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"Früher ging es ums Kämpfen, jetzt geht es ums Kaufen"

"Uns interessiert, warum die zweite Intifada gescheitert ist und was dieses Scheitern bewirkt hat", sagt das palästinensische Künstlerduo Basel Abbas und Ruanne Abou-Rahme. Die beiden sind die ersten Fellows des Stipendiatenprogramms der Akademie der Künste der Welt in Köln.

Das Gespräch führte Sabine Oelze | 17.12.2012
    Sabine Oelze: Basel Abbas und Ruanne Abou-Rahme. Sie werden bis nächsten Sommer für acht Monate in Köln leben. Sind Sie froh, weit weg zu sein vom Nahost-Konflikt?

    Ruanne: Es ist schön, woanders zu sein. Wir freuen uns sehr, hier eine längere Zeit zu verbringen. In Palästina ist es derzeit keine einfache Situation. Aber das ist nicht der Grund, warum wir hier sind

    Basel: Es ist immer gut, eine Pause einzulegen!

    Oelze: Wie war die Lage, als Sie Palästina verlassen haben, um nach Köln zu kommen. Wie wurde Ihr Leben durch die letzten kriegerischen Auseinandersetzungen im Gazastreifen beeinträchtigt'

    Ruanne: Die Situation ist immer schwierig gewesen. Es wird nicht besser. Es wird nur noch schlimmer. Es sind sehr schwierige Lebensbedingungen, die deprimierend und frustrierend sein können. Ich glaube, in der letzten Zeit haben die Menschen noch mehr ihre Hoffnung verloren.

    Oelze: Jetzt sind Sie in Köln. Weihnachten naht. Es muss seltsam für Sie sein, nach so einer anstrengenden Zeit in Palästina, mit dem typisch deutschen Vorweihnachts-Konsumterror konfrontiert zu werden.

    Ruanne: Ja, das ist schon sehr eindrucksvoll. Aber Basel und ich sind viel unterwegs, so sind wir daran gewöhnt. Aber natürlich hat das mit unserem Leben sehr wenig zu tun. Konsum spielt inzwischen auch in Palästina eine große Rolle, aber an das hier kommt es natürlich nicht ran.

    Basel: Vor allem Weihnachten ist bei uns ganz anders. Das ist ein reines Familienfest und hat nicht so einen Festivalcharakter wie hier.

    Oelze: Sie leben beide in Ramallah. Ramallah erscheint wie eine Oase in der Mitte eines Krisengebietes.

    Ruanne: Das ist auf jeden Fall so, allerdings haftet Ramallah auch etwas Unheimliches an. Denn Ramallah ist so etwas wie das Mekka des Konsums. Der Zustand der Belagerung wird dort komplett weggeblendet. Das finde ich sehr problematisch. Für mich ist Ramallah wirklich ein seltsamer Ort.

    Oelze: Was ist so anders an Ramallah? Warum ist das so ein seltsamer Ort?

    Basel: In Ramallah befindet sich die palästinensische Regierung. Ramallah ist zum wirtschaftlichen und politischen Zentrum für die gesamte Westbank geworden. Zugleich ist Ramallah nichts anderes als eine Blase. Die Bewohner tun dort so, als würden sie ein "normales" Leben führen, dabei reicht es, fünf Minuten aus dem Zentrum rauszufahren, um die Wehrtürme, die Siedlungen, die Checkpoints und bewaffnete Soldaten zu sehen. Die Wirklichkeit ist nicht so,wie sie oberflächlich scheint. Ramallah ähnelt in der Hinsicht ein bisschen Tel Aviv. Dort leben die Menschen ebenfalls in einem künstlichen Vakuum und vergessen, dass sie von Militär umgeben sind.

    Oelze: Sie haben Palästina im Jahr 2000 verlassen als die zweite Intifada losging, da waren Sie 17 Jahre alt. Sie kamen zurück, als die zweite Intifada gescheitert war 2005. Welchen Einfluss hat diese Zeit auf Sie ausgeübt?

