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Friedhof Melaten

Hunderttausende Menschen wurden bislang auf dem Friedhof Melaten in Köln begraben. Er geht auf die Zeit der napoleonischen Besatzung zurück. Viele Besucher und Spaziergänger kommen hierher, um sich die Gräber aus dem 19. und 20 Jahrhundert anzuschauen.

Von Brigitte Baetz und Saskia Kurth | 21.11.2010
    Der Kölner Friedhof Melaten. Wie alle Orte der Einkehr und der Stille hat er seine ganz eigene Atmosphäre. Auch oder gerade, wenn es regnet. An einem dieser dunklen Herbsttage, an dem der Himmel seine Pforten gar nicht mehr schließen will, begeben wir uns auf den bekanntesten Friedhof der Domstadt.

    Melaten ist heute ein über 40 Hektar großer Park. In den circa 55.000 Grabstätten wurden im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte mehrere Hunderttausend Tote zur letzten Ruhe gebettet. Eine Idylle, die typische Züge einer Anlage aus dem 19. Jahrhundert trägt.

    Wie vieles in Köln, so geht auch der Friedhof Melaten auf die napoleonische Besatzung zurück. Aus hygienischen Gründen verboten die Franzosen 1804 die Toten innerhalb der Städte zu beerdigen. Mit der Sitte, seine Angehörigen in oder bei der nächstgelegenen Kirche zu bestatten, musste Schluss sein - eine Anordnung, die zwar die Geruchsnerven der Städter schonte, die Kölner aber zwang, eine Lösung außerhalb der Stadtmauern zu finden.

    Die Wahl fiel auf das Gebiet des ehemaligen Leprosoriums, einer Krankenstation für Leprakranke, die sich ja nicht innerhalb der Stadt aufhalten durften. Diese Kranken, also Maladen, geben auch dem Ort den Namen: "Melaten".
    "Die Kölner waren von diesem Plan hier an Melaten zu bestatten zuerst überhaupt nicht begeistert. Man war ja über Jahrhunderte gewöhnt, die Toten nah bei sich zu haben, man ging Sonntags hin zum Gebet, man kam an den Toten vorbei, jeder Kirchhof hatte so ein Beinhaus, was da ausgebuddelt wurde, wurde feinsäuberlich im Beinhaus gestapelt, es durfte ja nichts bis zum jüngsten Tag verloren gehen. Es musste ja alles da sein, damit die Leiber auferstehen können. Und jetzt sollte man plötzlich hier in die Einöde."

    Was sich früher außerhalb der Stadt befand, ist heute zentral im Kölner Westen gelegen, nur durch die hohe Mauer vom lauten Autoverkehr der Großstadt abgeschirmt. Wolfgang Stöcker, Kunsthistoriker von Beruf und Friedhofsgänger aus Leidenschaft, ist Mitbegründer des Freundeskreises Melaten. Ein Friedhof mag für die meisten ein Ort für die Toten sein. Für Stöcker versinnbildlicht er die Kunst- und Stadtgeschichte - ein Ort genutzt auch von den Lebenden, ein Ort der kölschen Anekdoten und der Prominentenverehrung. Ein Park mit riesigen alten Bäumen und reichem Tierbestand.

    Im strömenden Regen, fast als müsse es so sein, spazieren wir mit ihm über "seinen" Friedhof, einem Friedhof, auf dem ein guter Kölner Bürger zunächst nicht gern bestattet sein mochte.

    "An Melaten war auch einer der Kölner Haupt Hinrichtungsstätten über Jahrhunderte. Das heißt hier stand ein Galgen, hier war eine richtige Bühne, hier wurde gerädert, hier sind vermeintliche Hexen verbrannt worden, die berühmt, traurig berühmte, Katharina Henoth ist hier verbrannt worden."

    Aber es half alles nichts, die Entscheidung war gefallen und im Laufe der Zeit sollte sich der Friedhof Melaten zu einem repräsentativen Ort entwickeln, der in gewisser Weise auch ein Museum ist.

