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"Für Russen steht Putin für Stabilität Russlands"

Schossig: Heute wählt Russland einen neuen Präsidenten. Weil sich der größte Flächenstaat der Erde über 11 Zeitzonen erstreckt, hat die Wahl schon in der Nacht begonnen. 109 Millionen Wahlberechtigte Bürger sind dazu aufgerufen. Zur Wahl steht aber nur Staatschef Wladimir Putin. Am Telefon in Berlin, der Russlandexperte Alexander Rahr. Herr Rahr, Sie sind Leiter der Arbeitsstelle Russland GUS. Das ist eine gemeinsame Einrichtung der Hamburger Körber-Stiftung und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Frage an Sie: Warum haben die anderen Parteien diesmal eigentlich keine echten Kandidaten aufgestellt? Sjuganow kandidiert nicht, Schirinowski ist nicht dabei?

Moderator: Rainer-Berthold Schossig |
    Rahr: Es ist sicherlich richtig, dass die Hauptrivalen diesmal nicht antreten, schon aus einem ganz bestimmten Grund: Sie sehen für sich keine Chance, gegen Putin überhaupt bestehen zu können. Die Duma-Wahlen im Dezember letzten Jahres haben gezeigt, dass der Kreml praktisch die ganzen elektronischen Medien kontrolliert, dass der Kreml in der Lage ist, seinen Kandidaten durchzubringen. Es gibt überhaupt keinen Widerstand gegen den Kandidaten Putin. Die Ressourcen für eine Wahlkampagne sind auch bei anderen Parteien beschränkt und deshalb schickt zum Beispiel Schirinowski nur seinen Leibwächter ins Rennen, um sich, sozusagen, über Putin lustig zu machen.

    Schossig: Der Ausgang der Präsidentenwahlen scheint dann eigentlich nicht besonders spannend, oder vielleicht doch? Die Russen sehnen sich ja nach Stabilität, erwarten vor allem Sicherheit, Ordnung. Die Mehrheit wird sich deshalb für Wladimir Putin entscheiden, oder?

    Rahr: Ja, sicherlich. Es ist ja auch keine Wahl, sondern eher, wie die Welt geschrieben hat, ein Referendum für Putin. Ich denke, dass die Hauptintrige sein wird, ob in der Tat über 50 Prozent der Wahlberechtigten zu den Urnen kommen. Wenn weniger als 50 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung zur Wahl gehen sollten, dann werden die Wahlen für Null und nichtig erklärt. Das wäre eine riesige Katastrophe für Putin.

    Schossig: Er hat wahrscheinlich deswegen diese Hau-Ruck-Regierungsumbildung auch kurz vor diesem Referendum, wie Sie es sagen, durchgeführt. Das war zur Beflügelung der Wähler, oder?

    Rahr: Ja, sicherlich. Deshalb musste diese neue politische Intrige her. Kassjanow, der Ministerpräsident musste weg, neue Minister wurden eingesetzt und in den Tagen vor der jetzigen Wahl wurden die einzelnen Minister allen vorgestellt. Putin geht mit einer neuen Mannschaft, mit einem bisschen veränderten Gesicht in die Wahlen. Das sollte die Wähler wieder stimulieren zu kommen, ihre Stimme abzugeben.

    Schossig: Dass heißt, er hat ja schon großartig gewonnen vor vier Jahren, im März 2000, mit fast 53 Prozent. Wird er dieses Ergebnis jetzt noch ausbauen können in der Fülle seiner Macht?

    Rahr: Sicherlich. 52 Prozent wäre für ihn ein Verlust. Die Experten rechnen mit mindestens 65 Prozent, manche sagen sogar, 80 Prozent könnte er bekommen. Einige behaupten sogar, dass er vielleicht ein Wahlergebnis wie Herr Sakaschwili in Georgien erreichen kann, was ich aber bezweifle. Ich glaube eher, dass er ein Problem bekommen wird, mit den Wählern, die bei der Urne gegen alle Kandidaten stimmen werden. Das wäre dann auch ein herber Prestigeverlust für ihn. Er müsste nach dieser Wahl dann sehen, dass bestimmte Bürger gegen eine solche Ein-Parteien-Wahl, Ein-Mann-Wahl sich entgegenstellen.

    Schossig: Herr Rahr, Sie sind Autor dieser Biographie "Wladimir Putin, der Deutsche im Kreml". Putin gilt als kraftvoller fleißiger Präsident, handlungsfähig, nicht korrupt. Reicht denn das wirklich aus, um in Russland einen Präsidenten zu wählen?

