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Friedrich Achleitner: "Wortgesindel"
Vergnügen am höheren Blödsinn

Wenn von der berühmten Wiener Gruppe die Rede ist, wird er erst im zweiten oder dritten Atemzug genannt: Friedrich Achleitner, der in diesem Jahr seinen 85. Geburtstag feiert, stieß als letzter zu der losen Künstlervereinigung um H. C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener. Doch auch er hat die österreichische Nachkriegsavantgarde mitgeprägt und hält ihr - auf seine Weise - bis heute die Treue. Seine neuen, unter dem Titel "Wortgesindel" erschienenen Prosaminiaturen belegen es.

Von Jan Koneffke | 21.05.2015
    Von dieser Treue zu seinen schriftstellerischen Anfängen in den 50er-Jahren bei der Wiener Gruppe zeugt schon das Motto, dass Achleitner seinem "Wortgesindel" vorangestellt hat. Es stammt vom Schriftsteller und Philosophen Fritz Mauthner, der, neben Hugo von Hofmannsthal und Ludwig Wittgenstein, dem avantgardistischen Autorenkreis seinerzeit Pate stand: "Sprache ist ein Werkzeug, mit dem sich die Wirklichkeit nicht fassen lässt."
    Achleitner teilt mit seinem "Wortgesindel" nicht nur die Einsicht in die Sprache als untauglichem Werkzeug, sondern auch die Form der witzigen Sprachparadoxie: "er möchte gern ein möchtegern sein. ist er aber nicht, sonst möchte er ja nicht gern ein möchtegern sein." In konsequenter Kleinschreibung, auch sie ein Erbe der Wiener Gruppe, wird die Sprache qua Sprache als Wirklichkeit zweiter Ordnung an der eigenen Nase herumgeführt. Dabei treibt ihr der Autor nicht nur alle trügerischen Selbstverständlichkeiten aus. Vor allem konfrontiert er den Leser auf lustvolle Weise mit der Erkenntnis, wie er selbst von der Sprache genasführt wird.
    "Naja, das ist ja das, was faszinierend ist, was in der Sprache drinnen steckt, man glaubt es ja nicht, und auch wie patschert [ungeschickt, linkisch] die Sprache ist, sie trickst einen selber aus und oft trickst man auch sie aus, indem man Bedeutungen entdeckt, die nicht gewollt sind."
    Achleitners Geschichten beginnen harmlos, unschuldig, scheinbar naiv: "warst du schon auf urlaub? ja, aber daheim. und was hast du da gemacht? ich bin in mich gegangen. in dich? war das nicht fad?" All diesen Anfängen wohnt der Zauber der Verschmitztheit inne. Dabei bedient sich Achleitner gerne der Dialogform, in denen ein Wort das andere gibt, wie in der Miniatur "zwei alte:
    "der eine: du, ich kenn den prillinger ferdl jetzt schon vierzig jahr. glaubst, mir fallert sein name noch ein? der andere: da kann ich dir nicht helfen, ich hör den namen heute zum ersten mal."
    Im "Wortgesindel" erhalten unterhaltsame Wechselreden nur scheinbar einen Inhalt. Und selbst wenn Achleitner seine Geschichten immer mal wieder mit dialektalen Ausdrücken anreichert, ob es sich nun um "fladern", "ausfratscheln" oder die typisch Wienerische "Mieselsucht" handelt, so ist es doch das von den "Großmeistern der deutschen Sprache" gesprochene Hochdeutsch, mit dem sie ihr Un-Wesen treiben. Eines seiner bevorzugten Verfahren besteht darin, Wörter und Redewendungen wörtlich zu nehmen und dabei mitunter selbst zu Wort kommen zu lassen. Sie werden zu Sprechern eines Textes, der um ihre eigene Bedeutung kreist, aber auch um Konnotationen und Klang.
    "Es ist ja so, die Sachen entstehen eigentlich oft aus einem Wort. Es ist ein Überbleibsel aus meinen früheren Sachen, aus den 50er-Jahren, da haben wir uns viel mit Automatismus und solchen Sachen beschäftigt, und dieses automatistische Schreiben ist irgendwie hängengeblieben, also das mach ich sehr gern, also wenn ich quasi als Köder ein Wort hab, schreib ich halt einfach."
    Man hat Friedrich Achleitner, der sich nicht nur als Schriftsteller, sondern - von Hause aus Architekt - auch als Architekturkritiker und -historiker einen Namen gemacht hat, gerne als "Sprach-Architekten" bezeichnet. Er selbst lehnte dieses Etikett stets ab. Richtig ist, dass seine literarische Produktion auffallend konstruktive Züge trägt. Doch die Gegenstände und Funktionen beschreibende Prosa des Architekturpublizisten unterscheidet sich grundsätzlich von den Montagen, Konstellationen, Mundart- und Prosagedichten eines Schriftstellers, der die Wirklichkeit für nicht abbildbar hält. Gerade, dass sie keine Inhalte transportieren, macht Achleitners Geschichten so anziehend zweckfrei.
