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"Für mich war er der Held des Widerstands"

Eine Woche nach dem Tod Osama bin Ladens ist Europa bislang von Racheakten verschont geblieben. Dass muss nicht so bleiben, sagt einer, der den gewaltbereiten Islamismus von beiden Seiten erlebt hat: ein ehemaliger Islamist, der heute zu den Ratgebern der britischen Regierung gehört.

Von Ruth Rach |
    "Mein erster Gedanke zum Tod von Bin Laden: Wer durch das Schwert lebt, wird durch das Schwert sterben. Aber mein Herz reagierte ein bisschen anders. In meiner Jugend war ich von Bin Laden begeistert. Für mich war er der Held des Widerstands gegen die sowjetische Besetzung von Afghanistan. Ein Krieger und Dichter, von der arabischen Welt auch deswegen so bewundert, weil er aus einer steinreichen Familie stammte und dennoch auf den ganzen Luxus verzichtete um jahrzehntelang in Kriegszonen zu leben."

    Usama Hasan, Ende 30, britischer Muslime, Hochschuldozent, an der Elite-Universität Cambridge ausgebildet und Imam der Al Tahwid Moschee in Ost London. Anfang der 90er-Jahre ließ er sich in einem arabischem Trainingslager in Afghanistan ausbilden, um Seite an Seite mit den Mujaheddin zu kämpfen. Zehn Jahre später stürzte sein Held Osama bin Laden vom Sockel.

    Mit dem Anschlag auf das Welthandelszentrum in New York am 11. September 2001 hat sich Bin Laden als Massenmörder entlarvt. Er hat den Islam in Verruf gebracht, und ist auch für den Tod von tausenden von Muslimen verantwortlich.

    Usama Hasan wäre es lieber gewesen, wenn Bin Laden vor ein Tribunal gebracht worden wäre, und sich vor allem auch der Kritik seiner muslimischen Glaubensbrüder hätte stellen müssen.

    Sein Vater – ebenfalls ein Imam - beschränkte sich in seiner Freitagspredigt auf die Worte, nun werde Gott über Bin Laden richten. Ansonsten habe er sich auf die Frage konzentriert, wie man in dieser Welt ein guter Mensch sein kann. Und die breitere muslimische Gemeinde in Großbritannien? Sie habe pragmatisch reagiert und sich höchstens über das Triumphgehabe in den USA geärgert.

    Nach dem Tod von Bin Laden wird auch in Großbritannien vor islamistischen Racheakten gewarnt. Usama Hasan meint, kurzfristig seien solche Aktionen denkbar. Längerfristig aber sei der Einfluss von Al-Kaida bereits vor Bin Ladens Tod empfindlich geschwächt worden. Erstens seien die meisten Verschwörungen in Großbritannien fehlgeschlagen und Dutzende von Terroristen im Gefängnis gelandet. Das wirke abschreckend und entmutigend. Und zweitens:

    "Der arabische Frühling. Damit ist Al-Kaida marginalisiert worden, weil es der arabischen Jugend gelungen ist, einen Missstand anzugehen, der viele Al-Kaida Kämpfer radikalisiert hat: sie – und nicht etwa Al-Kaida – hat die Diktaturen im Nahen und Mittleren Osten unterminiert, die in den vergangenen 40 bis 50 Jahren zum großen Teil vom Westen unterstützt wurden."

    Schwer vorstellbar, dass keine Elemente der pakistanischen Sicherheitsdienste wussten, wo sich Bin Laden aufhielt, meint Usama Hasan. Und er spekuliert: vielleicht hätten sie das Versteck des Al Qaida Anführers sogar als eine Art Falle betracht, und ihr Geheimnis als potentielle Verhandlungsmasse. Die Kritik des britischen Premierministers David Cameron, Pakistan schaue in Sachen Terrorismus in beide Richtungen, entspreche leider der Wahrheit.

    "Die Gründe liegen auf der Hand. In den 80er- und frühen 90er-Jahren war Pakistan die Basis für anti-sowjetische Operationen, die von den USA voll und ganz unterstützt wurden. Auch das Aufkommen der Taliban wurde auf pakistanischem Boden begünstigt. Das bedeutete, dass die pakistanischen Streitkräfte und die verschiedenen Jihad-Gruppen, darunter indirekt auch Al-Kaida, über 20 Jahre lang enge Beziehungen unterhielten. Aber nach dem Anschlag vom 11. September 2001 sollte Pakistan ganz plötzlich die Seite wechseln. So etwas geht nicht über Nacht."

    Pakistan brauche langfristig Hilfe, um sich in eine demokratische Gesellschaft zu entwickeln, glaubt Usama Hasan. Auch der Konflikt in Afghanistan lasse sich nur durch Verhandlungen lösen. Im Herbst reiste er – der ehemalige Mujaheddin - im Auftrag der britischen Regierung in die Provinz Helmand, um Kontaktmöglichkeiten mit den Taliban auszuloten. Sein eigenes Leben wurde dadurch nicht einfacher. Radikale Islamisten betrachten ihn nun als Verräter und bedrohen ihn mit dem Tod.