Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Friedrich Georg Houtermans
Lebemann der Physik

Studium, Laborarbeit, Kongressbesuche - so sieht mitunter der Lebenslauf eines Forschers aus. Doch es geht auch anders, und zwar spannend wie im Krimi. Das zeigt die Geschichte des deutschen Physikers Friedrich Houtermans, der heute vor 50 Jahren in Bern starb. Er spionierte für die Sowjetunion, geriet in die Fänge von Stalinisten und Nationalsozialisten.

Von Frank Grotelüschen | 01.03.2016
    Der deutsche Physiker Professor Friedrich Georg Houtermans am Mikroskop.
    Der deutsche Physiker Professor Friedrich Georg Houtermans am Mikroskop. (picture alliance / ATP-Bilderdienst )
    "Er war eine schillernde Persönlichkeit – so schillernd, dass man zuweilen vergaß, dass er auch ein ausgezeichneter Physiker war."
    Lebenslustig, extrovertiert, scharfsinnig – so sahen Zeitgenossen wie der Niederländer Hendrik Casimir den Physiker Friedrich Houtermans. Dessen Lebenslauf liest sich wie der Plot eines Politthrillers: Houtermans, geboren 1903, spionierte für die Sowjetunion, geriet in die Fänge von Stalinisten und Nationalsozialisten – und legte schließlich in der Schweiz eine späte Karriere hin.
    "Houtermans ist im Roten Wien groß geworden", so der Berliner Wissenschaftshistoriker Dieter Hoffmann. Das Umfeld schien auf Houtermans abzufärben. Bereits als 16-Jähriger verlas er in seinem Gymnasium das Kommunistische Manifest – eine Aktion, die ihn hochkant von der Schule fliegen ließ. Nach dem Abitur auf einem Internat studierte Houtermans in der Physik-Hochburg Göttingen, Schwerpunkt: Atom- und Kernphysik. 1929 ging er nach Berlin, wurde Assistent beim Nobelpreisträger Gustav Hertz.
    "Houtermans war ein sehr geselliger Mensch. Er lud Kollegen und Freunde ein zu sich nach Hause, wo viel diskutiert wurde und auch viel getrunken wurde. Und es war wohl auch so, dass seine Wohnung Ort konspirativer Treffen war. Wahrscheinlich betrieb er in dieser Zeit, Ende der 20er-, Anfang der 30er-Jahre, Industriespionage für die Sowjetunion."
    Im Visier der Stalinisten
    1933, mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten, verließ Houtermans Deutschland. Zunächst siedelte er nach England über, zwei Jahre später in die Sowjetunion.
    "Am Institut für Physik in Charkow in der Ukraine bot man ihm eine aussichtsreiche wissenschaftliche Karriere. Er wurde dort Laborleiter."
    Gemeinsam mit anderen Emigranten widmete sich Fritz Houtermans der Kernphysik. 1937 aber geriet er – ebenso wie viele seiner Kollegen – ins Visier der Stalinisten.
    "Er wurde in Moskau verhaftet, als er versuchte, seine Papiere für eine Rückkehr in den Westen sich zu beschaffen, und er verschwand in den Verliesen der Lubjanka."
    "Am Abend des 11. Januar begann ein elftägiges Dauerverhör. Ich wurde abwechselnd von drei Untersuchungsrichtern verhört, von jedem jeweils acht Stunden. Die ersten zwei Tage durfte ich auf einem Stuhl sitzen, später nur auf dem Stuhlrand, und vom vierten Tag an musste ich den ganzen Tag stehen. Jedes Mal, wenn ich einnickte, wurde ich geweckt, und wenn ich umfiel, weil ich infolge des Schlafentzugs das Bewusstsein verlor, wurde ich aufgerichtet und man bespritzte mir das Gesicht mit kaltem Wasser."
    Doch Houtermans hatte Glück. Prominente Physiker setzten sich für ihn ein, darunter Albert Einstein und Niels Bohr.
    "Das hat ihm wahrscheinlich das Leben bewahrt. Seine Rettung sozusagen, so makaber das klingt, war dann der Hitler-Stalin-Pakt. Wo ja in dem Geheimprotokoll deutsche Emigranten von der Sowjetunion nach Hitler Deutschland abgeschoben wurden."
    Im Mai 1940 kam Houtermans nach Deutschland – und landete prompt in den Gefängnissen der Gestapo. Ihm drohten KZ und Ermordung. Doch wieder setzten sich Kollegen für ihn ein, etwa der Nobelpreisträger Max von Laue. Im Juli wurde er aus der Haft entlassen, wohl nicht ohne Kalkül.
    "Der Hintergrund war vielleicht, dass man sein Insiderwissen über das, was in der Sowjetunion wissenschaftlich passierte, und seine Kompetenz in kernphysikalischen Fragen nutzen wollte."
    Im Labor des Physikers Manfred von Ardenne setzte Houtermans seine Forschungen fort. Dort hatte er Einblick in die Aktivitäten des Uranvereins – jenes deutschen Geheimprojekts, das die Möglichkeiten einer Atombombe auslotete. Houtermans entschloss sich zum Verrat – und ging das Risiko ein, den Amerikanern eine Botschaft zukommen zu lassen.
    "Beeilt Euch. Wir sind nahe dran."
    Was sicher übertrieben war. Doch als die USA dann die Bombe hatten und über Japan abwarfen, zeigte sich Houtermans entsetzt.
    "Ich denke, es war falsch. Durch den Abwurf der Bombe hat die Wissenschaft ihre Unschuld verloren. Und außerdem war es moralisch falsch."
    Nach dem Krieg kehrte Ruhe in Houtermans Leben ein. Zunächst in Göttingen, dann, an der Universität Bern, nahm er ein neues Projekt in Angriff: die Anwendung der Kernphysik auf die Geowissenschaften.
    "Unter anderem zur geologischen Altersbestimmung, die sich mit der Neubestimmung des Erdalters oder der Altersbestimmung von Mineralien beschäftigt. Und man muss sagen: seine wohl wissenschaftlich bedeutendste Zeit."
    Mit dem Kommunismus jedoch, sagt Dieter Hoffmann, hatte Houtermans für den Rest seines Lebens gebrochen. Am 1. März 1966 starb der notorische Kettenraucher an Lungenkrebs.