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"Für wen arbeiten eigentlich die einzelnen Kanzleien?"

Ein zentrales Register aller Lobbyvertreter will "LobbyControl" - und nimmt auch Abgeordnete ins Visier, um "bestimmte Verflechtungen" zu beschränken. Als unrühmliches Beispiel nennt die Initiative Ex-Kanzler Gerhard Schröder.

Ulrich Müller im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Britische Anwälte, die deutschen Ministerialbeamten die Feder führen. Gewaltige Aufregung in den letzten Tagen um den zu- Guttenberg-Gesetzentwurf zur staatlichen Zwangsverwaltung maroder Banken. Der Staub hat sich vorerst gelegt, doch die Tatsache bleibt: Jahr für Jahr geben fast alle Bundesministerien Millionensummen aus für externe Beratung. Viele Kritiker sprechen hier von einer Grauzone, eine gewaltige Spielwiese für Lobbyarbeit, finanziert aus Steuermitteln. Davon abgesehen: Schon im politischen Alltag ist der Einfluss der Lobbyarbeiter enorm. Allein in Berlin sind, groben Schätzungen zufolge, 5000 Lobbyisten aktiv, als vom Grundgesetz nicht vorgesehene fünfte Gewalt im Staate. Seit 2006 gibt es die Initiative "LobbyControl", ein kleiner gemeinnütziger Verein, der sich zur Aufgabe gemacht hat, Licht in das Dunkel der täglichen Lobbyarbeit zu bringen, und bei mir im Studio ist nun Ulrich Müller vom Vorstand der Initiative "LobbyControl". Guten Morgen, Herr Müller.

    Ulrich Müller: Guten Morgen!

    Heinlein: Die Zeit drängt, die Materie ist kompliziert. Was ist falsch daran, wenn in diesem Fall ein Ministerium externen Sachverstand nutzt?

    Müller: Aus unserer Sicht ist es hoch problematisch, wenn die Gesetze von Externen geschrieben werden. Das ist eigentlich eine Aufgabe der demokratisch legitimierten Institutionen und sie müssen sicherstellen, dass alle Interessen ausgewogen zu Wort kommen. Das können nicht Kanzleien machen, die sonst in ihrem Alltagsgeschäft genau für die Unternehmen arbeiten, die von den Gesetzen dann betroffen sind, die sie dann schreiben sollen. Das geht nicht.

    Heinlein: Ist in diesem konkreten Fall die britische Anwaltskanzlei "Linklaters" eine Kanzlei, die Lobby-Interessen vertritt, etwa von den Banken?

    Müller: Man muss unterscheiden. Sie ist auf jeden Fall tätig für Banken oder auch für zum Beispiel Schaeffler bei der Conti-Übernahme, also für Unternehmen, wo vielleicht das Insolvenzrecht durchaus mal relevant werden könnte. Und dann ist es so, dass diese Anwaltskanzleien generell immer stärker in das Lobby-Geschäft auch eintreten. Das heißt, dass sie auch Lobby-Arbeit für Unternehmen machen. Da weiß man aber nicht genau, für wen sie tätig sind. Deswegen fordern wir ja so ein Lobbyistenregister, wo klar wird, für wen arbeiten eigentlich die einzelnen Kanzleien und die einzelnen Agenturen. Das weiß man heute oft nicht.

    Heinlein: Was ist denn Ihre Schätzung? Wie viele der Gesetze, der deutschen Gesetze tragen denn die Handschrift von Lobbyisten?

