Archiv


"Für die Soldaten fühlt sich das wie Krieg an"

Nach dem Tod dreier weiterer Bundeswehrsoldaten hat der Grünen-Politiker Tom Koenigs mehr Anstrengungen in der Ausbildung der afghanischen Polizei gefordert. Besser würden tausend neue Polizisten ins Land geschickt als tausend neue Soldaten.

Tom Koenigs im Gespräch mit Bettina Klein |
    Bettina Klein: Der Tod von drei weiteren deutschen Soldaten in Afghanistan hat eine neue Debatte über Strategie und Bewaffnung der Bundeswehr am Hindukusch ausgelöst - bis hin zu der Frage, ob das, was dort geschieht, eigentlich Krieg genannt werden kann. Bundesverteidigungsminister Jung bestreitet das. "Wir sind dort keine Besatzer", so seine Argumentation. Nur ein Streit um Worte? - Intensiv mit der Situation in Afghanistan auseinandergesetzt hat sich Tom Koenigs. Er war von 2006 bis 2007 UN-Sondergesandter für Afghanistan. Er wird im Herbst für seine Partei Bündnis 90/Die Grünen für den Bundestag kandidieren und ich begrüße ihn nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Koenigs!

    Tom Koenigs: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Wie nennen Sie das, was dort passiert, um damit mal zu beginnen? Ist das ein Krieg oder nicht?

    Koenigs: Zunächst mal ist das eine semantische Auseinandersetzung, die irrelevant ist. Wenn Sie das auf Englisch versuchen merken Sie sofort, die Amerikaner reden von "War", wir reden von Konflikt. Wichtig ist, dass man nicht nur die militärische Seite sieht, und in dem Punkt hat der Verteidigungsminister Recht: Man darf das nicht vor allem als militärische Auseinandersetzung sehen. Auf der anderen Seite ist das für die Soldaten natürlich irrelevant. Für die Soldaten fühlt sich das wie Krieg an und die drei Gestorbenen sind eben drei Gefallene.

    Klein: Ich wollte gerade sagen, ist es wirklich nur eine semantische Auseinandersetzung - "War" kann man schon auch mit Krieg ja übersetzen - und spiegelt sich darin letzten Endes nicht auch die Frage, wie offen und ehrlich wir mit der Situation dort eigentlich umgehen?

    Koenigs: Ich finde, man muss offen und ehrlich damit umgehen. Man muss aber auch strategisch immer im Auge haben, dass nicht die militärische Auseinandersetzung im Vordergrund steht, und nach den drei Gefallenen heißt es immer "und 23 Taliban sind getötet". Es geht aber nicht um einen militärischen Sieg oder um wie viele Leute des Gegners da getötet werden, sondern es geht darum: Ist eine politische Lösung dort möglich, was ist der erste Schritt dazu? Ich glaube, der erste Schritt muss sein, eine vernünftige Polizei auszubilden. Da müssen wir unseren Schwerpunkt hinlegen.

    Klein: Ich habe es gesagt, Sie waren 2006/2007 Sondergesandter der UNO. Wenn Sie die Situation heute mit jener Zeit damals vergleichen, sehen Sie eigentlich einen substanziellen Fortschritt, oder gibt es nur Rückschritte aus Ihrer Sicht?

    Koenigs: Es gibt Fortschritte und es gibt Rückschritte. Die Fortschritte sind aber viel zu langsam, und zwar vor allem im zivilen Teil, und mein Wunsch wäre, wenn eben die Kräfte dort aufgestockt werden, dass lieber tausend neue Polizisten geschickt werden als tausend neue Soldaten, und auch genau das hat der afghanische Präsident gefordert.

    Klein: Weshalb passiert das nicht in diesem Maße?

    Koenigs: Weil es offensichtlich der internationalen Gemeinschaft viel schwerer fällt, das, was nötig ist, Polizei und Polizeiausbilder, zu entsenden - da gibt es dann die Länderkompetenz und so weiter und so weiter -, und weil man sich viel zu sehr auf den militärischen Teil der Auseinandersetzung konzentriert und den zivilen von Anfang an zu klein dimensioniert hat.

    Klein: Wir sprechen immer wieder über diese Fragen, auch über die Frage der Polizeiausbildung. Weshalb ist es eigentlich so schwierig, Konsequenzen aus den Fehlern in der Strategie, die offenbar vorhanden sind, zu ziehen?

    Koenigs: Das weiß ich auch nicht. Ich wundere mich darüber auch, denn das ist ein Faktor, der bei jedem Konfliktherd eigentlich im Vordergrund steht. Einzig und allein im Kosovo haben wir es richtig gemacht; da haben wir von Anfang an 4000 internationale Polizisten hingeschickt und da ist es auch gelungen, ein neues Ausbrechen des Krieges zu verhindern.

    Klein: Jetzt sagen Sie, mehr Polizeiausbildung wäre nötig. Das ist ja immer wieder auch eingefordert worden. Aber um doch noch mal darauf zu kommen, wenn Sie sagen, wir konzentrieren uns jetzt auch in der Diskussion zu sehr auf den militärischen Teil. Den gibt es ja, der ist weiter vonnöten, oder nicht?

    Koenigs: Der ist weiter vonnöten, um auch so was wie Entwicklungshilfe, Entwicklung einer eigenen Wirtschaft, Entwicklung von Schulen zu stabilisieren. Aber was natürlich auch notwendig ist, ist Verhandlung zwischen den dort kämpfenden Kräften und Verhandlungen in der Region. Da hoffen wir jetzt, dass die neue Politik von Obama einen Schritt weitergeht.

