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Frisches Nass aus der Luft

Technik. - Schon im Mittelalter sammelten die Alchemisten Tau, indem sie frühmorgens lange Stoffbahnen über das feuchte Gras zogen und sie anschließend auswrangen. Um einiges professioneller gehen jetzt Ingenieure vor, um in Dürregebieten Trinkwasser zu gewinnen.

Von Suzanne Krause |
    Allmorgendlich platscht Tropfen auf Tropfen trinkbares Wasser vom Dach der Schule in Sayara, einem Dorf im Nordwesten Indiens. Ein Segen für die Anwohner, denn sie leben mitten in einer traditionellen Dürre-Region. Quellen gibt es bei ihnen kaum welche, dafür aber Morgentau. Und dessen Produktion wird noch künstlich gesteigert: das ganze Schuldach ist bedeckt von einer weißen Spezial-Folie aus Plastik. Damit wird die Luftfeuchtigkeit kondensiert: rund dreihundert Quadratmeter Dachfläche bringen täglich etwa 30 bis 50 Liter Wasser. Hier wurde eine uralte Idee perfektioniert dank modernster Forschung und Technik, erklärt einer der Väter der Taufabrik, Daniel Beysens vom französischen Kommissariat für Atomenergie, dem CEA. Der Physiker erforschte, wie der Morgentau genau entsteht.

    "Nachts verliert die Erde Energie, soll heißen: sie strahlt mehr Energie ab als sie tagsüber aufgenommen hat. Die Oberfläche kühlt ab, weil die Energie im Infrarot-Bereich abgestrahlt wird. Und zwar auf einer bestimmten Frequenz des Lichts. Wir haben somit ein Material entwickelt, das nicht sehr teuer ist und aus dem wir eine Farbe zum Anstreichen fertigen oder auch eine feste Plastikfolie. Dieser Werkstoff besteht aus Mikrokügelchen. Sie wurden speziell ausgetüftelt, um viel Energie in genau diesem Farbwellenfenster in die Atmosphäre abzustrahlen. Unser Material wirkt wie ein Filter gegen die aufheizenden Energiewellen, die tagsüber aus der Atmosphäre selbst oder von den Wolken kommen."

    Zur Natur der Mikrokügelchen mag Daniel Beysens keine Auskunft geben: der Patentantrag für die Innovation läuft. Doch sein Material sorgt dafür, dass tagsüber das Trägermaterial der Mikrokügelchen selbst unter intensiver Sonnenbestrahlung kühl bleibt. Und nachts sinkt seine Temperatur noch einige Grad unter die der Luft. Dadurch vergrößern sich die Kaltflächen, an denen der so genannte Taupunkt entsteht.

    "Bei dieser Temperatur verwandelt sich der Wasserdampf der Luftfeuchtigkeit in flüssige Wassertropfen. Der Dampf kondensiert auf unseren Plastikplanen. Dank der großen kalten Flächen melken wir gewissermaßen zusätzliches Tauwasser aus der Luft. Die Oberfläche unseres Materials besteht aus einem speziellen Film, der das Wasser gesammelt ableitet. Klar, dass das auf steilen Dächern sehr gut funktioniert und deswegen sind wir die besten Freunde von Regenrinnen. Denn es reicht aus, die Konstruktion ein bisschen zu verändern, um neben dem Regenwasser auch den Morgentau zu gewinnen."

    Die Basis der gerade entstehenden großflächigen Tauwasser-Fabrik im Nordwesten Indiens bilden in lange Reihen angelegte Erdwälle. Die werden mit Styropor-Platten abgedeckt, um zu verhindern, dass sich die Anlage tagsüber vom Erdreich her aufheizt. Darüber werden die speziellen Plastikplanen gezogen. Die technische Herausforderung besteht vor allem darin, das Material auch für jahrelangen Einsatz haltbar zu machen: UV-Strahlung und Staubpartikel beschädigen auf Dauer die glatte Oberfläche und erschweren das Einsammeln des Kondenswassers. Die Bautechnik hingegen ist simpel und für jedermann leicht zu erlernen. Und sauber ist das Wasser auch.

    "Das Morgentau-Wasser ist gewissermaßen schon destilliert. Es kann nur aus zwei Quellen verschmutzt werden: einmal durch die Gase in der Luft, zum anderen durch Staub auf der Sammelanlage. Außer bei einigen Messungen, die wir an Sammelstellen direkt neben Chemiefabriken gemacht haben, handelt es sich um Trinkwasser, das den Normen der Weltgesundheitsbehörde entspricht. Aus Sicherheitsgründen wird es dennoch gechlort oder sterilisiert."

    Beim Projekt in Indien wird die Morgentau-Ernte auf Flaschen gezogen und dann an die Bevölkerung verkauft, zu einem Preis, der ungefähr 40 Prozent unter dem herkömmlicher Wasserflaschen liegt. Daniel Beysens und seine Mitstreiter hoffen, dass Tauwasser-Fabriken auch in Europa zum Einsatz kommen. Beispielsweise sollten sie Standard werden bei Niedrigenergie-Häusern, fordert OPUR, die Organisation Pour l'Utilisation de la Rosée, die Organisation für die Taunutzung. Schon ein Dachanstrich mit der Mikrokügelchen-Spezialfarbe, die es auch farblos gibt, ermöglicht das Auffangen des Morgentaus. Und bei einem isolierten Dach liesse sich die Kondenswasser-Menge noch steigern, sind sich die Opur-Experten sicher.