    Denn die wohlhabenden Familien im 19. und frühen 20. Jahrhundert hatten nicht nur im Leben stattliche Häuser, auch im Tode zeigten sie gerne ihre Bedeutung. An der im Volksmund Millionärsallee genannten Grabreihe liegen beispielsweise die großen rheinischen Industrie- Bank- und Handelsbarone der Gründerzeit. Deren Gräber befinden sich an den Hauptachsen, an den breiten Wegen, die ärmeren Toten wurden zum Rand hin bestattet, in wesentlich kleineren, und damit natürlich auch preiswerteren, Gräbern. Im 19. Jahrhundert war die Grabgröße nach Preis und Ort gestaffelt. Jede dieser teuren Grabstätten war wie ein kleines Grundstück für sich, meist mit einem kleinen Grabzäunchen. Aufwendige Denkmäler aus Granit und Marmor, zum Teil Gruftbauten, zeugen von Reichtum und Ansehen.

    "Das ist jetzt so ein typisches Stück aus dem 19 Jahrhundert. Ein klassizistisches Grab, das kann man erkennen an den antiken Formen. Sie haben oben die Urne, das Symbol für den Tod, links und rechts eine Sphinx, die Sphinx, das sind die Wächter am Grab, bei den Ägyptern, dann hat man in der Mitte so eine Palmette, ein Akanthusblatt, wie man es auch nennen könnte, das kommt auch aus der griechischen Architektur, Akanthusblätter stehen für das ewige Leben, und sind immer an den Ecken von Tempelbauten zu finden, das sind dann die sogenannten akroterien. Hier die Familie Richartz, eine alte Handelsfamilie aus Köln, die haben mit Fellen und Häuten gehandelt bis nach Südamerika, wurden dann darüber schwerreich irgendwann, die haben sich hier natürlich ein Stück Kultur mitgenommen, ein Stück europäische Kultur, die auf die Antike zurück geht. Um auch zu zeigen, wie gebildet man ist.

    Deswegen haben die auch hier so ein Relief, wo man jetzt sieht, da ist so ein Engelartiges Wesen, das ist aber kein Engel ,das ist ein Todesgenius, und der nimmt da eine Dame mit, die Dame stirbt und wird von dem Genius ins Jenseits geführt. Der Genius zeigt mit dem Finger nach oben, und diese Dame hat schon so zwei Schmetterlingsflügel dabei, das heißt, sie ist schon dabei in den Himmel zu flattern. Dann sieht man noch drei andere Gestalten die diese Dame, also ein Familienmitglied, verabschieden. Und unten drunter steht dann in Latein: Anima petit coelum, was man übersetzen könnte mit: Die Seele strebt zum Himmel.

    Im 19.Jahrhundert strebt alles zum Himmel. Man hat, ganz salopp gesagt, keine Lust mehr auf Hölle und Verdammnis, es ist klar, man kommt in den Himmel, es kommt auch kein gräuliches Endgericht, sondern ein freundlicher, antiker Todesgenius, der einen mit so flauschigen Flügeln begrüßt und dann geht's ab in den Himmel und alles ist gut!"

    Der ursprüngliche Aufbau des Friedhofs ist ganz klassisch für das 19. Jahrhundert. Eine sogenannte Vierfelderanlage, ursprünglich gab es nur vier Grabfelder, von zwei Hauptwegen durchkreuzt. Alleen mit Platanen, den alten Totenbäumen der Griechen, Eiben dazwischen, dunkles Nadelgehölz kombiniert mit, zumindest im Frühjahr, hellem Laubgehölz. Der Kreislauf des Lebens, Wiedergeburt, Sterben, das alles sollte damit symbolisiert sein.