    Klein: In welche Richtung?

    Koenigs: In die Richtung, die Region, vor allem Pakistan und Iran, einzubeziehen in die Stabilisierungsmöglichkeiten, denn eine Sicherheitsstabilisierung in Afghanistan ist ohne ein stabiles und demokratisches Pakistan nicht möglich.

    Klein: Aber dies wird wiederum auch weitere Stationierung von Soldaten und von Polizei erforderlich machen?

    Koenigs: Vor allem Polizei, vor allem Entwicklungshilfe, aber auch Schulen und Krankenhäuser. Das ist ein ganz wichtiger Teil, auch ein ganz wichtiger Teil der deutschen Hilfe.

    Klein: Wir erleben, Herr Koenigs, wenn ich es richtig beobachte, oder haben immer wieder erlebt in den vergangenen Monaten ein Wiedererstarken, sage ich mal, der aufständischen Kräfte der Taliban. Ist Ihnen eigentlich deutlich klar, wie das zustande gekommen ist?

    Koenigs: Ich glaube, das ist erst mal ein Trend in der ganzen Region, das ist aber auch dem geschuldet, dass man sich auf den Norden von Pakistan nicht genügend konzentriert hat, dass man immer gesagt hat, Pakistan wird das schon selber machen, und dass die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft in Pakistan - und zwar Amerika und Europa - sich meistens auf das Militär gerichtet hat und sich ganz wenig auf die zivilen Kräfte, die ja in Pakistan majoritär sind, konzentriert hat. Das hat man in Afghanistan zunächst anders machen wollen, da hat man aber meines Erachtens zu wenig und zu spät gearbeitet.

    Klein: Sind Sie denn bei all dem, was wir jetzt analysiert haben, hoffnungsvoll, dass sich die Situation wiederum beruhigt, dass man sozusagen die Taliban in Zukunft in den Griff bekommen kann, und wenn ja, was verleitet Sie dann zu der Hoffnung?

    Koenigs: Ich glaube, das ist nach wie vor möglich, ich glaube, das ist auch nötig, denn die internationale Gemeinschaft hat 1989 Afghanistan schon einmal alleine gelassen und das hat zu unsäglichem Elend, unsäglichen Massakern und Flüchtlingsbewegungen geführt. Diesmal haben wir den Afghanen versprochen, dass wir ihnen helfen zu einem demokratischen Staat, zu dem sie ja jetzt am 20. August einen neuen Präsidenten wählen, und zu diesem Versprechen müssen wir auch stehen.

    Klein: Apropos Versprechen. Bundeskanzlerin Merkel reist ja heute nach Washington, sie wird morgen mit dem US-Präsidenten sprechen und es ist durchaus denkbar, dass das Thema Afghanistan dabei eine Rolle spielen wird. Die Weigerung Deutschlands, sich stärker an dem Einsatz gerade auch im Süden des Landes zu beteiligen, hat zumindest hinter verschlossenen Türen zu gewissen Spannungen im Verhältnis mit Washington geführt. Soll Merkel bei einem strikten Nein dabei bleiben?

    Koenigs: Ich glaube, der Einsatz im Süden ist eine Nebendiskussion. Die Deutschen haben in einem sehr frühen Moment gesagt, wir engagieren uns im Norden, der damals der gefährlichere Teil des Landes war. Dabei sollten wir auch bleiben. Was ich mir wünschen würde, ist wie gesagt, dass die Kanzlerin stärkere Anstrengungen macht, die Polizeiausbildung voranzubringen. Das ist auch der richtige Weg, um letzten Endes Afghanistan auch wieder verlassen zu können, zumindest mit den militärischen Kräften.

    Klein: Finden Sie es eigentlich angemessen, Herr Koenigs, dass meist immer dann über die Strategie und das Für und Wider debattiert wird, wenn es Todesopfer unter deutschen Soldaten gegeben hat?

    Koenigs: Das hebt natürlich die Betroffenheit und das ist auch richtig, immer dann wieder zu diskutieren. Ich finde es aber generell richtig, eine Debatte, eine politische Debatte zu führen über die Einzelheiten des dortigen Einsatzes, nicht die militärischen Details jetzt, sondern wie man Afghanistan stabilisiert, wie der Anteil der zivilen Hilfe und der Anteil der militärischen Stabilisierungshilfe geleistet werden können. Das halte ich immer für richtig.

    Klein: Manche sagen, es gehört vielleicht doch auch zu den Pflichten deutscher Parlamentarier, zu ihrer Entscheidung auch in solchen schrecklichen und schweren Momenten zu stehen, denn andernfalls würden wir mit der Infragestellung des Einsatzes immer wieder den Aufständischen signalisieren, dass sie eben mit ihrer Strategie, Gewalt auszuüben, Erfolg haben - je mehr Opfer desto wahrscheinlicher, dass sich die Bundeswehr dort zurückzieht. Wie sehen Sie das?

    Koenigs: Das ist richtig! Man muss da nicht nur Flagge zeigen, sondern auch zu den Versprechen stehen, selbst wenn das schwierig ist, und Deutschland ist ja bedauerlicherweise nicht mal das Land mit den höchsten Opfern. Da ist es meines Erachtens richtig, dass man multilateral die Lasten trägt, und die Amerikaner sollten das nicht alleine machen müssen.

    Klein: Tom Koenigs, der ehemalige UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Koenigs.