    Ein ästhetischer Ideologe war und ist der Autor allerdings nicht - und so kann es passieren, dass seine Texte durchaus politische Anspielungen enthalten, wie etwa in dem Stück: "nicht hinschauen": "wenn man nicht hinschaut, sieht man auch nichts ... aber wenn du nichts gesehen hast, hättest du auch nichts machen können ... wo kämen wir denn hin, wenn alle, die nichts gesehen haben, auch noch etwas tun würden".
    Für Ideologien, wie sie anderen Teilnehmern der Wiener Gruppe durchaus nicht fremd waren, war der 1930 im oberösterreichischen Innviertel als Sohn eines Landwirts geborene Achleitner zu eigensinnig, vielleicht auch zu bodenstämmig-skeptisch. Zwar ließ er sich Mitte der 50er-Jahre von den poetischen Planspielen des "methodischen inventionismus" anregen und wirkte an den literarischen Cabarets oder der Kinderoper mit, an visuellen und akustischen Präsentationen also, die das Ziel verfolgten, verkrustete ästhetische Vorstellungen aufzubrechen. Doch Achleitner taugte nicht zum avantgardistischen "Kader", wie er Gerhard Rühm vorschwebte, und es war auch nicht seine Absicht mit bösen, makabren und sadistischen Texten, dem "Spießer auf sein Wiener Schnitzel zu treten". Als Gerhard Rühm verkündete: "wir haben den dialekt für die moderne dichtung entdeckt", meinte er damit sich selbst, H. C. Artmann und auch Friedrich Achleitner. Doch der erinnert sich heute, ein wenig spöttisch und gleichzeitig selbstbewusst:
    "Ja, das war ein gewisser Vorteil von mir, dass ich der Einzige war, der einen Dialekt gesprochen hab."
    Denn im Gegensatz zu den artifiziellen, aber auch bösen Dialektgedichten Rühms oder den Arbeiten H. C. Artmanns, die sich auf die Barockdichtung und die alte Wiener Dichtung bezogen, konnte Achleitner seinem heimischen Dialekt neu begegnen.
    "Ja, sowieso, ich hab ihn wirklich neu entdeckt, und so habe ich meine Dialektgedichte aus dem gesprochenen Dialekt entwickelt und nicht aus einem Thema ..."
    Hatte man das Kind in der Volksschule noch aufgefordert, es solle "schön sprechen", ging Achleitner nun umso neugieriger, geradezu sprach-ethnologisch vor, der Einsicht entsprechend, dass Distanz immer besser ist als Nähe, "weil: in der Nähe sieht man ja nichts." In äußerster, sich bis auf Einzelvokale beschränkende, Reduktion, erfasste er nicht nur in nuce die Sprechakt-Situation, sondern er brachte auch das Wesen eines Dialekts auf den poetischen Punkt, der als "begrenzte Arbeitssprache" keinen Wortschatz für Gefühle kennt.
    Auch wenn Achtleitners Architekturpublizist mit der schriftstellerischen Arbeit nichts zu tun hatte - gegenseitig befruchten konnten sich die beiden Bereiche doch. Seinem "quadratroman" von 1973 merkt man es an, in dem der Autor mit einem grafisch variierten Quadrat auf jeder Buchseite sein Spielfeld absteckte, das er mit Texten ausfüllte, um-, unter- und überschrieb, um die Beziehung zwischen Raum und Sprache, Konvention und Freiheit auszuloten. Freilich ist es typisch für Achleitners von Understatement begleitetes schriftstellerisches Selbstverständnis, wenn er den Entstehungsprozess des "quadratromans" auf einen aus seiner Bekanntschaft mit dem Aktions- und Objektkünstler Dieter Roth beruhenden Zufall beschreibt:
    "Na, da muss ich auch sagen, ich hab den Dieter Roth sehr mögen, obwohl er ein Wahnsinnstyp war, und der hat mich gestärkt, einfach Sachen aufzuschreiben, die einem halt zufällig einfallen, und nicht wegzuschmeißen, sondern die quasi ein bisschen zu pflegen oder zu hätscheln, und ich habe dann, in Berlin dann so ein Packerl Umbruchpapier gehabt, weil ich hab da für eine Schweizer Architekturzeitschrift geschrieben, und dieses Umbruchpapier hat aus neun Quadraten bestanden, und ich hab das als Notizpapier benutzt, und hab dann immer wieder in diese Quadrate etwas reingeschrieben, und so ist das dann entstanden, also ein reiner Zufall."
    Vielleicht ist der "reine Zufall" Achleitners aber auch eine Metapher, um sich vom intentionalen Schreiben und jedweder Bedeutungshuberei abzugrenzen. Schon von seinen 2003 erschienenen "einschlafgeschichten" oder den Prosaminiaturen im Band "und oder oder und" von 2006 wünschte er sich, sie sollten "wie ein fisch im stehenden wasser schweben". Auch das neue "Wortgesindel" besticht durch Beiläufigkeit und Leichtigkeit, ja dem Vergnügen am, im wahrsten Sinne des Wortes, "höheren Blödsinn" der Sprache selbst - wie in diesem vom Autor gelesenen "vierzeiler":
    "er traute seinen augen nicht
    und auch nicht seiner nase
    er machte seine löffel dicht
    vermutlich war er hase"
    Friedrich Achleitner: "Wortgesindel"
    Zsolnay Verlag, Wien 2015, 108 Seiten