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Führungswechsel bei der EZB
Draghis Erbe

EZB-Chef Mario Draghi hat viel für den Erhalt des Euro getan. Doch er ist auch der bisher umstrittenste Präsident der Europäischen Zentralbank. Auf seine Nachfolgerin Christine Lagarde warten große Herausforderungen, nicht zuletzt die Vermittlung der EZB-Geldpolitik bei den Bürgern.

Von Brigitte Scholtes | 24.10.2019
Der scheidende EZB-ChefMario Draghi mit seiner designierten Nachfolgerin Christine Lagarde. Im Bild: 13. Mai 2017, G7-Gipfel in Italien.
Der scheidende EZB-ChefMario Draghi mit seiner designierten Nachfolgerin Christine Lagarde. Im Bild: 13. Mai 2017, G7-Gipfel in Italien. (imago / Italy Photo Press)
Das Blitzlichtgewitter der Fotografen ist Mario Draghi gewöhnt. Es gehört zum Ritual bei den Pressekonferenzen der Europäischen Zentralbank in ihrem Glasturm im Frankfurter Ostend, wenn der EZB-Präsident alle sechs Wochen die Überlegungen des EZB-Rates zu dessen geldpolitischen Entscheidungen präsentiert. Mario Draghi hat dies nun zum letzten Mal getan, seine achtjährige Amtszeit endet in einer Woche. Der Italiener habe sich einen Platz in den Geschichtsbüchern gesichert, sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg-Bank:
"Er hat sehr dazu beigetragen, dass die Eurozone die Eurokrise überstanden hat. Er hat die schlimmsten Spekulationswellen gegen den Euro mit einem Machtwort in London beendet."
Mit einem Machtwort den Euro gerettet
Dieses Machtwort bestand eigentlich aus drei Worten: "Whatever it takes", was immer nötig sein wird, gesprochen am 26. Juli 2012 im Lancaster House, einem palastähnlichen Herrenhaus in London. Genau genommen, waren es eher zwei Sätze:
Die EZB werde innerhalb ihres Mandats tun, was immer nötig sein werde, um den Euro zu erhalten. "Und glauben Sie mir, es wird reichen", hatte Draghi noch hinzugefügt. Mit diesen Sätzen schaffte es der EZB-Präsident, die Spekulation an den Finanzmärkten auf ein Auseinanderbrechen des Euroraums zu verhindern. Als Draghi das Amt im November 2011 übernahm, war aus der Finanzkrise eine Staatsschuldenkrise geworden, die Finanzmärkte waren in großer Unruhe, ja, Panik, ob denn der Euro überleben werde. Diese Sorge teilte auch die Politik. So hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel schon im Mai 2010 im Deutschen Bundestag von einer "existenziellen Bewährungsprobe für Europa" gesprochen:
"Scheitert der Euro, dann scheitert Europa. Und das darf nicht passieren."
Doch die Maßnahmen der Politik reichten nicht aus, um die Unruhe an den Finanzmärkten zu beenden. In diesem Umfeld war Draghi bewusst, was ihn erwartete. Und er war offenbar bereit, seinem Spitznamen "Super-Mario" gerecht zu werden. Den hatte er sich vor allem als italienischer Notenbankchef mit seiner harten Politik gegenüber den italienischen Banken erworben. Seine Freunde meinten, er schrecke nicht vor unmöglichen Aufgaben zurück, hatte Draghi doch schon zu Beginn seiner Amtszeit versichert.
Mario Draghi als neuer EZB-Präsident am 3.11.2011. Der Rat der EZB hat bei seiner turnusmäßigen Sitzung überraschend den Leitzins auf 1,25 Prozent gesenkt. Mitten in der Schuldenkrise hat Draghi das Amt des obersten Währungshüters in der Euro-Zone übernommen.