    Rahr: Die meisten Menschen, mit denen ich heute in Russland zu tun habe, würden Putin wählen. Putin hat den Russen eine langersehnte Stabilität, nicht nur versprochen, sondern gebracht. Im Vergleich zu den 90er Jahren liegt Russland wieder auf einem stabilen Niveau. Die Wirtschaft steigt und die meisten Teile der Bevölkerung erleben dies auch so, wie sie es in den 90ern nicht erlebt haben. Russland wird auch in der Welt wieder akzeptiert, ernst genommen. Es ist nicht nur der Energiesektor, der boomt, sondern auch der Dienstleistungssektor. Es gibt in der Tat soziale und wirtschaftliche Veränderungen im Land. Die Leute spüren das und sie wollen keinen anderen Kandidaten.

    Schossig: Aber, dass Putin die Macht im Land monopolisiert und gnadenlos Regierung, Parlament und Presse schurigelt oder Leute aus dem Geheimdienst um sich schart wie früher, ohne Scham, dass es keine nennenswerte Opposition mehr gibt, stört das eigentlich nur noch eine Minderheit in Russland?

    Rahr: Die Tatsache, dass es in Russland in den 90er Jahren zuviel Opposition gegeben hat, zu viele Machtkämpfe, zu viele Köche, die am Brei herum kochten, hat die Bevölkerung eher als eine Destabilisierung des Landes angesehen. Jetzt, mit Putin, ist eine Machtdekade geschaffen worden. Das unterstützen die Menschen, und sie wollen möglicherweise auch zunächst Stabilität und wollen zu den Gedanken der Demokratie erst nach Putin wieder zurückkehren.

    Schossig: Blicken wir von der Innenpolitik jetzt mal auf die Außenpolitik. Sind denn spektakuläre Änderungen der Linie Putins im Auswärtigen zu erwarten, insbesondere zum Beispiel gegenüber Europa und Deutschland?

    Rahr: Das ist eine sehr wichtige Frage. Die kann man noch nicht eindeutig beantworten. Putin wird versuchen seine Westöffnungspolitik weiter zu führen, denn ohne westliche Investitionen, westliches technisches Know-how kann Russland nicht aufrüsten - ich meine wirtschaftlich, nicht nur militärisch. Er kann seine Modernisierungspolitik nicht durchführen. Allerdings haben wir in den letzten Monaten gesehen, dass die Beziehungen zu den USA und der EU doch schlechter werden. Man will im Westen ein starkes wirtschaftliches Russland unterstützen, aber kein Russland, dass sich weg von der Demokratie bewegt und deshalb kommt jetzt die ganze Kritik mit geballter Fast auf Russland zu. Ich kann mir schon vorstellen, dass Putin sich dieser Kritik entziehen möchte. Er kann möglicherweise versuchen, Russland wieder zu isolieren, sich Richtung China zu orientieren. Solche Momente könnte es in seiner Politik geben. Aber langfristig, denke ich, muss er sich am Westen orientieren.

    Schossig: Ist die Osterweiterung der Europäischen Union für Putin, für Russland, eine Herausforderung oder hat man damit umgehen gelernt?

    Rahr: Russland hat bisher die NATO-Osterweiterung als Problem angesehen, nicht die EU-Osterweiterung. Jetzt scheint es umgekehrt zu sein. Die NATO-Osterweiterung ist eher vergessen, beiseite geschoben worden im Denken der Politiker in Russland. Sie sehen für sich die EU-Osterweiterung als größte Herausforderung. Sie verlieren aus ihrer Sicht jetzt die osteuropäischen Märkte, weil für Länder wie Polen und Litauen die selben Gesetze gelten wie für Deutschland und Frankreich. Das sind zum Beispiel Handelsbarrieren. Das sind ganz andere Spielregeln, die Russland jetzt wird spielen müssen. Die Visumsfrage für Kaliningrad – um Reisen nach Kaliningrad machen zu können, brauchen Russen jetzt ein Visum. Das hat man mental noch nicht richtig verarbeitet und auch sonst, denke ich, kommen auf Russland große Probleme zu, weil die Europäische Union mehr und mehr Länder wie die Ukraine, Weißrussland und Moldavien, Georgien als seine direkte Nachbarschaft betrachtet und diese Länder auch aufrüsten wollen Richtung Europäische Union, Russland sie aber als eigene Hemisphäre ansieht. Da könnte es Streitigkeiten geben.

    Schossig: Das wäre ja wirklich eine geostrategische Glanzleistung, wenn es Russland gelänge, sozusagen gemeinsam mit der Europäischen Union ein Gegengewicht zu den Vereinigten Staaten zu bilden. Droht so etwas?

    Rahr: Nein, weil die Europäer dies nicht wollen. Die Mittelosteuropäer und die Amerikaner werden das zu verhindern wissen. Es hat vielleicht den einen oder anderen Gedanken in dieser Richtung in Russland vor einem Jahr während der Achsenbildung Deutschland, Frankreich, Moskau gegeben. Aber ich glaube, diese Sache ist jetzt vom Tisch. Russland hat nur die Chance wieder wirtschaftlich stark zu werden, wenn es sich an Europa und Amerika anlehnt.