Abzugs. Am Beginn des Abzugs werden die NATO-Angriffe zunächst mal ausgesetzt, und wenn der Abzug tatsächlich passiert ist, werden sie endgültig beendet. Dies scheint uns ein gangbarer Weg zu sein, denn nicht nur der Westen, sondern insbesondere die Kosovo-Albaner brauchen die Garantie, daß die jugoslawisch-serbische Mordmaschinerie gestoppt ist, denn nur so können die Flüchtlinge zurückkehren in den Kosovo. Und das ist ja das politische Ziel dieser gesamten Operation.
Müller: Sie sagen also: Einstellung der Luftangriffe zu Beginn eines Abzuges. Ist das eine neue Qualität von Kompromißbereitschaft?
Vollmer: Es geht dabei nicht um Kompromiß. Es geht darum, einen praktikablen Weg zu finden, wie man gleichzeitig Waffenstillstand und Rückzug der Serben aus dem Kosovo erreichen kann. Darüber wurde auch unter den NATO-Außenministern gestern bereits geredet. Es gibt eine recht breite Zustimmung zu dieser Idee, auch wenn noch viele Einzelheiten zu besprechen sind. Diese Idee war auch Gegenstand der Gespräche zwischen der amerikanischen Außenministerin Albright und dem russischen Außenminister Iwanow gestern abend. Da gab es – wie bekannt ist – Übereinstimmung bei einigen dieser Punkte. Es hakt allerdings noch bei dem wichtigen Punkt, wie denn die Schutztruppe genau konstruiert sein sollte.
Müller: Da wird die NATO, um bei diesem Thema zu bleiben, nach wie vor darauf bestehen: Es gibt eine internationale Friedenstruppe, die dann gegebenenfalls auch mandatiert wird durch die UNO, aber sie muß unter der Führung der NATO in den Kosovo gehen.
Vollmer: Ja, und über diesen Punkt wird zwischen den beiden Großmächten, zwischen den USA auf der einen Seite und den Russen auf der anderen Seite, noch gesprochen. Der Westen, insbesondere die USA, legen großen Wert darauf, daß der Kern dieser Truppe – und damit die Kommandostruktur – von der NATO gestellt wird. Die Russen wollen eine andere Zusammensetzung, wollen ein so starkes Gewicht der NATO nicht akzeptieren. Iwanow hat gesagt, daß er nur einer Truppe zustimmt, die auch die Zustimmung Belgrads hat. Das allerdings ist ein großes Problem, denn Belgrad hat sich bis jetzt geweigert, über welche Form der Schutztruppe auch immer überhaupt nur zu diskutieren.
Müller: In welchem Zusammenhang, Herr Vollmer, sind denn die Informationen aus Washington einzuordnen: Clinton hat angekündigt, die Luftangriffe werden intensiviert, werden verstärkt - zugleich die Bemühungen auf der politischen Ebene. Paßt das zusammen?
Vollmer: Das paßt durchaus zusammen, denn wenn man einen Friedensplan in Aussicht stellt und damit im Grunde andeutet, daß man, wenn der politische Wille da wäre, bald zu einer friedlichen Lösung kommen könnte – so man bei dem Konflikt von ‚friedlich‘ überhaupt noch reden kann –, dann widerspricht es dem absolut nicht, wenn im Vorfeld eines Friedensschlusses noch mal ‚die Schrauben angezogen‘ werden, denn um so größer könnte dadurch der Druck sein, auf diesen Friedensplan einzugehen.
Müller: Ist es realistisch anzunehmen – von westlicher Seite –, daß Rußland dann doch zustimmen sollte zu einer Friedenstruppe, trotz der Vorgaben, die aus Moskau gekommen sind, auch gestern?
Vollmer: Wir sehen es als ermutigendes Zeichen, daß sich der russische Außenminister eingelassen hat auf diesen Diskussionsprozeß. Und die NATO ist gut beraten, auf die Russen zuzugehen und eine gewisse Flexibilität zu zeigen, denn eine Lösung auf dem Balkan wird es letztlich ohne die Russen oder gar gegen die Russen mit Sicherheit nicht geben können. Der Westen täte nicht gut daran, herablassend auf die Russen zu reagieren, nur weil diese nun keine Großmacht mehr sind und westliche Finanzen brauchen. Sicher ist, daß man die Russen ‚ins Boot‘ holen muß, wenn man zu einer langfristig tragfähigen Konzeption kommen will.
Müller: Ludger Vollmer war das, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Vollmer: Auf Wiederhören.
Müller: Mitgehört auf der anderen Leitung hat der Vorsitzende der PDS, Lothar Bisky. Guten Morgen.
Bisky: Guten Morgen.
Müller: Herr Bisky, Gregor Gysi ist derzeit in Belgrad und will ausloten, zu welchen Kompromissen, Zugeständnissen die Serben bereit sind. Haben Sie von ihm schon etwas gehört?