Mario Draghi als neuer EZB-Präsident am 3.11.2011. Der Rat der EZB hat bei seiner turnusmäßigen Sitzung überraschend den Leitzins auf 1,25 Prozent gesenkt. (dpa / Ihe / Arne Dedert)
Fratzscher (DIW): "Europa vor einer tiefen wirtschaftlichen Depression bewahrt"
Und so legte er los. Schon bei der ersten geldpolitischen Sitzung des EZB-Rats im November 2011, wenige Tage nach seinem Amtsantritt, machte er die letzte Zinserhöhung seines Vorgängers Jean-Claude Trichet aus dem Juli rückgängig. Einen Monat später packte er die sogenannte "Dicke Bertha" aus, pumpte hunderte Milliarden Euro in Wirtschaft und Finanzmärkte. Der Euroraum habe an der Schwelle zu einer wirtschaftlichen Depression gestanden, erinnert sich Marcel Fratzscher, Präsident des DIW, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung:
"Die Märkte haben gegen Italien, gegen Spanien spekuliert, ob die Länder noch im Euro bleiben werden. Also letztlich war der Euro in Gefahr. Und Mario Draghi und die Europäische Zentralbank haben dieser Spekulation, diesen Turbulenzen ein Ende gesetzt und letztlich Europa vor einer tiefen wirtschaftlichen Depression bewahrt."
Das aber geschah vor allem durch das "whatever it takes" im Juli 2012. Denn dieser Satz hatte durchschlagende Wirkung, erinnert sich die Wirtschaftsweise Isabel Schnabel, Professorin für Finanzmarktökonomie an der Universität Bonn und designiertes EZB-Direktoriumsmitglied:
"Das Bemerkenswerte an dieser Rede war ja, dass sich die Märkte eigentlich sofort stabilisiert haben, und dass dieses Programm, das damals ja angedacht wurde und dann auch später richtig angekündigt wurde, dass das letztlich nie eingesetzt werden musste, sondern dass allein die Ankündigung so wirkungsvoll war."
Fuest (ifo-Institut): "Kompetenzen der Geldpolitik überschritten"
Zunächst einmal reichte das. Zwar kündigte Draghi auch ein Anleihekaufprogramm an, das sogenannte OMT-Programm. Das wurde aber niemals eingesetzt. Doch rückblickend sieht Clemens Fuest, Präsident des Münchner ifo-Instituts, Draghis Handeln damals nicht nur positiv:
"Er hat ja dann auch in der Umsetzung durch das OMT-Programm im Grunde eine Garantie abgegeben: Wenn Länder Schwierigkeiten haben, ihre Staatshaushalte zu finanzieren, ihre Schulden zu refinanzieren, dann hilft die EZB, kauft notfalls unbegrenzt Staatsanleihen auf. Das ist keine Geldpolitik, und damit hat er in der Tat die Kompetenzen der Geldpolitik, meine ich, überschritten. Gleichzeitig war das Ganze eine sehr effektive Maßnahme im Krisenmanagement. Es war auch ein Risiko, aber es hat die akute Vertrauenskrise zunächst mal beendet."
Das OMT-Programm bestand eine gerichtliche Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof. Geklagt hatten unter anderem konservative Ökonomen. Anleihekäufe generell gehören zu den unkonventionellen geldpolitischen Instrumenten, die in Krisenzeiten auch von anderen Notenbanken, allen voran der amerikanischen, eingesetzt wurden. Das OMT-Programm nutzte die EZB zwar nie, Draghi kündigte jedoch im Januar 2015 ein anderes, breit gestreutes Anleihekaufprogramm an:
"In diesem ausgeweiteten Programm sollen Staats- und Unternehmensanleihen im Volumen von monatlich 60 Milliarden Euro gekauft werden. Das soll bis Ende September 2016 geschehen, soll aber so lange fortgeführt werden, bis wir eine nachhaltige Anpassung der Inflation sehen, die mit unserem Ziel von unter aber nahe zwei Prozent auf mittlere Sicht übereinstimmt."
Negativzinsen – Novum in Europa
Mit diesem Ziel wurde das Kaufprogramm auch verlängert, so hat die EZB bis Ende 2018 Wertpapiere und Anleihen im Volumen von 2,6 Billionen Euro gekauft. Der Grund: Die Inflationsrate im Euroraum war nahe an die null Prozent gerückt, die Sorge vor einer Deflation groß. Denn gegen Deflation hat die Geldpolitik keine Mittel. Sinken die Preise erst einmal, dann warten Verbraucher auf weiter fallende Preise, Unternehmen halten sich mit Investitionen zurück. Schon im Juni 2014 hatte die EZB zudem Negativzinsen eingeführt – ein Novum in Europa. Diese Strafgebühren von inzwischen 0,5 Prozent zahlen seither Banken, die überschüssige Liquidität bei der EZB parken. Zinsen hat die Notenbank ohnehin abgeschafft: Der wichtigste Leitzins steht seit März 2016 bei 0,0 Prozent. Preisstabilität habe die EZB jedenfalls erreicht, sagt Holger Schmieding von der Berenberg Bank:
"Es waren die Preise in Deutschland noch nie so lange so stabil, wie sie es in den acht Jahren unter Mario Draghi waren. Wir müssen einfach sagen: Gemessen am wichtigsten Ziel der Zentralbank, gerade aus dem aus deutscher Sicht wichtigsten Ziel, die Preise für Rentner, für einfache Bürger, recht stabil zu halten, sind Mario Draghis acht Jahre ein großer Erfolg."
