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Fruhtrunk-Ausstellung in Bochum
Die Aldi-Tüte als Ikone und Streitobjekt

Vor 50 Jahren designte Günter Fruhtrunk eine blauweiße Balkengrafik, die zur Alltagsikone wurde: als Motiv auf der Aldi-Nord-Tüte. Während die letzten Plastiktragetaschen derzeit aus den Filialen verschwinden, entdecken junge Künstler im Bochumer Kubus Fruhtrunks „Konkrete Kunst“ als Inspiration.

Von Peter Backof | 14.01.2019
    Plastiktüten von Aldi Nord
    Fruhtrunk-Muster auf Plastikbeutel: Das Motiv ist eher ein Nebenwerk des Malers und Grafikdesigners (imago stock&people)
    Anna Krebs: "Zitat Fruhtrunk selbst: 'Das Malen vollzieht sich im Konzentrieren auf einen Grat zwischen Willkür und Gefühlsduselei, einerseits.'"
    Was? Willkür und Gefühlsduselei? Wo gibt es das, bei Aldi?
    Anna Krebs: "'Willkür und Gefühlsduselei, einerseits, und rationalistischer Entfremdung andererseits.' Zitat Ende."
    Dicke Balken als global verständliche Kunstsprache
    Anna Krebs - aus dem Kuratorenteam der Ausstellung "Günter Fruhtrunk. Aus der Reihe" - meint, man müsse sich den 1923 geborenen Maler als grübelnden, sich nie selbst genügenden Menschen vorstellen: Wozu überhaupt noch malen? Und was?
    Dazu lief in seinem Münchner Atelier der sechziger Jahre: avantgardistischer Jazz, ähnlich kontrastreich wie Fruhtrunks These über das Malen. Die Aldi-Nord-Tüte, mit ihrem charakteristisch-schiefen Balkenmuster spielt schon eine Rolle für Günter Fruhtrunk, aber um viele Denk-Ecken abstrahiert: Massenproduktion, Massenkonsum, in immer globaler und anonymer werdender Logistik, sind Themen. Günter Fruhtrunk gehörte zu den Stars der Documenta4, 1968, mit Beuys, Warhol und Frank Stella: "Konkrete Kunst", konstruiert aus Balken und Linien, in Patterns, die sich scheinbar unendlich oft wiederholen, sowie "Op Art" mit visuellen Effekten als Erfahrung, wollten global verständliche Kunstsprache sein, die reagiert, auch auf das damals relativ neue Phänomen "Supermarkt".
    Tobias Brenscheidt: "Das geht für mich einher mit einer Verunsicherung, die dahinter steckt: im Lebensgefühl, die hier optisch übertragen wird. Also man kann sich im Bild ja nicht wirklich verorten. Es ist ein Vibrationsprozess, als das wird es öfter bezeichnet. Unruhe."
    Aldi-Tüte als Brotjob
    Sagt Tobias Brenscheidt, einer von elf Bachelor- und Master-Studentinnen und Studenten der Kunstgeschichte an der Ruhr-Uni Bochum, die die Ausstellung mit 50 Werken kuratiert haben, auch als Recherche: Lebensgefühl vor 50 Jahren. Eines konnten sie jedoch nicht in Erfahrung bringen: Warum genau dieser durch und durch ernsthaften Künstler von Aldi-Nord engagiert wurde, das Motiv auf dessen Plastiktüten zu gestalten, in Millionenauflage.
    Tobias Brenscheidt: "So eine Banalisierung, die man dem Ganzen dann leicht unterstellt. Wenn man seine Werke auf einmal überall sieht. Ich glaube, dass das nicht ohne einen Beigeschmack geht."
    Anna Krebs: "Genau. Das ist die eine Sache. Und die andere Sache: also gerade Aldi hatte einen schlechten Ruf."
    So ein G'schmäckle, wie wenn Sterneköche Gerichte für das Bistro der Deutschen Bahn kreieren? Auf der Straße wurde man über Jahrzehnte lieber nicht mit einer Discounter-Tüte gesehen. Kurz: die Aldi-Nord-Tüte war ein Brotjob für Günter Fruhtrunk.
    Anna Krebs: "Wodurch sich auch erklären lässt, dass Fruhtrunk eigentlich nicht mit seinem Namen dafür stehen wollte. Er hat das Motiv geliefert, aber den Namen nicht."
    Fruhtrunk findet man heute überall
    Das Tütenmotiv ist auch eher ein Nebenwerk, will die Ausstellung zeigen. "Klostergarten Expl. III" von 1962 ist dagegen ein Blickfang: rote, verschobene, dicke Linien auf weißem Hintergrund, Vinyl auf Pressholz. Mit einer Bildsozialisation von heute denkt man an Computerplatinen, Barcodes, QR-Codes. Von weitem betrachtet sehen Fruhtrunks Gemälde technisch perfekt aus. Nah dran ist dann alles leicht unscharf: menschgemalt.
    Zwischen Willkür und rationalistischer Entfremdung, so erklärt sich das auf einmal ganz plastisch, wie Günter Fruhtrunk dachte. Und seine Balkenoptik erlebt aktuell sogar eine Renaissance, meint Anna Krebs: "Nicht nur eben diese Einkaufstüte als Objekt, sondern auch, dass das über Laufstege mittlerweile läuft. Von Schals, Designerhandtaschen, Teller: Man findet es überall."
    Bis hin zur Band Von wegen Lisbeth, die Fruhtrunks Aldi-Design auf ihrem Merchandising-Jutebeutel zitiert. Ob diese neuerliche Popularität nun am Trend liegt, Bags mit Aussage zu bedrucken , an der Genialität des Künstlers oder doch am Phänomen Aldi-Tüte, das mit etwas Dorfpunk-Understatement fürs typisch Deutsche steht? Bleibt alles offen. Gerade deshalb sehenswert: "Günter Fruhtrunk. Aus der Reihe". Denkstoff. Facettenreich!