Montag, 06. Mai 2024

Archiv


Fürst plädiert für Knobloch als neue Präsidentin des Zentralrats der Juden

Der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinde Niedersachsen, Michael Fürst, hat sich für Charlotte Knobloch als neue Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland ausgesprochen. Noch sei aber nicht sicher, ob der Zentralrat heute bei seinem Treffen in Frankfurt am Main über die Nachfolge von Paul Spiegel entscheidet, da das Präsidium seit dem Tod Spiegels nicht voll besetzt sei.

Moderation: Stefan Heinlein | 07.06.2006
    Stefan Heinlein: Nicht nur in politischen Parteien oder im Vatikan gilt die Regel "wer zu früh zu heftig mit den Beinen strampelt, um ganz nach vorn zu gelangen, hat seine Zukunft zumeist schon hinter sich". Auch im Zentralrat der Juden ist dies nicht viel anders. Selbst nach Ende des Trauermonats wagt sich keiner der Kandidaten ganz offen aus der Deckung. Dabei ist der Kreis der möglichen Bewerber überschaubar. Chancen haben nur Mitglieder des derzeit siebenköpfigen Präsidiums. Sie machen die Nachfolge unter sich aus. Zwei Namen werden für das schwierige Ehrenamt immer wieder genannt: Charlotte Knobloch, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in München, und Salomon Korn, ihr Amtskollege in Frankfurt.

    Heute soll die Entscheidung fallen und dazu jetzt bei mir am Telefon Michael Fürst. Er ist Vorsitzender der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen. Guten Morgen Herr Fürst!

    Michael Fürst: Guten Morgen Herr Heinlein!

    Heinlein: Wie wichtig ist die heutige Personalentscheidung für die Juden in Deutschland?

    Fürst: Ich würde mal sagen dies ist schon eine wichtige Entscheidung, denn der Vorsitzende beziehungsweise Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland hat eine Stellung, die weit über das hinausgeht, was sie im Inneren des Judentums eigentlich bedeutet. Sie ist im Außenbereich doch eine Repräsentationsstelle, die weit über eine übliche gesellschaftliche Position hinausgeht.

    Heinlein: Und wie groß sind die Fußstapfen, die Paul Spiegel nun seinem Nachfolger oder seiner Nachfolgerin hinterlässt?

    Fürst: Wir haben ja nun mehrere Fußstapfen. Das beginnt ja viel, viel früher. Das beginnt in der Zeit von Heinz Galinski und darüber hinaus mit Ignaz Bubis. Ignaz Bubis hat große Fußstapfen hinterlassen und Paul Spiegel war wirklich bemüht, diese Fußstapfen auszufüllen, und hat das auch zu einem großen Teil durchaus schaffen können. Aber wir müssen ja nicht nur an die Fußstapfen denken, die man hinterlässt, sondern wir müssen daran denken, was soll in der Zukunft mit dem Zentralrat passieren, welche Funktionen hat der Zentralrat im gesamtjüdischen Bereich und so weiter.

    Wir haben, wie Sie schon angedeutet haben, derzeit eigentlich nur zwei Personen, die namentlich genannt werden, Charlotte Knobloch und Salomon Korn. Darüber hinaus bietet sich wirklich nichts anderes an.

    Heinlein: Und wer von diesen beiden wäre der geeignete Kandidat oder die geeignete Kandidatin, um diese großen Fußstapfen auszufüllen?

    Fürst: Bei Ignaz Bubis hat man damals gewarnt, wie kann er das schaffen. Bei Paul Spiegel hat man gefragt, wie will er das schaffen. Und auch bei der Nachfolgerin oder dem Nachfolger stellt man sich wahrscheinlich die gleichen Fragen und wird hoffentlich hinterher sagen können, es war eine gute Nachfolgerin oder ein guter Nachfolger. Ich glaube beide werden es können, sowohl Charlotte Knobloch als auch Salomon Korn. Salomon Korn ist der intellektuell sicherlich etwas Stärkere, aber ich muss dazu sagen, Charlotte Knobloch liegt mir persönlich von ihrer kräftigen Durchsetzungsmöglichkeit im inneren Bereich ein wenig näher. Ich glaube wenn es heute zu einer Wahl kommt - auch das ist natürlich noch nicht ganz sicher -, könnte es auf Frau Knobloch zulaufen.

    Heinlein: Kommt es denn - das ist in der Tat die Frage - heute überhaupt zu einer Kampfkandidatur? Wird es zwei Kandidaten geben, denn Salomon Korn hat ja im Vorfeld sehr zögerlich reagiert auf eine mögliche Bewerbung?

    Fürst: Es gibt inzwischen schon wieder etwas andere Bekundungen, dass er sich vielleicht doch zur Wahl stellt. Ich glaube nicht, dass es zu einer Kampfabstimmung kommen wird. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man sich, wenn man sich zur Wahl stellt, auf eine Person verständigen wird. Ich halte das auch für klug. Aber die andere Frage ist, ob es überhaupt zu einer Wahl kommen wird, denn eines darf man nicht verkennen: Das Präsidium ist derzeit nicht voll besetzt. Es fehlt die Stelle von Paul Spiegel, die noch nachzubesetzen ist vom Direktorium. Wenn ich Mitglied im Direktorium wäre, würde ich mir diese Möglichkeit erhalten, eine Person nachzubenennen, und ich würde als Direktoriumsmitglied das dem Präsidium auch sehr deutlich sagen.

