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Friedrich-Naumann-Stiftung: Kein Börsen-Crash wegen Yukos-Krise

Durak: Der russische Ölkonzern Yukos steht vor der Insolvenz, so ist aus Moskau zu hören. Per Gerichtsentscheid war gestern der größte Yukos-Ölproduzent in Westsibirien namens Yuganskneftegaz angewiesen, den Ölverkauf einzustellen und auch nicht weiter Vermögenswerte zu veräußern, denn dieses sibirische Unternehmen soll verkauft werden, um Yukos-Schulden zu begleichen. Hitzig diskutiert werden ja seit geraumer Zeit nationale wie internationale Folgen eines Crashs bei Yukos. Am Telefon ist nun, wie angekündigt, der Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Moskau, Falk Bombsdorff. Herr Bombsdorff, womit rechnen Sie denn, wenn Yukos tatsächlich Insolvenz anmelden muss in Russland? Mit einem Crash an der Börse dort, mit einer Wirtschaftskrise?

Moderation: Elke Durak |
    Bombsdorff: Nein, das glaube ich nicht, zu einem Crash an der Börse wird es nicht kommen, auch nicht zu einer Wirtschaftskrise, dazu ist das doch nicht umfangreich genug, dieser Fall Chodorkowski, dieser Fall Yukos. Ich sehe andere Folgen, die aber nicht weniger wichtig sind. Ich sehe auf der anderen Seite, dass Russland Unternehmer braucht, wagemutige, innovative, die ungewöhnliche Wege gehen, die auch soziale Verantwortung übernehmen. All das war Chodorkowski und ist Chodorkowski und ein solcher Unternehmertyp wird zwar nicht beseitigt, aber doch, sagen wir vorsichtig, sehr in den Hintergrund gedrängt und Russland braucht aber genau solche Unternehmerfiguren. Zweitens sehe ich, dass wir uns im Energiebereich, also Gas und Öl, auf eine Art Staatskapitalismus in Russland einstellen müssen. Der Kreml hat schon im Vorjahr deutlich gemacht, dass er die strategische Kontrolle über die Energieressourcen behalten will und jetzt wird er möglicherweise sogar Eigentümer. Das muss nicht schlimm sein, ich habe immer dafür plädiert, dass der Staat in Russland Eigentümer von Öl und Gas bleibt, weil nur so die Gelder richtig verwandt werden, die hier eingenommen werden, aber diese Betriebe müssen privatwirtschaftlich geführt werden. Wenn jetzt der Staat Eigentümer der großen Energieunternehmen wird, dann stellt sich die Frage, wird das wirklich privatwirtschaftlich zu führen sein. Man hat jetzt den stellvertretenden Leiter der Kremladministration, Herrn Setschin, zum Chef von Rosneft gemacht, ob das die richtige Ernennung ist, das wage ich also zu bezweifeln. Schließlich: Auswirkung auf Wirtschaft und Gesellschaft in Russland. Alle spüren jetzt, in Russland gilt der Satz: Macht geht vor Eigentum. Wenn das Gesetz und Recht im Falle Yukos verletzt wird, und das sagen viele, dann kann sich niemand mehr sicher fühlen. Der Staat macht was er will, er ist nur dem Präsidenten verantwortlich. Das ist, das Wall Street Journal hat es gestern so ausgedrückt, die schlechteste Nachricht aus Russland seit 89.

    Durak: Herr Bombsdorff, der Fall Yukos ist ja auch ein Kräftemessen zwischen dem Präsidenten und den so genannten Oligarchen, die ihn ja eigentlich unterstützt hatten. Wer wird am Ende der Sieger sein? Putin, so wie Sie es jetzt schildern?

    Bombsdorff: So wie jetzt die Machtverhältnisse sind, wird das in der Tat Putin sein. Schlicht und einfach weil bei ihm die Macht liegt, die administrativen Ressourcen und die Oligarchen haben sich gefälligst einzuordnen und das haben ja inzwischen auch alle getan. Die Frage ist: Bleibt Yukos ein Einzelfall? Wenn nicht, dann wird es eine umfassende Vertrauenskrise geben. Der ehemalige russische Wirtschaftsminister hat, glaube ich, das Richtige gesagt, wenn der Wolf sagt, er wolle nur ein Schaf fressen, dann wird er solange kein weiteres Schaf fressen, solange er nicht wieder Hunger bekommt. Wenn man sich diesen Satz noch mal vor Augen hält, dann haben die Oligarchen alle ausgesprochen Angst, also sie werden sich noch mehr einordnen als bisher. Putin wird Sieger bleiben.

    Durak: Das wäre ein Sieg, aber vielleicht auch über die Demokratie. Herr Bombsdorff, welche Folgen hätte dies alles, auch weitergedacht was Sie eben beschrieben haben, für die internationalen Beziehungen und zunächst einmal vor allem die europäischen?