    Müller: Es ist ja so: Man muss einerseits unterscheiden, dass es ganz regulär Anhörungen gibt seitens der Bundesregierung oder auch vom Bundestag mit verschiedenen Verbänden, Unternehmen, auch mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, und dass es insofern ja auch sinnvoll ist, dass sich die Regierung oder Parteien Anregungen von außen holen. Das Problem ist, dass es enorme Machtungleichgewichte gibt zwischen verschiedenen Interessen, dass die finanzstarken Interessen häufig bevorzugt zu Wort kommen, dass sie es sich auch leisten können, ehemalige Politiker auf einmal einzuwerben als Türöffner, und dass es zum Teil auch ganz manipulative Methoden gibt, wie wir es bei der Bahn gesehen haben, die ja verdeckt für die Bahnprivatisierung PR machen hat lassen.

    Heinlein: Aber Greenpeace oder Amnesty International haben vielleicht nicht so viel Geld, aber sind dennoch in der Lage, ihre Interessen, ihre Anliegen offensiv in der Öffentlichkeit und auch in der Politik zu vertreten.

    Müller: Man muss schon sehen, dass es natürlich verschiedene Akteure auch gibt. Auch Greenpeace hat ein Lobby-Büro in Berlin. Aber ich glaube, wenn man sich genau die Konstellation anguckt und auch die Veränderungen, die sich durch Europäisierung und so weiter ergeben, dann sieht man schon, dass die Wirtschaftsverbände umgekehrt stärkeren Einfluss haben. Wir haben das auch gesehen bei den Externen, die in den Bundesministerien mitgearbeitet haben. Das war ja noch so ein anderes Problem, was in den letzten Jahren stark diskutiert wurde. Da waren es überwiegend Leute aus Unternehmen, zum Beispiel von der Deutschen Bank, oder auch aus den ganzen Verbänden, den Wirtschaftsverbänden, die dort in den Ministerien saßen. Da war kein Vertreter einer Umweltorganisation direkt in den Ministerien tätig.

    Heinlein: Herr Müller, gehen wir einmal weg vom aktuellen Fall, vom Fall zu Guttenberg und seinem Gesetzentwurf. Wie muss man sich das vorstellen? Wie funktioniert im Berliner Alltag die Arbeit der Lobbyisten?

    Müller: Das ist vielschichtig. Es fängt damit an, dass man natürlich erst mal guckt, so eine Art Monitoring zu betreiben, was passiert eigentlich gerade politisch. Dann muss man natürlich sein Netzwerk pflegen. Das heißt, man muss immer Kontakt halten zu Politikern oder auch den Ministerialbeamten. Man organisiert Sommerfeste oder Ähnliches, um so ein bisschen die Kontakte zu pflegen, und parlamentarische Abende, Lobby-Events. Dann hängt es sehr stark davon ab, wie die Debatte läuft. Dann gibt es ganz verschiedene Methoden, dass man versucht, die eigenen Mitarbeiter zum Beispiel zu Briefkampagnen zu animieren, dass man Druck über Gutachten macht. Dann gibt es natürlich, dass zum Teil Abgeordnete selber in Beiräten von Lobby-Gruppen sind. Da gab es ja letztens auch noch mal eine Diskussion über die Abgeordneten, die das bei rüstungsnahen Vereinen waren und das nicht deklariert haben. Also da gibt es ein vielfältiges Spektrum an Instrumenten und Verflechtungen.

    Heinlein: Ist das eine Grauzone der Politik, hart an der Grenze des Erlaubten?

    Müller: Ich würde sagen, es gibt sozusagen die normale Interessenvertretung, dann gibt es eine sehr große Grauzone und tatsächlich auch zum Teil vielleicht schwarze Bereiche, wo man sagen würde, das dürfte eigentlich nicht sein. Es ist aber in Deutschland relativ unreguliert. Es gibt weder Transparenzverpflichtungen, noch gibt es Regeln, die zum Beispiel verbieten, dass Politiker direkt aus dem Amt in Lobby-Tätigkeiten wechseln, und hier hinkt Deutschland eigentlich hinterher. Wir brauchen dort neue Regeln, um Transparenz zu schaffen und um auch bestimmte Methoden einfach einzuschränken.