    Rruanne: In London zu leben, hat mich enorm beeinflusst. Vor allem in der Art, wie mich Themen und Materialien nähere. Gleichzeitig hat die Zeit dazu beigetragen, dass ich mich nicht nur als Palästinenserin, sondern als Weltbürgerin verstehe, die überall zu Hause ist. Als ich nach dem Scheitern der zweiten Intifada wieder nach Palästina kam, fiel mir diese radikale Veränderung auf. Die Menschen haben ihren Glauben an eine Veränderung verloren. Damit einher ging diese Veränderung von Ramallah in eine reine Konsumzone, wo der Befreiungsdiskurs kein Rolle mehr spielte. Stattdessen redeten alle nur noch von ihren neuen Häuser, neuen Autos. Das ist schon auch okay. Aber wenn man einem Freilustgefängnis wohnt, dann ist das auch absurd. Damit sind wir nur schwer klar gekommen, uns damit abzufinden, dass Ramallah jetzt so tut, als sei es eine normale Stadt. Mich befremdet das noch immer sehr.

    Oelze: Hat diese Erkenntnis auch Ihre künstlerische Arbeit beeinflusst? Wie würden Sie ihre Kunst jemanden, der sie gar nicht kennt, beschreiben?

    Basel: Uns interessiert, warum die zweite Intifada gescheitert ist und was dieses Scheitern in der Bevölkerung bewirkt hat. Als wir das Land verließen, war die nationale Befreiungsbewegung auf dem Höhepunkt. Es gab einen großen Zusammenhalt und eine große Solidarität. Als wir zurückkamen, sahen wir von diesem Zusammenhalt nur noch sehr wenig. Diese Beobachtung spielt eine Schlüsselrolle in unserer Arbeit. Wir recherchieren sehr viel zu diesem Thema. Eine Beobachtung ist zum Beispiel, dass die Werbung für Autos die gleiche Bildsprache benutzt wie die der Aufrufe der Palästinensischen Freiheitsbewegung der 1970er-Jahre. Früher ging es ums Kämpfen, jetzt geht es ums Kaufen. Diese Art von Recherche interessiert uns seit wir zurück sind.

    Oelze: Wie würden Sie Ihre Rolle als Künstler definieren? Sehen Sie sich in der Verantwortung, die Gesellschaft mit zu verändern?
    Basel: Wir sehen uns nicht als Aktivisten oder sogar politische Künstler. Wir sind allerdings schon politisch interessiert. Wir fördern Dinge zutage, stellen Fragen, wollen aber keine einfachen Antworten geben.

    Ruanne: Wir wollen nichts vereinfachen. Es gibt viele Künstler, die sich als politische Künstler verstehen und die eine zu einfache Sprache benutzen. Wir experimentieren sehr viel herum. Das ist ein sehr wichtiger Aspekt unserer Arbeit.

    Oelze: Vielleicht klingt das immer noch zu abstrakt für Menschen, die nicht wissen, wie Ihre Arbeit überhaupt aussieht. Können wir über eine Installation reden, "The Zone" (Die Zone), die Sie bereits mehrfach ausgestellt haben?

    Basel: "The Zone" beruht auf einer langen Recherche. Sie bestand aus einem Raum mit acht Bildschirmen, die an den Außenwänden angebracht waren. Sie zeigten eine Stadt im Aufbau. Zunächst sieht sie wie eine normale Stadt aus. Beim Betreten des Raums ändert sich das Bild. Eine Stadt der Überwachung ist nun zu sehen. Im Innenraum hängen zwei Bildschirme und es sind Geräusche zu hören. Auf dem Boden ist Sand verstreut. Das ist "The Zone". Draußen Traum, innen Albtraum. Wir verwenden viel Sound, damit der Besucher das Gefühl hat, Teil der Installation zu sein. Er soll die Situation geradezu physisch erleben.

    Oelze: Sie werden als Stipendiaten für eine recht lange Zeit in Köln zu bleiben. Was sind Ihre Pläne. Haben Sie ein spezielles Projekt im Sinn?

    Ruanne: Wir haben kein spezielles Projekt. Wir sind neugierig auf die Stadt. Wir wollen vor allem viele interessante Menschen treffen: Autoren, Musiker, Künstler. Wir würden uns freuen, wenn daraus lang anhaltende Beziehungen erwachsen. Das wäre sehr wichtig für uns.