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"Für westliche Demokratien einfach unvorstellbar"

Jörg van Essen, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, hat nach dem Urteil im ersten Guantanamo-Militärprozess das Rechtverständnis der Verantwortlichen scharf kritisiert. Die Inhaftierung einer Person setze eine entsprechende gerichtliche Entscheidung voraus. Für die Insassen des US-Militärgefängnisses auf Kuba gelten aber Regelungen, die "für einen Rechtsstaat unerträglich" seien, so van Essen.

Dirk-Oliver Heckmann im Gespräch mit Jörg van Essen |
    Dirk-Oliver Heckmann: Es gäbe da eine beträchtliche Anzahl von Gefangenen in Guantanamo, die wahrscheinlich nie freigelassen werden, weil sie eine Gefahr für die Welt darstellen. Das sagte der Sprecher des amerikanischen Verteidigungsministeriums Jeff Morrell gestern in Washington. Diejenigen, die bemängeln, dass es die Bush-Administration mit den Grundsätzen des Rechtsstaats nicht allzu genau nimmt, die konnten sich wieder einmal bestätigt fühlen. Oder holt die amerikanische Regierung in Wahrheit nicht für den Rest der Welt wieder einmal die Kastanien aus dem Feuer? Am Telefon begrüße ich Jörg van Essen, den parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Morgen.

    Jörg van Essen: Guten Morgen.

    Heckmann: Herr van Essen, die amerikanische Regierung sagt, dass das Urteil von gestern gegen den Terrorverdächtigen Hamdan, dass das ein Zeichen gewesen dafür sei, dass die Justiz funktioniere.

    van Essen: Das ist natürlich überhaupt nicht der Fall. Sie berufen sich darauf, dass ja ein Anklagepunkt, der der Verschwörung, vom Gericht nicht als bewiesen angesehen worden ist, und der Angeklagte nur wegen anderer Anklagepunkte verurteilt worden ist. Aber das ist natürlich nicht der Fall. Das, was Sie gerade eingespielt haben, zeigt ja ein Rechtsverständnis, das für westliche Demokratien einfach unvorstellbar ist. Denn die Inhaftierung einer Person setzt zu Recht nach unserem Rechtsverständnis eine entsprechende gerichtliche Entscheidung voraus. Und einige der Insassen von Guantanamo haben ja in der Vergangenheit den Supreme Court der Vereinigten Staaten angerufen, der in mehreren Fällen unterstrichen hat, dass der Zugang zu den ordentlichen Gerichten ganz selbstverständlich nach den Rechtsregeln der Vereinigten Staaten veröffentlicht ist. Das letzte Urteil ist ja im Juli dieses Jahres gefällt worden. Und zwar betraf es einen Algerier, der 2001 festgenommen worden ist, damals auf dem Balkan. Das Oberste Gericht in Sarajevo hat entschieden, dass Beweise gegen ihn nicht vorliegen. Mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft sind sechs Algerier freigelassen worden und von den Amerikanern dann verhaftet und nach Guantanamo verbracht worden, wo sie jetzt seit sieben Jahren ohne Prozess einsitzen. Alles das ist unerträglich.

    Heckmann: Eigentlich, Herr van Essen, ist es egal, zu welchem Urteil die Militärtribunale kommen. In bestimmten Fällen bleiben die Gefangenen in Haft. Das hat gestern das Pentagon klar gemacht. Fragt sich bloß, wer darüber entscheidet.

    van Essen: Ja, es gibt Regeln, die mehrfach vom Kongress der Vereinigten Staaten geändert worden sind, nachdem das Supreme Court festgestellt hatte, dass das, was durchgeführt worden ist, den [Rechtsituationen] in den USA nicht entspricht. Und man muss sich vielleicht einmal vor Augen führen, was dort im Einzelnen geregelt ist. Die Gefangenen dürfen sich keines Anwalts bedienen. Ihnen wird ein Offizier als Interessenvertreter zugeteilt. Es gilt die Vermutung, dass die Beweismittel, die die Regierung vorlegt, authentisch und fehlerfrei sind. Der Gefangene darf als geheim eingestufte Beweismittel überhaupt nicht einsehen, und was ganz wichtig ist, unter gewissen Umständen können sogar erzwungene Aussagen, so ist es formuliert, das heißt auf Deutsch, durch Folter erlangte Aussagen, verwertet werden, und, was auch gegen die sonstigen rechtlichen Regelungen in den Vereinigten Staaten spricht, es dürfen sogar Beweismittel verwendet werden, die vom Hörensagen eingeführt worden sind. Alles das ist für einen Rechtsstaat unerträglich.