    Bombsdorff: Ich denke, dass der Fall Yukos ein Wendepunkt in den Beziehungen zwischen Europa und Russland sein kann. Es kann zu dem kommen, was die Politologen in ihrer wunderbaren Sprache einen Paradigmenwechsel nennen, also ein Wechsel der Erklärungsmuster, der Handlungsmuster. Bisher waren die Beziehungen zwischen Russland und Europa ja von dem Prinzip der Partnerschaft gekennzeichnet. Bundeskanzler Schröder hat sogar gesagt, strategische Partnerschaft. Diese Partnerschaft setzt ja eine Wertegemeinschaft voraus und es wurde auch angenommen, dass Russland diese Werte teilt, die wir vertreten oder sich zumindest in diese Richtung bewegt. Jetzt zeigt Russland, zeigt die politische Klasse dieses Landes, dass sie die europäischen Werte zum großen Teil eben nicht teilt und auch nicht anstrebt letztenendes. Sie will sich nicht einfügen, Russland will sich nicht einfügen und das führt zu dem, was man immer wieder als Wertelücke zwischen Europa und Russland bezeichnet. Yukos macht das wieder deutlich und ich denke, in dieser Perspektive sollten wir realistisch sein und vom Paradigma Partnerschaft Abstand nehmen, weil gegenwärtig keine Grundlage dafür besteht. Dafür gibt es schon Anzeichen, in Europa sehen das viele so, Russland wird für nicht integrierbar gehalten, auch nicht für partnerschaftsfähig und -willig. Ich halte das alles für keine Katastrophe, für nichts Schlimmes, ich halte das sogar für im Grunde genommen positiv, weil das zu ehrlicheren Beziehungen führen kann und außerdem gehen wir natürlich zu einem neuen Paradigma über, nämlich zu dem der Zusammenarbeit. Zusammenarbeit wird auf vielen Gebieten wo das nützlich ist weiterhin betrieben werden, die Firmen werden Geschäfte machen, es werden Abkommen über Sicherheit, Verbrechensbekämpfung, Terrorkampf, Antiterrorkampf und so weiter geschlossen werden. All das wird weitergehen, aber auf einer verlässlicheren Grundlage und ich halte das für im Grunde genommen positiv.

    Durak: Unter Umständen ist das ja auch besser oder kalkulierbarer für internationale Beziehungen, wenn es statt eines entfesselten Kapitalismus der Wirtschaftsbosse in Russland, den präsidialkontrollierten Kapitalismus gibt, was wahrscheinlich auch nur in Russland ginge?

    Bombsdorff: Da bin ich nicht so sicher. Ich bin im Gegenteil der Meinung, dass hier Präsident Putin eigentlich einem Irrtum unterliegt. Auf der einen Seite stellt er ja immer wieder in seinen Botschaften an die Lage der Nation fest und heraus, dass Freiheit die wichtigste Voraussetzung für eine fruchtbare Entwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft sei, auf der anderen Seite folgt er aber dem Prinzip der Kontrolle, Kontrolle ist für ihn alles. Ich denke, dass er da der Wirtschaft letzenendes die Luft abdreht, es gilt nicht nur isoliert wirtschaftliche Freiheit zu fordern und zu fördern. Wirtschaftliche Freiheit braucht gleichzeitig politische Freiheit und ich glaube, dass er hier tatsächlich irrt.

    Durak: Diese europäischen Auswirkungen sind auch zugleich die insgesamt internationalen?

    Bombsdorff: Nun, natürlich spielen auch die USA eine große Rolle. Für die USA ist in der Tat die Beziehung zu Russland vor allem wichtig wegen der Gemeinsamkeit bei der Terrorbekämpfung und alles andere steht hinten an. Außerdem sind natürlich die Beziehungen ohnehin nicht so eng, weil die Zusammenarbeit zwischen den USA und Russland nicht so groß ist wie etwa zwischen der Europäischen Union und Russland. Hier wird gar kein Umdenken nötig sein, weil diese enge Partnerschaft so gar nicht bestanden hat wie man das zwischen Europa oder in Europa mit Russland zu haben glaubte.

    Durak: Wann rechnen Sie, Herr Bombsdorff, eigentlich mit dem Aus für Yukos?

    Bombsdorff: In wirklich nächster Zukunft. Wenn diese Anordnungen sich bewahrheiten, dass also gar nicht mehr gefördert werden darf, dann ist Yukos in den nächsten Wochen oder sogar Tagen wirklich am Ende.

    Durak: Aber die Ölproduktion wird irgendwie weitergehen müssen?

    Bombsdorff: Die russische Seite behauptet, sie könne den Ausfall von Yukos decken und Yukos wird dann bald wieder in anderer Gestalt Öl fördern, die Übernahmekandidaten stehen schon bereit. Die Firmen Rosneft, Gazprom, Surgutneftegaz werden in diesem Zusammenhang genannt. Also, die russische Seite wird sehr schnell wieder dazu übergehen, hier diese Ausfälle decken zu können, die Improvisationskunst hier ist sagenhaft.

    Durak: Rätselhaftes Russland, herzlichen Dank, Falk Bombsdorff war das, Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Moskau. Schönen Dank und Grüße nach Moskau.

    Bombsdorff: Danke schön, wiedersehen.