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Friedensstifter in Europa

Als Bundeskanzler Willy Brandt Ende der 60er Jahre in der Ostpolitik neue Wege ging, stieß das in der Bundesrepublik auf teils erbitterten Widerstand. Doch international fand die Aussöhnungspolitik hohe Anerkennung. 1971 wurde Brandt der Friedensnobelpreis zugesprochen.

Von Otto Langels |
    "Ich erhalte soeben die Nachricht, dass die Nobelpreiskommission des norwegischen Parlaments heute dem Herrn Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland den Friedensnobelpreis verliehen hat."

    Im Bonner Parlament liefen am Nachmittag des 20. Oktober 1971 gerade die Haushaltsberatungen, als Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel die Sitzung unterbrach, um die Abgeordneten über die Ehrung aus Oslo zu unterrichten. Das Nobelpreiskomitee hatte Willy Brandt unter 39 Kandidaten ausgewählt. Die Entscheidung für Brandt sei leicht gefallen, erklärte die Vorsitzende des fünfköpfigen, vom norwegischen Parlament ernannten Komitees. In der Begründung heißt es:

    "Als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland und im Namen des deutschen Volkes hat Willy Brandt seine Hand zur Versöhnung zwischen Völkern ausgestreckt, die lange Zeit Feinde waren. Im Geiste des guten Willens hat er außerordentliche Ergebnisse bei der Schaffung von Voraussetzungen für den Frieden in Europa erzielt."

    Mit der Auszeichnung würdigte das Nobelpreiskomitee die Entspannungsbemühungen Willy Brandts. Als Kanzler der ersten sozialdemokratisch geführten Bundesregierung hatte er seit 1969 die Auswirkungen des Kalten Krieges und die Gegensätze zwischen den politischen Blöcken in Europa zu mildern versucht. In Verträgen der Bundesrepublik Deutschland mit der Sowjetunion und Polen vom August beziehungsweise Dezember 1970 erkannten die unterzeichnenden Staaten die Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen an. Zugleich bekundeten sie ihre Absicht, normale Beziehungen zu entwickeln. Mit seinem Kniefall vor dem Ehrenmal des jüdischen Gettos in Warschau im Dezember 1970 brachte Willy Brandt den Willen zur Versöhnung symbolisch zum Ausdruck. Die Geste erhöhte das internationale Ansehen des Kanzlers und langjährigen SPD-Vorsitzenden.

    Anfang 1971 schlugen ihn deshalb die dänischen Sozialdemokraten für den Friedensnobelpreis vor. Am 20. Oktober erfuhr Brandt in seinem Arbeitszimmer durch Pressemeldungen von der Auszeichnung. Ein Rundfunkreporter berichtete aus Bonn:

    "Natürlich hat sich heute Nachmittag die Nachricht hier in Bonn wie ein Lauffeuer verbreitet, und die Gratulationen an Willy Brandt gingen sehr spontan und sehr schnell ein. Mit als erster gratulierte ihm der Fraktionsführer der CDU/CSU-Fraktion Rainer Barzel in einem handschriftlichen Brief."

    Nicht alle Oppositionspolitiker mochten sich den Glückwünschen Barzels anschließen. Sie lehnten die neue Ostpolitik der sozial-liberalen Bundesregierung entschieden ab. Insbesondere die Anerkennung der polnischen Grenzen betrachteten sie als endgültigen Verzicht auf die deutschen Ostgebiete.

    Am späten Nachmittag beriet der Bundestag den Haushalt des nächsten Jahres. Willy Brandt saß auf der Regierungsbank. Als Parlamentspräsident Kai-Uwe von Hassel den Kanzler würdigte und die Abgeordneten der SPD/FDP-Koalition anschließend stehend Beifall klatschten, erhoben sich die meisten Unionsmitglieder demonstrativ nicht von ihren Plätzen.

    "Herr Bundeskanzler, diese Auszeichnung ehrt Ihr aufrichtiges Bemühen um den Frieden in der Welt und um die Verständigung zwischen den Völkern. Der ganze deutsche Bundestag ohne Unterschied der politischen Standorte gratuliert Ihnen zu dieser hohen Ehrung. "

    ""Ich werde den Friedenspreis am 10. Dezember in Verbundenheit mit allen, an welcher Stelle auch immer, annehmen, die sich mit der ihnen gegebenen Kraft bemühen, die Welt von Kriegen zu befreien und ein Europa des Friedens zu organisieren. ""

    Willy Brandt erhielt als vierter Deutscher - nach Gustav Stresemann, Ludwig Quidde und Carl von Ossietzky - den Friedensnobelpreis. Als er die Urkunde in Oslo entgegen nahm, sprach er von einer großen Hoffnung seines Lebens, einem neuen Realitätssinn in Deutschland den Weg öffnen zu helfen.

    ""Die hohe Ehre der Preisverleihung kann gewiss nur als eine Ermutigung meines politischen Strebens verstanden werden, nicht als ein abschließendes Urteil.""