    Heinlein: Kann es sich denn der Zentralrat der Juden in diesem Kontext, den Sie gerade geschildert haben - wichtige Aufgaben sind zu lösen -, jetzt leisten, dieses Vakuum noch einige Zeit offen zu lassen?

    Fürst: Ach ja natürlich. Das ist überhaupt keine Frage. Es ging doch über einen langen Zeitraum schon. Paul Spiegel war lange Zeit erkrankt. Nicht nur dieser ich sage mal doch relativ kurze Zeitraum in den letzten Monaten seiner ganz schweren Erkrankung, in der er überhaupt nicht mehr tätig war, sondern auch davor war es schon so, dass eine Vielzahl von Terminen, von Repräsentationsverpflichtungen, aber auch von tatsächlich politischer Arbeit von anderen Personen wahrgenommen wurden. Wir dürfen auch bitte nicht verkennen, dass wir im Zentralrat einen Generalsekretär haben. Stephan Kramer ist ein sehr, sehr engagierter Mann, der die politische Tagesarbeit sowieso macht und in den letzten Jahren auch sehr aktiv gestaltet hat. Also es geht am Generalsekretär sowieso nicht vorbei, was auch richtig ist, denn der Generalsekretär ist der politische Kopf dieses Gremiums.

    Heinlein: Lassen Sie uns, Herr Fürst, dennoch einen Moment noch einmal über die Kandidaten reden, die beiden, die heute wohl zur Wahl stehen. Charlotte Knobloch gehört ja noch zur Generation der Holocaust-Überlebenden. Wie wichtig ist diese Tatsache, oder ist es mittlerweile Zeit für einen Generationenwechsel an der Spitze des Zentralrats?

    Fürst: Über den Generationswechsel sprechen wir ja nun schon ich würde mal sagen zehn Jahre. Auch die Nachfolge von Ignaz Bubis war ja schon mit dem Problem behaftet, braucht man einen Generationswechsel, muss man nun endlich mal jemanden haben, der nach dem Kriege geboren ist. Ich glaube das ist auch unerheblich. Es ist unerheblich, ob es jemand ist, der die letzten beiden Jahre des Krieges schon gelebt hat, oder ob es jemand ist, der nach dem Kriege geboren wurde. Ich glaube alle die, die im Zentralrat und auch im Präsidium tätig sind, haben das ganz, ganz starke Bewusstsein für die Zeit vor '33, für die Zeit zwischen '33 und '45 und für die Zeit danach, denn wir leben ja nicht alle im luftleeren Raum. Wir haben ja Eltern, wir haben Großeltern, wir haben Eltern, die im Konzentrationslager gestorben sind, oder Großeltern, die im Konzentrationslager gestorben sind. Wir haben viele Verwandte, die dort gestorben sind. Wir haben alle eine Beziehung zu der Zeit vor '45. Wir haben also lange noch nicht die Zeit erreicht, wo man überhaupt kein Bewusstsein mehr dafür hat.

    Heinlein: Ist es auch unerheblich, Herr Fürst, dass mit Frau Knobloch die erste Frau als Vorsitzende dann zum Zuge käme?

    Fürst: Auch das glaube ich ist im Zentralrat kein Problem mehr. Wir haben eine Vielzahl von Frauen im Direktorium, vielleicht immer noch zu wenig, die sich engagieren, ein kleiner Vorwurf an unsere Kolleginnen in den verschiedenen Stadtgemeinden, die sich doch vielleicht mehr engagieren sollten. Frau Knobloch ist aber eine gestandene Präsidentin einer großen jüdischen Gemeinde mit viel, viel Durchsetzungskraft, mit einem ganz, ganz engen Bezug zum kulturellen Leben im Judentum, zum jüdischen Kultus. Da ist eine ganz, ganz enge Beziehung da und ich glaube Charlotte Knobloch die könnte es wirklich.

    Heinlein: Eine kurze Frage noch, Herr Fürst, zum Schluss. Die große Mehrheit der Juden in Deutschland stammt mittlerweile aus Osteuropa. Doch an der Spitze des Zentralrates sind sie überhaupt nicht vertreten. Wird es Zeit, diese fehlende Repräsentanz auszugleichen?

    Fürst: Das setzt ja voraus, dass Personen da sind, die das können. Wenn Personen da wären, dann hätte man es sicherlich gemacht. Wir haben ja schon mehrfach den Versuch gestartet und sind nicht immer ganz glücklich gewesen dabei. Es gibt Personen, die in der Lage sind, im Direktorium durchaus engagiert mitzuarbeiten. Das haben wir schon gesehen. Die haben wir auch. Es ist eine Frage der Zeit, wann die ersten ins Präsidium nachrücken.

    Heinlein: Heute Morgen hier im Deutschlandfunk Michael Fürst. Er ist Vorsitzender der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen. Herr Fürst, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Fürst: Danke Herr Heinlein! Schönen Tag noch!
    Salomon Korn, stellvertretender Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland
    Salomon Korn (AP)