Bisky: Nein, die Gespräche sind noch nicht abgeschlossen. Es ist auch noch nicht ganz sicher, ob Milosevic ihn empfängt. Er hat es bisher ja abgelehnt, aber ich denke, der Ministerpräsident und der Außenminister werden mit ihm sprechen. Aber das wäre verfrüht, dazu etwas zu sagen. Die Gespräche finden ja noch statt.
Müller: Haben Sie Ansprechpartner in Belgrad, die als kompromißbereitere Kräfte eingestuft werden könnten?
Bisky: Wir haben ja einen 5-Punkte-Plan gemacht. Da bin ich erstaunt, daß da doch einige Ähnlichkeit auch mit einigen Punkten, die Herr Vollmer eben genannt hat, besteht. Wir haben natürlich Ansprechpartner, und es gibt sicher auch in Serbien nicht wenige Politiker, die eine Beendigung dieses fürchterlichen Krieges wollen, und zwar sofort.
Müller: Was ist für Sie die Bedingung, die Voraussetzung, daß die NATO die Angriffe einstellt, oder sollen sie das als Vorgaben – als Geschenk sozusagen – tun?
Bisky: Nein. Ich denke, man müßte – um es kurz zu machen – zunächst einmal einen Waffenstillstand generell herbeiführen, also auch die jugoslawischen Polizei-Sicherheitskräfte, die Armee usw. müssen die Waffen schweigen lassen. Es muß Schluß sein mit der Vertreibung, so daß man die Voraussetzung hat, dann politische Lösungen zu finden. Nach unserer Auffassung wäre es gut, wenn unter Hoheit des UNO-Generalsekretärs und nach Möglichkeit auch unter Einbeziehung des Sicherheitsrates dort eine Lösung gefunden wird - jedenfalls bis die Verhandlungen zu einem Kompromiß kommen. Wir haben uns diesbezüglich ja nicht nur an Belgrad gewandt, sondern auch noch nach Tirana und Makedonien, und wir haben uns an Linkskräfte in Europa gewandt - wo es in der nächsten Woche wahrscheinlich zwei Konferenzen geben wird -, damit wir das unsere beitragen zur Lösung oder zu einer möglichen Lösung dieser Fragen, die ja außerordentlich kompliziert sind und nur zu Lasten der Menschen im Kosovo, vor allem aber dann schließlich auch der Menschen in Serbien gehen. Und das ist unser Anliegen, und deshalb ist Gregor Gysi gegenwärtig in Belgrad. Er wird anderswo hinfahren; wir haben Kontakte gehabt mit Politikern aus Moskau, aus Rom, aus Paris, und wir werden die Kontakte mit Linksparteien, von denen ja einige auch an der Regierung sind, fortsetzen.
Müller: Die PDS hat, Herr Bisky, hat von Beginn an den Einsatz der NATO kritisiert. Hätten Sie - in Verantwortung - Milosevic noch einmal eine Chance gegeben?
Bisky: Also, wir sind ja relativ schlecht informiert. Aber ich glaube, dieser Krieg hat gezeigt, daß die Resultate fürchterlich sind. Nach unserer Auffassung hätten die Verhandlungen zwingend fortgesetzt werden müssen, und es hätte natürlich verhindert werden müssen, daß dort eine Vertreibung der Albaner stattfindet im Kosovo. Das haben wir nie in irgendeiner Weise gerechtfertigt, und wir sind ja auch nicht besondere Freunde von Milosevic. Nur: Man hätte die Verhandlungen, die jetzt dann wieder aufgenommen wurden – denke ich –, doch intensiver und vielleicht auch mit anderen Kräften fortführen müssen. Wir sahen eine Chance, nicht unbedingt einen Krieg zu beginnen, denn dieser Krieg hat fürchterliche Folgen. Und die Leidtragenden werden vor allem dort in der Region sein, die ja nun in fürchterlicher Weise zerbombt ist. Deshalb können wir dieser kriegerischen Aktion keine positive Seite abgewinnen.
Müller: Also aus Ihrer Sicht durchaus realistisch, daß Milosevic dann bei weiteren Verhandlungen noch Zugeständnisse gemacht hätte?
Bisky: Das ist schwer zu sagen, aber es wäre der bessere Weg gewesen, glaube ich. Man hätte dann vielleicht auch andere noch einbeziehen können und einbeziehen müssen. Es gibt Alternativen zum Kriege, und die gab es auch da. Wir haben ja jetzt erfahren, daß die friedenspolitische Sprecherin der Grünen auch unzufrieden ist mit dem Stand der Informationen, den sie hatte. Das Rambouillet-Abkommen, das man jetzt erst vollständig lesen konnte – wenn man in Opposition ist –, das zeigt ja, daß es da durchaus Alternativen zu einzelnen Passagen in diesem Abkommen gegeben hätte. Und die hätten wahrscheinlich auch eine Zustimmung von Milosevic finden können – wie wohl ich anmerken will: Für mich ist Milosevic nicht berechenbar.
Müller: Also, die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, hat ihre Vorwürfe vom Wochenende – zum Teil jedenfalls – relativiert. Das war der PDS-Bundesvorsitzende Lothar Bisky. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Bisky: Auf Wiederhören.