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Funktechnik im Bahnverkehr
Störungsfreie Zug-zu-Zug-Kommunikation

Ein Grund für technische Probleme im Bahnverkehr: die Kabelverbindungen zwischen Waggon und Triebfahrzeug sind störanfällig. Wissenschaftler arbeiten deswegen an der drahtlosen Kommunikation zwischen den Zügen. Die funktioniert zwar schon, kann aber noch nicht eingesetzt werden.

Von Simon Schomäcker |
Die Zug-Anzeige der Abfahrten im Münchner Hauptbahnhof informiert über die Verspätungen im Fernverkehr
Die Wissenschaftler möchten auch den Abstand zwischen zwei hintereinander fahrenden Zügen verringern, um so Schienenwege besser auszulasten (dpa/Matthias Schrader)
Der Aachener Westbahnhof besitzt eine weitläufige Gleisanlage. Hier verkehren aber nicht nur Güter- oder Personenzüge. Zwei 300 Meter lange Teilstrecken samt Testfahrzeugen dienen der Forschung. Für eine Gruppe Funktechnik-Experten vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist dies die perfekte Versuchsumgebung. Die Wissenschaftler möchten Daten zwischen dem Triebfahrzeug und den Waggons drahtlos übertragen. Aktuell geht das nur mit weit verzweigten Kabelbäumen. Diese münden in einer Steckverbindung am Kuppelmechanismus.
"30 bis 40 Kontakte können das sein – und die müssen zusammengebracht werden beim Kupplungsvorgang. Das ist auch etwas, was störanfällig ist, wo es Probleme immer wieder gibt", erklärt Oliver Heirich vom DLR. Die Zugteile von ICE, Regionalexpress und Co. tauschen eine Menge elektronischer Informationen aus. So lassen sich zum Beispiel defekte Bauteile schnell erkennen. Außerdem sollen sich die Fahrgäste wohl fühlen.
"Es gibt Diagnosesysteme von einzelnen Teilen des Zuges, natürlich Fahrgastinformationen, aber auch WLAN, wenn man an ICEs denkt."
Test unter realen Bedinungen
Diesen hohen Datenfluss wollen die DLR-Wissenschaftler nun sicher per Funk bewerkstelligen – im Frequenzband um 60 Gigahertz. Das sind Millimeterwellen, auf denen üblicherweise ein Radar sendet. In Zukunft soll dieses Band insbesondere für Verkehrsanwendungen dienen. Auf der Teststrecke in Aachen haben die Experten mehrere Versuchsreihen mit der Funktechnik durchgeführt:
"Das sieht so aus, dass man sich eben anguckt, unter realen Bedingungen, unter Einbaumaßnahmen, unter Bewegung, im Zugumfeld – wie breiten sich dort die Funkwellen aus, was gibt es dafür Störungen, was gibt es für Effekte."
Auf den Forschungsgleisen konnten die Experten ihre Technik unter verschiedenen Umgebungsbedingungen ausprobieren, erklärt Projektleiter Stephan Sand:
"Einmal direkt am Bahnsteig, einmal auf einem Feld und in der Nähe von Pflanzen und Büschen. Und neben diesem Testgelände verlaufen auch normale Bahnstrecken, sodass auch der Einfluss der Vorbeifahrt von einem realen Zug berücksichtigt werden konnte."
Weitere Einsatzfelder: intelligentes Kupplungsverfahren
Das Team fand heraus: Frequenzen zwischen 63 und 64 Gigahertz garantieren eine stabile, störungsfreie Verbindung. Sie eignen sich daher gut für die drahtlose Zug-zu-Zug-Kommunikation. Die Funktechnik könnte nicht nur die störanfälligen Kontaktfelder an den Waggons ersetzen. Das DLR-Forscherteam strebt auch ein automatisches Kupplungsverfahren an. Dabei soll eine intelligente Steuerung dafür sorgen, dass zwei zu kuppelnde Züge schon aus der Ferne kommunizieren. Somit können sie automatisch sicher aufeinander zufahren.
"Bei der automatischen Kupplung habe ich ja schon eine erste Verbindung, sobald ich auf eine Reichweite zwischen 50 und 100 Metern an den vorausstehenden Zug rangefahren bin. Ich muss jetzt nicht mehr, wie der Zugführer das macht, auf Sicht an den anderen Zug ranfahren und mich dann langsam hinbremsen, bis ich die mechanische Kupplung hab."
Ihre bisherigen Ergebnisse haben die DLR-Forscher bereits auf mehreren Fachtagungen und Messen vorgestellt – unter anderem auf der "Innotrans" in Berlin, der weltweit größten Bahnmesse. Nun hoffen die Entwickler, dass sich die Industrie für ihre Technik interessiert. Währenddessen haben sie bereits die nächste Vision: Die Wissenschaftler möchten den Abstand zwischen zwei hintereinander fahrenden Zügen verringern. Dadurch sollen Schienenwege besser ausgelastet werden, erläutert Stephan Sand:
"Damit diese geringeren Abstände möglich werden, brauchen wir Sensoren und Technologien, die genau wissen, wo die Züge relativ zueinander sich befinden."
Verkehrsrechtlich sind kurze Distanzen zwischen fahrenden Zügen auch noch lange nicht erlaubt. Außerdem müsste die Regeltechnik an Schienen und Signalen großflächig angepasst werden, um Störungen zu vermeiden. Die neue Zugfunktechnik ist daher nur einer von vielen Schritten in Richtung Bahnverkehr 4.0.