Nebenwirkungen der Niedrigzinspolitik für Bürger und Banken
Doch die lockere Geldpolitik zeigt eben auch andere Nebenwirkungen, die Quasi-Abschaffung der Zinsen macht es etwa für die Sparer schwieriger, für ihr Alter vorzusorgen. Denn vor allem in Deutschland legen sie ihr Geld am liebsten in zinstragenden Produkten an. Dieser Blick nur auf die Zinsen sei zu einseitig, kritisiert jedoch Schmieding:
"Man muss vor allen Dingen zunächst daran denken, dass die Konjunktur halbwegs vernünftig läuft. Denn bei uns wird die Alterssicherung im Wesentlichen durch die Beiträge der arbeitenden Menschen bezahlt. Mario Draghi, die Europäische Zentralbank, hat mit ihrer Anti-Krisenpolitik dazu beigetragen, dass es in Deutschland heute wesentlich mehr Arbeitsplätze gibt als früher. Zudem hat auch die Geldpolitik dazu beigetragen, dass der Wert der Rente, auch der Wert des Auszahlungsbetrages bei Lebensversicherungen nicht durch Inflation aufgezehrt wird."
Statue der "Europa" vor dem Europaparlament in Brüssel.
Eine souveräne, kraftvolle EU darf nicht zu reiner Symbolik erstarren (dpa/ Daniel Kalker)
Eine weitere Nebenwirkung dieser Geldpolitik war aber: Das Geld der Anleger in Europa floss notgedrungen in andere Anlagen, vorrangig Aktien und Immobilien. Das erhöht die Gefahr einer Blasenbildung. Das sind Nebenwirkungen, die vor allem in Deutschland zu Unmut geführt haben. Da habe die EZB etwas versäumt, sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung:
"Es ist der EZB nicht gelungen, den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland zu erklären, wieso die EZB denn das tut, was sie tut, wieso die Zinsen so niedrig sind, wieso man so expansive Geldpolitik macht, wieso das schädlich für die kleinen Sparer ist, aber letztlich ein notwendiges Übel ist, weil es auch hilft, Beschäftigung zu sichern, Beschäftigung zu schaffen, zu ermöglichen, dass die Einkommen für die Bürgerinnen und Bürger steigen können."
Die deutschen Geldhäuser leiden unter der Situation. So sagte etwa Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing vor einigen Wochen:
"Langfristig ruinieren diese Niedrigzinsen das Finanzsystem." Denn die Banken in Deutschland zahlen 2,3 Milliarden Euro jährlich an Strafgebühren an die EZB, ihre Erträge sinken, Geld für Investitionen vor allem in die Digitalisierung wird knapper. Das drückt sie umso mehr, weil auch die Konjunktur inzwischen abflaut.
Zunehmend wurde in den vergangenen Jahren auch die Macht der Notenbank diskutiert, einer Institution, die nicht demokratisch gewählt, sondern eigentlich eine rein technokratische Einrichtung ist. Der Protest äußerte sich an vielen Stellen, so errichtete das kapitalismuskritische Netzwerk Blockupy Ende 2011 ein Protestcamp vor der EZB. Bei der Eröffnung des Neubaus der EZB im Frankfurter Ostend im Mai 2015 kam es zu Krawallen durch gewaltbereite Aktivisten. Und spektakulär war auch diese Szene:
"End the ECB dictatorship" … als eine junge Femen-Aktivistin bei einer Pressekonferenz plötzlich auf den Tisch sprang und Mario Draghi mit Papierschnitzeln bewarf. Der erschrak in dieser Situation. Aber Wirkungen auf die Geldpolitik zeigten die Proteste nicht.
