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Furcht vor Zöllen
Schottlands Farmer im Brexit-Chaos

Die ländlichen Regionen Schottlands plagt die Brexit-Unsicherheit. Keiner weiß, was kommt. Zölle könnten den Lamm- und Rindfleischproduzenten die Märkte verschließen. Vor allem Tierzüchter und Getreidebauern sind zudem auf EU-Subventionen angewiesen.

Von Burkhard Birke | 23.10.2019
Ein Viehhalter treibt eine Herde schottischer Hochlandrinder auf einer Landstraße
Die schottischen Rinderzüchter fürchten, nach dem Brexit nicht mehr konkurrenzfähig zu sein (imago images / GFC Collection)
Knapp 100 rötlich-braune Rinder der Rasse Salers hält Charlie Adam auf seiner Farm in Aberdeenshire. Die Wiesen sind saftig grün. Die Böden hier auf 300 bis 400 Metern Höhe in der Nähe von Alford sind recht gut, sagt der studierte Agraringenieur. Mit einem schelmischen Lächeln erzählt der 65-Jährige dann, der Duke of Edinburgh habe sich bei einem Empfang auf Schloss Balmoral entrüstet abgewandt, als er ihm erzählte, dass er die französische Rasse Salers züchte - und nicht die schottischen Angus-Rinder.
Ob Angus oder Salers: Charlie Adams Sorge gilt vor allem dem Absatz seiner Waren auf dem britischen Markt. Großbritannien kann den eigenen Rindfleischbedarf nicht decken und importiert große Mengen. Würden mit künftigen Handelsabkommen Zölle gesenkt, wäre schottisches Rindfleisch nicht mehr konkurrenzfähig, befürchtet Adam:
"Statt irisches Fleisch zu einem Preis von 3,30 Pfund je Kilo würden wir dann wohl brasilianisches oder argentinisches Fleisch für 2,10 Pfund importieren. Das schottische Rindfleisch verkaufen wir derzeit zu 3,40 Pfund, bräuchten aber eigentlich 3,80 Pfund. Momentan können wir Schotten etwas teurer als die Iren und als der Rest in Großbritannien verkaufen. Wenn der Markt aber mit billigem Fleisch überschwemmt wird, können wir nicht mehr 3,40 Pfund je Kilo verlangen. Das sieht schlecht aus."
Ein schottisches Angus-Hochlandrind auf der Weide
Ein schottisches Angus-Hochlandrind auf der Weide (picture alliance/ robertharding/ Anne and Steve Toon)
Lammzüchter in Not
Noch schlimmer träfe es wohl die Lammzüchter. Käme es jemals zu einem Austritt Großbritanniens ohne Vertrag würden auf einen Schlag die WTO-Regeln greifen und mehr als 50 Prozent Zölle auf Lammfleisch erhoben. Fleisch, das vor allem nach Frankreich exportiert wird.
"Wenn die Franzosen dann weiterhin nur 80 Pfund für ein Lamm zahlen, blieben dem Züchter nur noch 50 Pfund. Die Regierung hat zwar 150 Millionen Pfund Kompensation für alle Lammzüchter in Aussicht gestellt. Das wären 7 Pfund pro Lamm, die nicht einmal ein Viertel des Verlustes wettmachen würden. Das klingt alles sehr pessimistisch, aber das ist ein mögliches Szenario."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Schottland und der Brexit - Risse im Königreich.
Seit Monaten macht sich Charlie Adam Gedanken über mögliche Szenarien des Brexits. Schließlich wurde er zum Vizepräsidenten der "National Farmers Union" in Schottland gewählt. Darin sind 8.500 Bauern organsiert, etwa die Hälfte der in Schottland ansässigen Farmer.
Zwei Lämmer stehen an einem Klippenrand auf den schottischen Shetland-Inseln
Käme es zu einem Brexit ohne Vertrag würden auf einen Schlag die WTO-Regeln greifen und mehr als 50 Prozent Zölle auf Lammfleisch erhoben (picture alliance/ blickwinkel/ A. Sailer)
Geldtöpfe stehen auch in Brüssel
Charlie Adam trägt ihre Sorgen und Nöten auch der Regierung vor. Heftige Kritik gibt es immer wieder am Sinn und Unsinn der EU-Agrarpolitik. Bei aller Unsicherheit in der derzeitigen Lage hoffen doch viele Bauern, dass der Brexit ihnen weniger Bürokratie und eine auf ihre Bedürfnisse besser ausgerichtete Politik beschert.
In Schottland fällt die Agrarpolitik in die Zuständigkeit der Regionalregierung in Edinburgh, die aber wiederum die Gelder teilweise von London beziehungsweise Brüssel erhält. Als Minister für Verfassungsfragen ist der schottische Nationalist Michael Russell auch für den Brexit zuständig: "Das Lammfleisch aus Schottland und Wales könnte unverkäuflich werden. Kurzfristig könnten wir wahrscheinlich helfen und einige Agrarprodukte in Schulen und Krankenhäuser umleiten. Langfristig wird das aber nicht funktionieren."
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Noch größere Probleme bereitet jedoch derzu erwartende Wegfall der EU-Subventionen, glaubt Bauernverbandsvizepräsident Charlie Adam: "Letztes Jahr hatte zum Beispiel die schottische Landwirtschafts-GmbH Einkünfte von 672 Millionen Pfund. Davon kamen 502 Millionen in Form von Subventionen fast ausschließlich aus der EU. Das zeigt unsere Abhängigkeit, vor allem Tierzüchter und Getreidebauern benötigen diese Gelder."
Zu drei Viertel stammt das Einkommen der Bauern also aus Brüsseler Töpfen. Was passiert in Zukunft, wenn Großbritanniens EU-Austritt wirksam wird? Minister Michael Russell sagt: "Großbritannien hat die Subventionen bis zum Jahr 2021 garantiert. Wir wissen nicht was danach passiert. Es geht aber nicht nur um Agrarsubventionen, obwohl die enorm wichtig sind, aber der Zufluss aus Regionalfondsgeldern ist praktisch schon zum Erliegen gekommen."
Farmer Charlie Adam hält eine Handvoll Getreidekörner in die Kamera
Farmer Charlie Adam ist Vizepräsidenten der "National Farmers Union" in Schottland (Deutschlandradio/ Burkhard Birke)
Sehnsucht nach Klarheit
Beides trifft die ländlichen Gegenden Schottlands hart. 67.000 Menschen arbeiten direkt in der Landwirtschaft. Bis zu 360.000 weitere Jobs hängen indirekt an Agrarprodukten – etwa die Produktion des berühmten schottischen Malz-Whiskys.
Auf einem Großteil der von ihm bewirtschafteten 170 Hektar baut Charlie Adam Gerste an. Jene Getreidesorte also, die in den Destillerien zum "Wasser des Lebens" verarbeitet wird, so die Übersetzung des keltischen Wortes Whisky.
Dieses Jahr hat der Regen jedoch die Ernte teilweise bis tief in den Oktober verschoben. Die Brexit-Unsicherheit hat zudem die Getreideexporte vielerorts zum Erliegen gebracht. Die Scheunen sind prall gefüllt, die Preise im Keller. Beides steigert nicht gerade die Stimmung bei den Bauern. Charlie Adam wünschte sich in dieser Lage vor allem eines: Klarheit!
"Die meisten Farmer sagen: Lasst uns den Brexit hinter uns bringen. Wir mögen die Unsicherheit nicht. Für mich persönlich ist die Desinformation das Schlimmste am Brexit. Da wird regelrecht gelogen. Einige Leute stellen ihre politischen Interessen über die Interessen des Landes."