Sonntag, 28. April 2024

Archiv


Für Frauen die Hölle

Laut Statistiken werden im Ostkongo jede Stunde durchschnittlich 48 Frauen Opfer sexueller Gewalt. Psychologen der Universität Konstanz beschäftigen sich seit zwei Jahren mit der Frage nach den Motiven der Täter und führten über 200 Gespräche. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung werden demnächst vorgestellt.

Von Simone Schlindwein | 02.03.2013
    An der staubigen Hauptstraße bieten Frauen Tomaten, Mangos und Maniokwurzeln an. Soldaten schlendern hier entlang, sie rauchen dabei und trinken.

    Minova liegt 40 Kilometer von der Millionenstadt Goma entfernt. Goma war im November von Rebellen der M23 – der Bewegung des 23.März – überrannt wurde. Die Regierungsarmee hatte sich nach der verlorenen Schlacht zurückgezogen, viele der Soldaten kamen dabei nach Minova und wüteten hier tagelang..

    Kaindo Bwira sitzt in ihrer fensterlosen Lehmhütte. Ihre drei Kinder spielen vor der Tür. Die 22-Jährige sagt, sie traue sich kaum noch nach draußen, sie fürchte sich vor den Soldaten.

    "Es war schon Abend, wir hatten uns zuhause eingesperrt, als wir im Radio hörten, dass sich die Soldaten hierher zurückziehen. Sie haben das Türschloss mit einem Schuss gesprengt und unser Haus geplündert. Sie haben Geld und Mobiltelefone mitgenommen. Dann kamen weitere Soldaten. Sie stahlen uns die Kleidungsstücke und die Matratzen. Später kam noch eine dritte Gruppe. Als sie sahen, dass es nichts mehr zu stehlen gibt, nahmen sie mich mit Gewalt."

    Nach Bewertung der Vereinten Nationen ist für Frauen weltweit keine Region gefährlicher als der Osten des Kongo.

    Eine vor zwei Jahren veröffentlichte Studie besagt, dass hier im Schnitt in jeder Stunde 48 Frauen vergewaltigt werden. Nach einer Umfrage sind knapp 40 Prozent der Frauen Opfer sexueller Gewalt geworden. Die meisten davon wurden von bewaffneten Männern missbraucht: von Rebellen, Angehörigen der Selbstverteidigungsmilizen oder von Soldaten der Armee. In den sechs Tagen nach der verlorenen Schlacht um Goma wurden knapp einhundert Frauen in Minova vergewaltigt.

    Das Militärgericht befindet sich in einem zerfallenen Backsteinbau, der einer Ruine gleicht. Militärstaatsanwalt Thom Masunzu arbeitet dahinter in einer kleinen Holzhütte. Sein Büro besteht aus einem Schreibtisch und einem Stuhl. Keine Glühbirne, keine Steckdose, kein Telefon. Fragt man ihn nach den Vergewaltigungen, zuckt er hilflos mit den Schultern. Gerade einmal drei Täter, sagt er, habe er festnehmen lassen.

    "In den meisten Fällen können die Opfer die Vergewaltiger nicht identifizieren. Schon wegen der Dunkelheit Das ist für uns eine große Herausforderung. Wir sind gerade damit beschäftigt, überhaupt erst einmal herauszufinden, welche Einheiten in dieser Woche hier waren. Es war ein Ausnahmezustand, die Soldaten waren komplett außer sich. Wir stellen in unseren Ermittlungen fest, dass es niemanden gibt, der die Verantwortung dafür trägt."

    Aussagen wie diese sind für das kongolesische Justizsystem leider typisch. Der Staat funktioniert nicht. Das ist die Grundlage der völligen Straflosigkeit. Sie wiederum ist eine der Voraussetzungen dafür, dass es im Kongo immer wieder zu Massenvergewaltigungen kommt. Psychologen der Universität Konstanz beschäftigen sich seit zwei Jahren mit der Frage, was die Motive der Täter sind. Die Ergebnisse aus über 200 Gesprächen werden demnächst vorgestellt.

    Im Innenhof einer Berufsschule in Goma wird eifrig gewerkelt. Drei junge Männer rühren Mörtel an, um eine Mauer zu bauen. An einer Holzwerkbank sägen andere Jugendliche Tischbeine zu. In einer offenen Werkshalle erklärt ein Lehrer, wie ein Benzin-Motor funktioniert.

    Hundert junge Männer erhalten hier eine Handwerksausbildung. Die Berufsschule ist auf die Behandlung von Traumata ehemaliger Kindersoldaten spezialisiert. Einer ist der 19-jährige Bonerge Kiunga. Er hat vier Jahre in einer Miliz gedient, die an Massenvergewaltigungen beteiligt war. Kiunga berichtet, warum er und seine Kameraden sich an Frauen vergingen. Drogen und die Überzeugung, dass sie eine ganz bestimmte Wirkung haben, spielten eine große Rolle, so Kiunga:

    "Wenn man die Drogen nimmt, dann fühlt man sich wie der Herrscher über die Welt. Man ist unverwundbar, keine Kugel kann einem was anhaben. Aber man braucht auch Sex. Doch wenn man den Krieg vorbereitet, dann darf man nicht mit einer Frau schlafen. Das ist eine Bedingung, damit die Drogen wirken. Wenn man es dennoch tut, dann ist man nicht mehr unverwundbar und kann sterben. Wenn man schließlich ein Dorf erobert hat, dann nimmt man sich endlich eine Frau."

    Die Psychologen haben in Gesprächen mit den Tätern weitere Motive herausgearbeitet. Auch die Motivation zu einer Gruppenvergewaltigung, wie sie Bwira, der jungen Frau in Minova, widerfahren ist. Dieser Akt habe weniger die sexuelle Befriedigung zum Ziel, so die Studie. Es gehe vielmehr um den Beweis von Männlichkeit und Dominanz in einer Gruppe junger Männer – vor allem nach einer militärischen Niederlage. Hinzu kommt ein weiteres Motiv: die angeordnete Massenvergewaltigung als Mittel der Rache am Feind. Kiunga hat im letzten Jahr in einer lokalen Miliz in der Region Walikale gekämpft. Sie verteidigten ihre Dörfer gegen die ruandischen Hutu-Rebellen der FDLR, der Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas. Nach der Schlacht wurden in den Dörfern über 300 Frauen vergewaltigt.

    "Die FDLR-Kämpfer waren sehr aufgebracht. Sie haben sich an uns gerächt, indem sie alle Frauen und Mädchen in unseren Dörfern vergewaltigten. Systematisch. Sie haben die Frau meines Kommandanten missbraucht und dessen Nichte. Daraufhin ist mein Kommandant wütend geworden und hat uns befohlen, wir sollen ihm die Frauen der FDLR bringen. Er hat selbst drei Frauen vergewaltigt. Wir haben uns dann auch an den FDLR-Frauen und Töchtern vergangen."

    Es ist für den 19-jährigen Kiunga nicht einfach, über seine Taten zu sprechen. Er habe oft Albträume und leide an Appetit- und Schlaflosigkeit. Er werde leicht aggressiv, sagt er und habe Angst vor der Zukunft. Jetzt will er Automechaniker werden. Wenn sich Kiunga über eine offene Motorhaube beugt und seinem Lehrer zuhört, dann lächelt er. In ihrer Studie fordern die deutschen Psychologen, die Täter, nicht allein als Täter zu sehen, sondern auch, sie als Opfer zu betrachten, die Hilfe benötigen. So umstritten das auch sein mag. Es dient dazu, dass sie der Gewalt abschwören.