EZB-Präsidenten Mario Draghi (l.) wird von Konfetti getroffen
"Beendet die Diktatur der EZB": Appell einer Aktivistin an EZB-Präsident Draghi (picture alliance/dpa/Boris Roessler)
EZB: "Jetzt sind die Regierungen dran"
Einen Machtzuwachs habe es gegeben - auch deshalb, weil die EZB ausgeholfen habe, als die gewählten Regierungen in der Schuldenkrise versagt hätten, sagt ifo-Chef Clemens Fuest. Seit der Panik an den Finanzmärkten 2012 hoffe man auf die EZB:
"Da hat man den Schwarzen Peter Mario Draghi zugeschoben. Der hat ihn allerdings auch ganz gerne aufgenommen. Trotzdem ist es so, dass sich die Regierungen hier ein bisschen aus der Verantwortung stehlen. Wir sind ja mittlerweile auch an einem Punkt angekommen, an dem deutlich wird, dass die Möglichkeiten der Geldpolitik begrenzt sind. Langsames Verschwinden des Wirtschaftswachstums, Nullzinsen, eine Art Japanisierung der Eurozone. Und da tut sich die Geldpolitik sehr, sehr schwer, noch etwas zu bewegen. Und deshalb sagt die EZB heute, sagt Mario Draghi, jetzt sind wirklich die Regierungen dran."
Warum aber ist Mario Draghi damit nicht wirklich durchgedrungen zu den Regierungen? Warum hat es der 72-jährige Italiener zudem nicht geschafft, seine Geldpolitik vor allem in Deutschland besser zu vermitteln? Warum sind immer mehr Ratsmitglieder sowie frühere renommierte Notenbanker auf Distanz zu ihm? Ein Grund dürfte in Draghis Persönlichkeit liegen. Als etwas selbstgerecht bezeichnen ihn manche. Als zwar hochkompetent, aber auch ungeduldig. Er agiere deshalb auch bei geldpolitischen Entscheidungen anders als seine Vorgänger, sagt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING Deutschland:
"Wir hatten eine Situation in den letzten Jahren, in denen eigentlich die wichtigen Entscheidungen wirklich am Kopf getroffen wurden der EZB, also Mario Draghi zusammen mit einem engeren, kleineren Kreis. Das muss nicht verkehrt sein, aber man muss doch immer wieder versuchen, auch Gegner wieder abzuholen und irgendwie davon zu überzeugen oder ihnen das Gefühl zu geben, dass die Argumente auch gehört werden."
Einer der wesentlichen Kritiker dieser Art, Geldpolitik zu betreiben, ist Bundesbankpräsident Jens Weidmann.
"Wenn wir alle nur eine Meinung hätten, könnten wir auch zu Hause bleiben. Gleichzeitig sind aber in der Krise durch das Instrumentarium, durch die Staatsanleihekäufe, grundlegende Fragen berührt worden, beispielweise: Wie ist eigentlich das Mandat der Geldpolitik formuliert? Wie eng ist es abgegrenzt? Überschreiten wir hier eine Grenze zwischen Geld- und Fiskalpolitik?"
Scharfe Kritik für Draghis letzte geldpolitische Entscheidung
Über solche Fragen wird im Rat offensichtlich nicht mehr diskutiert. Der aber wurde im Lauf der Jahre häufig vor vollendete Tatsachen gestellt. Denn geldpolitische Entscheidungen, auch die wichtigen, kündigte Draghi eher beiläufig an. So auch im Juni bei der EZB-Tagung im portugiesischen Sintra:
"Sollte sich der Ausblick nicht verbessern und die Inflation im Euroraum nicht anziehen, wird eine zusätzliche Lockerung der Geldpolitik erforderlich sein."
Damit bereitete Draghi seinen letzten großen Akt vor: Im September senkte die EZB die Einlagezinsen nochmals auf minus 0,5 Prozent – und Draghi verkündete zudem die Wiederaufnahme der umstrittenen Anleihekäufe. Scharf kritisiert wurde er gerade für die letzte geldpolitische Entscheidung im September. So meint Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank:
"Dass wir mit Geldpolitik die Wirtschaft zu mehr Wachstum bringen können, das hat doch seine Grenzen. Und diese Grenzen hat der Präsident zum Schluss nicht mehr nicht erkannt, bis zu seiner letzten Aktion eben auch seine Nachfolgerin noch einmal zu binden mit seinem geldpolitischen Paket."