    "Und dieser Stein zeigt jetzt einen Obelisken, das ist jetzt noch Klassizismus, das ganz Grabmal ist relativ schlicht, hier unten dieses quaderartige Postament, und dann dieser Obelisk, der natürlich aus der ägyptischen Kultur kommt. Der Obelisk steht für einen Sonnenstrahl der auf die Erde fällt, oder Mondstrahl der auf die Erde fällt, das heißt, es ist ein Lebenssymbol. Damals in dieser Zeit, also frühes 19 Jahrhundert, war so eine klassizistische Form, die ja gar nichts Christliches hat, es ist ja nur heidnische Symbolik, das war aber modern. Das Praktische am Obelisken ist, man konnte ihn auch sehr schön in die Zahlenmythologie einbauen, das machte man ja sehr gerne, das hat ja sehr viel Geheimnisvolles. Wenn Sie unten die Grundfläche des Obelisken nehmen haben Sie ja ein Viereck, ein Quadrat mit vier Ecken, das Quadrat, die Vierzahl, das ist die Erdzahl. Vier Himmelsrichtungen, vier Jahreszeiten, die Menschen haben in der alten Medizin vier Temperamente, er gibt vier Lebensalter, also alles Zahlen, die mit der Erde zu tun haben. Wenn man die Pyramide oben sich anschaut am Obelisken, dann haben sie an einer Seite die Drei. Die Drei ist die Göttliche Drei, die Trinität, und wenn Sie drei und vier zusammenziehen haben Sie die magische Sieben. Also die Verbindung zwischen Göttlichem und Irdischem. Gleichzeitig ist die Sieben die Zahl der Vollendung. In sechs Tagen hat der Herr die Welt erschaffen, am siebten Tag hat er geruht, also, wie Gott so einen Zyklus vollendet hat, so haben auch die Menschen, die hier bestattet sind, ihren irdischen Zyklus vollendet. Das steckt alles da drin."


    Rund 100 Jahre nach der Gründung des Friedhofs begann man in den 1910er-, 1920er-Jahren Heckenanlagen anzulegen, die die großen Flächen zwischen den Hauptwegen strukturierten sollten. Es gab nun nicht mehr die breit angelegten Wege an deren Seiten man sein Grab, und damit sich, pompös in Szene setzen konnte. Hier verschwanden die Grabsteine nun auch so ein bisschen hinter diesen Hecken. Im strömenden Regen bleiben wir vor einem Grabmal von 1937 stehen, welches eine Rosen streuende Frau darstellt.

    "Schöner weißer Marmor, man sieht eine Frau in einem seidenen Gewand, man kann eindeutig erotisierende Elemente entdecken, sie ist ja fast nackt. Das ist so eine Sache, die sich auf Friedhöfen manchmal durchsetzte, dass man des Todes eben nicht mehr den Tod zeigt, sondern das blühende Leben, in Form einer jungen schönen Frau, die dann Rosen als Zeichen der Liebe ausstreut, oder auch sehr traurig in sich gekehrt manchmal am Grab sitzt, das sind dann die Allegorien der Trauer, und das war für manche Leute sicher auch ein bisschen skandalös, wenn dann so eine Aktdarstellung auf dem Friedhof auftauchte und man konnte, wenn man sich so etwas setzte, natürlich sicher sein, dass man sich so für die modernste Form der Trauerkultur entschieden hat. Man wollte damit natürlich auch Progressivität zeigen."

    Natürlich spiegelt sich jedes Zeitalter auch in seiner Begräbniskultur wider und selbstverständlich findet man daher auf Melaten viele sehenswerte Denkmäler der neueren Zeit. Doch es scheinen eher die Gräber aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert zu sein, auf denen das Hauptaugenmerk der Besucher liegt.

    Die Schönheit des Parks und seiner Denkmäler wird heute noch bestaunt und von den Bürgern Kölns auch gerne genutzt, um auf Spaziergängen die Wandlungsfähigkeit von Kunst und Kultur zu erleben, sich vom Atem der Geschichte streifen zu lassen, und vielleicht im Angesicht all dieser prächtigen Vergänglichkeit ein wenig auch über die Eigene nachzudenken.

    "Also es gibt, immer wieder Leute, ob das jetzt Bestatter sind oder sog. rheinische Ikonen die man zu so was befragt, die immer wieder sagen, die Rheinländer gehen mit dem Tod etwas lockerer um als andere Regionen.

    Und das könnte so sein. Also man hat hier wenn man über Melaten geht doch hin und wieder so ein Augenzwinkern dabei, das kann man auch sehen. Und es gibt auch viele Sprichwörter im Rheinland, wenn jemand schlecht aussieht, da gibt es zum Beispiel den schönen Ausdruck: 'Hä rüch noh dä Schöpp.' Er riecht nach der Schaufel, und das sind so Ausdrücke, wo man sieht, die Rheinländer gehen etwas ironisch-fröhlich damit um, dass man irgendwann die Bühne verlassen muss."