    Heckmann: Man könnte aber auch sagen auf der anderen Seite, die USA schützen den Rest der Welt vor Terroristen. Denn es geht bei diesen Personen nicht um Unschuldslämmer, wie das Pentagon nicht müde wird zu betonen, sondern nur um bestimmte Personen, bei denen die Beweise eben nicht ausreichen, sie zu verurteilen.

    van Essen: Ja, es geht aber auch um Unschuldslämmer. In einer bestimmten Zeit waren über 800 Personen in Guantanamo festgehalten. Inzwischen sind viele von denen freigelassen worden, 270 sind jetzt noch in Guantanamo. Im Übrigen waren darunter auch Kinder. Es sind 13- bis 16-Jährige entlassen worden, die mehrere Jahre in Guantanamo waren. Ich glaube, dass das alles zeigt, dass hier nur eine Regel gelten kann, was ganz selbstverständlich ist, weil ich Ihnen ja zustimme. Es werden auch gefährliche Leute darunter sein. Aber dann darf man das nicht in diesem Verfahren machen, sondern dann muss das in einem Verfahren geschehen vor den ordentlichen Gerichten. Und dass das in Amerika ja auch möglich ist, zeigt ja ein Beispiel. Es sind in den letzten Jahren über 80 Personen vor ordentlichen amerikanischen Gerichten verurteilt worden, weil sie gefährlich sind, weil sie terroristische Taten begangen haben. Das heißt, die ordentlich-amerikanische Gerichtsbarkeit funktioniert ja. Und deshalb ist die Forderung aller politischen Kräfte in Deutschland - und ich bin sehr froh, dass das quer durch alle politischen Lager geht -, dass Guantanamo schnellstmöglich beendet werden muss, dass hier die normalen Regeln des Strafrechtes, des Strafprozessrechtes gelten, das ist im Interesse von uns allen.

    Heckmann: Herr van Essen, auch gegen Guantanamo ist jahrelang protestiert worden. Auch, und vor allem von Europa aus, ohne Erfolg. Jetzt also die Ankündigung des Pentagon, dass eben Häftlinge auf Guantanamo festgehalten werden, auch wenn sie freigesprochen würden von den Militärtribunalen. Die Frage stellt sich, muss das so hingenommen werden, so wie Guantanamo hingenommen wurde?

    van Essen: Nein. Guantanamo ist ja möglicherweise von der rot-grünen Regierung viel zu intensiv hingenommen worden. Mir ist nie bekannt geworden, dass der damalige Bundeskanzler Schröder oder der damalige Bundesaußenminister Fischer in Washington tatsächlich protestiert hätten. Der erste, der den Mut hatte, im Beisein des amerikanischen Präsidenten das Thema anzusprechen, war die heutige Bundeskanzlerin. Und es gibt ja Gott sei Dank Hoffnung. Barack Obama hat klargemacht, dass nach seinem Wahlsieg Guantanamo sofort geschlossen werden würde. Und ich bin auch dankbar, dass Senator McCain, der ja selbst unter Folter gelitten hat in Nordvietnam, dass er immer wieder Initiativen in den Senat eingebracht hat gegen Folter, dass er auch deutlich gemacht hat, dass Guantanamo in der jetzigen Form nicht bestehen bleiben soll.

    Heckmann: Aber er will die Militärkommission nicht abschaffen.

    van Essen: Richtig. Das ist der Punkt, den ich mit Sorge sehe. Aber er will immerhin Guantanamo in der jetzigen Form abschaffen, er will einen besseren Zugang zu den ordentlichen Gerichten ermöglichen. Also auch da, zumindest bei Senator McCain, ein kleiner Fortschritt. Ich bin sehr froh, dass Barack Obama sich völlig anders positioniert hat. Dass so viele Menschen in Berlin zur Siegessäule gekommen sind, ist auch ein Zeichen dafür, dass auch da Hoffnung gesehen wird.

    Heckmann: Jörg van Essen, der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion. Ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben.

    van Essen: Gerne.