Mit dieser weitreichenden Entscheidung hat Draghi mutmaßlich auch das geschäftsführende Direktorium und den Rat gespalten. EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger trat zurück – ihre Gründe dafür sind nicht offiziell bekannt. Frühere Währungshüter, die sich mit Kritik an der aktuellen Geldpolitik normalerweise vornehm zurückhalten, protestierten in einem offenen Brief. Draghi hinterlässt in dieser Hinsicht also einen Scherbenhaufen. DIW-Präsident Fratzscher zeigt sich besorgt:
"Dass hier der Konsens gelitten hat, dass man viel mehr miteinander und besser miteinander reden muss, um wirklich in der Zukunft Entscheidungen zu treffen, die von allen mitgetragen werden können. Das ist eine wichtige Herausforderung, und das ist sicherlich in den letzten Jahren nicht gelungen."
EZB-Präsident Mario Draghi
Draghi - zwischenmenschliche Kommunikation vernachlässigt (picture alliance/dpa - Dursun Aydemir / Anadolu Agency)
Draghi werden exzellente Fähigkeiten nachgesagt, wenn es um die Kommunikation mit den Finanzmärkten geht. Die zwischenmenschliche Kommunikation aber hat er vernachlässigt. Anders als seine Vorgänger ist der Italiener in Frankfurt nie heimisch geworden. Er hat sich allerdings auch nicht sonderlich darum bemüht. Unter die Banker und Journalisten am Finanzplatz mischte er sich so gut wie nie, zwar hält er den einen oder anderen Vortrag bei wichtigen Tagungen. Aber den zwischenmenschlichen Austausch interessierte Draghi kaum. Christine Lagarde steht also vor großen Herausforderungen, wenn sie am 1. November Mario Draghi nachfolgt. In der Ausrichtung der Geldpolitik steht die Französin Draghi nahe, das machte sie bei ihrer Anhörung vor dem Europäischen Parlament deutlich. Aber man müsse auch die Folgen für Sparer, Kreditnehmer, Staaten und Wirtschaft im Blick behalten:
"Wenn wir die geldpolitischen Rahmenbedingungen betrachten und prüfen, wie wirkungsvoll die Instrumente sind, die wir nutzen, dann müssen wir all diese Rollen und berücksichtigen und daran denken, wie weit einige dieser Instrumente genutzt werden können, damit sie noch positive Wirkung erzielen."
Neue Chefin Lagarde - Start mit eingeengtem Spielraum
Die 63-jährige Juristin war bis Mitte September Chefin des Internationalen Währungsfonds und zuvor Ministerin für Wirtschaft und Finanzen in der Regierung von Nicolas Sarkozy. Ökonomin ist sie nicht, das sehen manche Experten kritisch. Dass Draghi durch die weitreichenden geldpolitischen Beschlüsse vom September ihren Spielraum eingeengt hat, das könnte auch zunächst von Vorteil sein, meint Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung:
"Ich sehe die Entscheidung der EZB im September sicherlich auch mit einem gewissen Schuss Kritik und die Frage, ob das wirklich jetzt so früh notwendig war. Aber ich denke, das Ziel der EZB war auch, Christine Lagarde einen leichteren Einstieg zu ermöglichen, um sagen zu können, so, jetzt hat die EZB erst einmal genug getan."
Lagarde will EZB zu neuer Glaubwürdigkeit verhelfen
Lagarde will für eine Politik stehen, die nicht nur die Finanzmärkte, sondern vor allem die Bürger im Euroraum nachvollziehen können. Das jedenfalls stellte sie bei der Anhörung im Europaparlament Anfang September heraus.
"Ich will, dass die Menschen in der Eurozone unsere Entscheidungen verstehen, dass sie verstehen, welche Auswirkungen sie haben, was das wesentliche Ziel ist. Und ob es etwaige kurzfristige Nachteile gibt, aber langfristige Vorteile. Darauf werde ich viel Zeit und Energie verwenden."
Die Draghi-Ära geht nach acht Jahren turnusgemäß zu Ende, Christine Lagarde übernimmt. Wenn es ihr gelingt, innerhalb wie außerhalb der Europäischen Zentralbank Wogen zu glätten, dann kann das der EZB zu neuem Ansehen und zu mehr Glaubwürdigkeit verhelfen - auch bei den Bürgern.