    Heinlein: Über diese Regeln, Herr Müller, müssen wir gleich reden. Vielleicht vorab: Können Sie uns ein konkretes Beispiel nennen, wie der Einfluss von Lobby-Arbeitern die Politik, die Gesetze, die Formulierung von Gesetzen beeinflusst hat?

    Müller: Da gibt es viele, aber es gab auf jeden Fall auch im Energiebereich Gesetze, wo es in den Vorlagen dann stand – das kam wörtlich von RWE -, wo wirklich die Vorlagen kamen. Wir haben sehr viel Einfluss auch auf europäischer Ebene, zum Beispiel gesehen bei der Chemikalienrichtlinie, wo zum Teil Mitarbeiter von BASF während dieser Zeit in der EU-Kommission tätig waren oder auch nachher im deutschen Wirtschaftsministerium, wo dann auch Änderungsanträge im Europäischen Parlament direkt von Unternehmensseite kamen. Solche Methoden findet man dann alles.

    Heinlein: Was muss geschehen – Sie haben es jetzt schon mehrfach angesprochen -, um den Einfluss der Lobbyisten auf die Politik zu begrenzen?

    Müller: Wir fordern auf der einen Seite erst mal ein Transparenzregister, also ein Lobby-Register, wo alle eintragen müssen, für wen sie eigentlich tätig sind, so dass man auch sieht, für wen arbeiten diese Kanzleien, für wen arbeiten Lobby-Agenturen, auch so Denkfabriken wie "Belle Impolis", die diese verdeckte PR für die Deutsche Bahn mit umgesetzt haben, dass so was einfach nicht mehr so leicht möglich ist. Das ist der erste Punkt.
    Das zweite ist, dass wir gerne bestimmte Verflechtungen beschränken würden. Wir würden gerne eine Karenzzeit sehen, dass Politiker nicht von einem Tag auf den anderen in eine Lobby-Tätigkeit wechseln können, sondern dass sie dort erst mal drei Jahre warten müssen.

    Heinlein: Zum Beispiel Gerhard Schröder?

    Müller: Zum Beispiel Gerhard Schröder, oder auch zum Beispiel Hildegard Müller, die aus dem Kanzleramt direkt zur Energie-Lobby gewechselt ist, also während der Legislaturperiode, und natürlich ihr ganzes Insider-Wissen und Kontakte mitnimmt.

    Heinlein: Ist also Transparenz der natürliche Feind jedes Lobbyisten?

    Müller: Es ist so, dass die Lobbyisten sehr ungern über ihre Arbeit sprechen. Insofern ist Transparenz ein wichtiger Baustein. Er ist nicht die endgültige Lösung für alles, aber er würde auf jeden Fall helfen, verdeckte Einflussnahme zu erschweren.

    Heinlein: Unterscheidet sich der Alltag der Lobby-Arbeit in Deutschland in irgendeiner Form von den Zuständen in anderen westlichen Demokratien? Ist es hier besonders schlimm, oder vielleicht besonders einfach?

    Müller: Es gibt natürlich immer einzelne Unterschiede, je nach dem politischen System, aber ich glaube, dass die Tendenzen generell in eine ähnliche Richtung gehen, dass es immer mehr an Lobby-Arbeit wird, dass auch immer mehr die Unternehmen eigenständige Lobby-Arbeit machen, es nicht nur über die klassischen Verbände geht, und dass man deswegen eigentlich mehr Transparenz braucht, weil die Strukturen unübersichtlicher werden. Da ist es so, dass wir im Vergleich zu den USA zum Beispiel, wo Lobby-Arbeit auf der einen Seite normaler ist, es aber auf der anderen Seite eben auch strengere Regeln gibt, in Deutschland hinterherhinken.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen Ulrich Müller vom Vorstand der Initiative "LobbyControl". Herr Müller, ganz herzlichen Dank für das Gespräch und für den Besuch im Studio.

    Müller: Gerne. Danke!