Sierra Leone Beinamputierte Fußballer wollen zur WM
In Sierra Leone wütete elf Jahre lang ein Bürgerkrieg. Auch Kinder und Jugendliche waren den Schüssen ausgesetzt. Zehntausende konnten nur durch die Amputation von Armen oder Beinen gerettet werden. Einige der Betroffenen haben später eine Fußballmannschaft der Beinamputierten gegründet.
Das erste internationale Beinamputierten-Fußballturnier fand 2007 in Sierra Leone statt. (picture-alliance/ dpa)
Es regnet und der Wind weht an diesem Samstagmorgen am Sandstrand von Freetown. Eine Gruppe von rund 20 jungen Männern und Frauen, singt - wie jede Woche - vor dem gemeinsamen Fußballspielen.
Bei der Besprechung vor der Trainingseinheit legen viele dieser einbeinigen Spieler den Stumpf des amputierten Beines zur Entspannung auf dem Griff der Gehstütze ab. Im Alltag nutzen sie die Stütze zum Gehen. Gleich aber wird sie ihnen beim Sprinten und Dribbeln durch den Sand helfen.
"Amputiertenfußball wird mit 7 gegen 7 gespielt. Das hier ist quasi die Nationalmannschaft von Sierra Leone. Mit den Gehstützen balancieren sich die Spieler. Den Ball dürfen sie damit aber nicht berühren, das wäre sozusagen Handspiel. Und die Torwarte haben zwar zwei Beine, sind dafür armamputiert. Und sie dürfen ihre Torzone nicht verlassen", erklärt Trainer Albert Manley Mustapha, den sie hier Wizzy nennen: "Das sind die Regeln des Weltverbands des Amputiertenfußballs. Wir haben auch schon bei Weltmeisterschaften teilgenommen. In Brasilien zum Beispiel. Die nächste WM ist in diesem Jahr in der Türkei. Afrika hat nur vier Plätze. Aber wir haben gute Chancen."
Blick auf den Tokeh Beach nahe Freetown in Sierra Leone. (AFP / ISSOUF SANOGO)
Der Traum: Für Sierra Leone zur WM
Die WM-Teilnahme ist das große Ziel für dieses Team. Sierra Leone gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Behinderte Menschen haben hier kaum Chancen auf ein Leben ohne finanzielle Sorgen. Die Kosten für ihre Gesundheitsbehandlungen übernimmt zwar der Staat, für mehr reicht das Geld aber nicht. Vorurteile gegen Menschen mit Behinderungen machen auch das Arbeitsleben hier schwierig. So erzählt es Aruna Thullah, Präsident der Amputiertenfußballvereinigung und Verteidiger in der Mannschaft:
Einige halten uns für unbedeutend. Aber wir sehen uns nicht als Nutzlose. Wir wollen kämpfen. Behinderung heißt nicht, dass wir nichts können. Das Gefühl, behindert zu sein, haben wir hier über Bord geworfen. Wir sehen uns als Menschen, die Fähigkeiten und Stärken haben. Immer wieder sind Bekannte verwundert und fragen mich, ob ich Fußball spiele. Einige können das nicht glauben, weil ich nur ein Bein hab. Und dann kicken wir manchmal zusammen. Ich spiele im Mittelfeld und in der Abwehr. Ich bin energisch und kräftig, da liegt mir das Defensive.
Eine Woche ohne Arzt
Aruna Thullah arbeitet heute als Lehrer. Wie fast alle im Team hat er seine Verletzung als Kind im Bürgerkrieg davongetragen:
"Das war 1996 und 97, ich war ungefähr zehn Jahre alt. Die Rebellen stürmten unser Dorf, wir mussten in den Dschungel flüchten, eine Streukugel hat mein Bein getroffen. Ich habe mich eine Woche lang versteckt gehalten. Erst dann konnte ich einen Arzt aufsuchen. Seine Diagnose: Nur die Amputation meines Beines konnte mir das Leben retten."
Elf Jahre dauerte der blutige Bürgerkrieg, der aus dem Nachbarland Liberia nach Sierra Leone gekommen war. Es ging um die Macht und Diamantenvorkommen, mit denen sich die Rebellengruppen auch jahrelang finanzierten. Sie machten Kinder zu Soldaten, schossen aber auch auf Minderjährige, als Vergeltungsschläge gegen den Widerstand der etablierten Kräfte.
"Ich bettle tagsüber"
Durch das Eingreifen internationaler Truppen endete der Krieg im Januar 2002. Die bittere Bilanz: Um die 70.000 Todesopfer, 2,6 Millionen Menschen hatten ihr Zuhause verloren, noch mehr wurden verwundet. Vor allem die zehntausenden Amputierten waren und sind weitgehend auf sich allein gestellt.
"Heute ist es für mich schwer, genug Essen zu finden. Ich bettle tagsüber", sagt der 38-Jährige Maxwell Kallon. Er hatte während des Krieges studiert und wollte Künstler werden. Stattdessen wurde er Opfer der Gewalt:
"Im Januar 1999 kamen die Rebellen in unseren Ort, brannten unser Haus nieder und schossen mir ins Bein. Meine Mutter hatten wir in Sicherheit gebracht. Die meisten meiner Verwandten starben. Dann gab es niemanden mehr, der mir helfen konnten."
Chronischer Geldmangel
Die Busfahrt an die Küste von Freetown kostet Maxwell Kallon 15.000 Leonen, ungefähr ein Euro. Die Woche über sammelt er das Geld zusammen, damit er samstags hier am Sandstrand sein und Fußball spielen kann. Dabei fällt er durch seine Schnelligkeit und Technik auf.
"Manchmal spiele ich auf der 9, manchmal auf der 7. Vorne. Ich mache die Tore. Und dann jubeln sie: Oooh, Kallon hat es wieder gemacht!"
Den amputierten Fußballern von Sierra Leone mangelt es chronisch an Geld und anderer Unterstützung. Deshalb müssen sie mit ihren Gehstützen im Sand trainieren – einen anderen Platz gibt es für sie nicht. Wizzy, der Trainer, ist ständig auf Sponsorensuche:
"Da drüben wollen wir einen Sonnen- und Regenschutz bauen. Ein Wochengehalt eines Bundesligaspielers – das würde hier viele unserer Probleme lösen. Dann könnten sich unsere Spieler die Anreise zum Training und zu Turnieren leisten."
Seltene Chance
Vor kurzem hat Wizzy einen neuen Geldgeber gefunden. Ein hoher Beamter aus der Regierung, der sich auch privat für die Mannschaft einsetzt. Berlindo heißt er, steht am Straßenrand und sieht der Truppe zu:
"Ich finde das so inspirierend. Man sieht diese jungen Menschen, die alle möglichen Probleme haben. Aber sie wollen mit den Karten, die ihnen das Leben gegeben hat, einfach spielen. Sehen Sie sich die Spieler an, wie sie mit einem Bein in die Luft springen und ihre Balance halten. Viele könnten das mit zwei Beinen nicht. Es zeigt, was Menschen erreichen können, wenn sie wollen."
Berlindo hofft jetzt, dass die WM-Qualifikation gelingt und noch weitere Sponsoren gefunden werden. Dann stünden diese Spieler, die so oft zu den Verlierern der Gesellschaft gehören, wieder vor einer seltenen Chance: Sie würden Sierra Leone in der Welt vertreten.