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Frühes Mikrobiom
Wie sich Bakterien im Darm etablieren 

Dreck reinigt vielleicht nicht den Magen. Aber er kann Babys helfen, das Immunsystem früh im Leben auf den richtigen Kurs zu bringen. Das hat nun ein internationales Forscherteam herausgefunden, das Bakterien in mehr als 12.000 Stuhlproben von kleinen Kindern analysiert hat.

Von Christine Westerhaus | 25.10.2018
    Ein kleines Mädchen spielt an einem Flussufer im Schlamm.
    Ein kleines Mädchen spielt an einem Flussufer im Schlamm - ihre Darmflora wird es ihr danken. (imago stock&people)
    Wenn Säugetiere geboren werden, sind sie nicht nur nackt, sondern auch keimfrei. Erst nach und nach siedeln sich Bakterien in und auf ihrem Körper an. Mikroben, die wichtige Weichen für das spätere Leben stellen, sagt Joseph Petrosino vom Baylor College of Medicine im texanischen Houston.
    "Wir wissen, dass die Entwicklung der Darmflora nach der Geburt sehr wichtig ist für die Gesundheit. Die Bakterien beeinflussen die Funktion des Immunsystems, den Stoffwechsel und sogar Gehirnfunktionen. Es gab zwar schon vorher Untersuchungen dazu, wie sich die Bakterien im Körper etablieren. Aber wir hatten mit unserer Kohorte die einmalige Chance, uns diesen Prozess bei Hunderten von Kindern in verschiedenen Teilen der Welt genauer anzusehen. Und zu verstehen, was die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaft beeinflusst und wie diese Faktoren möglicherweise mit bestimmten Krankheiten in Verbindung stehen."
    Kaiserschnitt, natürliche Geburt, Geschwister und Haustiere
    Für ihre Studie haben sich die Forscher die Bakterien in Stuhlproben von gut 900 Kindern angesehen. Diese Proben wurden monatlich in den ersten vier Lebensjahren gesammelt. Dabei konnten die Forscher sehen, dass vor allem die Ernährung eine Rolle spielt: Bei gestillten Kindern fanden die Forscher deutlich häufiger so genannte probiotische Bakterien, denen eine positive Wirkung auf die Gesundheit nachgesagt wird. Diese nützlichen Mikroben kamen auch bei vaginal entbundenen Kindern häufiger vor als bei Kaiserschnitt Babys. Wenn auch nur vorübergehend: 10 Monate nach der Geburt konnten die Forscher keinen Unterschied mehr feststellen. Ein weiterer Faktor: Geschwister und Haustiere: Babys, die in dieser Gesellschaft aufwuchsen, hatten häufiger probiotische, also nützliche Mikroben in ihrem Darm.
    "Von vielen der Bakterien, die wir identifiziert haben, wissen wir aus vergangenen oder derzeit laufenden Studien, dass sie direkt mit bestimmten Krankheiten in Verbindung stehen beziehungsweise uns davor schützen. Wir haben diesen Zusammenhang in unserer Kohorte zwar noch nicht untersucht. Aber wir denken, dass sie einen positiven Effekt haben."
    Hilfe bei Diabetes und Autoimmunerkrankungen
    Mithilfe der "Teddy" Kohorte, aus der die Stuhlproben für die nun in "Nature" veröffentlichte Studie stammen, wollen die Forscher herausfinden, warum manche Menschen Typ-1 Diabetes entwickeln und andere nicht. Bei dieser Krankheit greift das körpereigene Immunsystem die Insulin produzierenden Zellen an und zerstört sie. Frühere Studien haben gezeigt, dass bestimmte Darmbakterien diese Autoimmunerkrankung bei Mäusen stoppen können. Daher hoffen die Forscher, dass sie mit den "richtigen" Mikroben auch Menschen mit Typ-1 Diabetes helfen können.
    "Der erste Schritt auf dem Weg dahin ist herauszufinden, welche Bakterien sich zu welchem Zeitpunkt ansiedeln und zu verstehen, welche Faktoren die Zusammensetzung der Mikrobengemeinschaft bei gesunden Menschen beeinflussen. Und sobald wir das verstanden haben, können wir versuchen, die Darmflora kranker Menschen positiv zu beeinflussen. Zum Beispiel durch eine bessere Ernährung oder andere Faktoren. Das ist unser langfristiges Ziel."
    Klar ist jetzt, dass Muttermilch, eine natürliche Geburt und der Kontakt zu Geschwistern und Pelztieren gute Voraussetzungen für eine gesunde Darmflora schaffen. Wahrscheinlich, weil sie Babys mit vielen verschiedenen Bakterien in Kontakt bringen. Joseph Petrosino kann Eltern deshalb eine weitere Empfehlung mit auf den Weg geben: Dreck reinigt vielleicht nicht den Magen. Aber er kann Babys helfen, das Immunsystem früh im Leben auf den richtigen Kurs zu bringen.
    "Wir stehen zwar mit unseren Studien noch ziemlich am Anfang. Aber ich denke, unser Fazit aus der Teddy Studie und anderen Kohorten lautet: Lasst eure Kinder dreckig werden, lasst sie mit so vielen Bakterien im Schmutz in Kontakt kommen, wie möglich!