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Fussball und Politik

01.07.2002
    Capellan: Aus der Traum. Die Wunder von Bern gibt es eben nicht immer wieder, jedenfalls nicht in Yokohama. Kopf hoch, Jungs!, hat der Kanzler gesagt. Ganz Deutschland ist stolz auf die Nationalmannschaft. Ganz Deutschland? Am Telefon Kabarettist Dieter Hildebrand. Sind Sie auch stolz?

    Hildebrandt: Na ja, ich bin aufgefordert worden. Ich war gestern während des Spiels im Zug, und da wurden ja immer wieder die Ergebnisse mitgeteilt. Das hat ja auch fortschreitende Wirkung. Und die Dame, die das Ergebnis mitteilte - Deutschland verlor also mit 2:0 -, sagte gleich anschließend, pädagogisch, wie man bei uns geworden ist, über die Zugansage, wir sollten aber stolz sein auf unsere Mannschaft, sie hätte viel geleistet. Es ist schön, dass man mir das auch gesagt hat. Ich bin natürlich auch stolz. Wer ist denn nicht stolz?

    Capellan: Aber Sie haben das Spiel nicht am Fernsehen miterlebt. Kann man sich das als guter Deutscher erlauben?

    Hildebrandt: Ich habe die erste halbe Stunde miterlebt, und dann musste ich das Spiel verlassen, und fuhr mit dem Gefühl weg, dass die eigentlich sehr gut gespielt haben, und dass es möglich gewesen wäre, ein Tor zu schießen, aber dann muss sich das gedreht haben.

    Capellan: Eigentlich wären wir wieder wer gewesen, so wie damals 1954, als alles wieder bergauf ging, wenn der Olli Kahn beim ersten Tor richtig zugepackt hätte. Hat er uns den Aufschwung vermasselt?

    Hildebrandt: Also ich weiß es nicht. Der Volksauftrag, den er hatte, durch die Bild-Zeitung übermittelt, war ja auch sehr groß. Die hatten Masken vorgeschlagen; man musste ihn ausschneiden, und dann: Wir wollen alle Olli sein. Das stand dahinter. Das war natürlich schon ein bisschen stark. Und dann der nie daneben greifende Kahn mit diesem Gesicht, das auf die Stürmer abschreckend ist, und der immer größer wird im Tor und so, das musste zu einem Fehler führen. Das war also pädagogisch ganz falsch, was wir mit ihm gemacht haben. Jetzt hat er uns ein Tor reingelassen, und jetzt ist er natürlich erschüttert. Ich bin eigentlich gar nicht so erschüttert, weil ich seit Paraguay der Meinung gewesen bin, dass diese Mannschaft sehr weit gekommen ist. Also ich bin, wie die Dame im Zug gesagt hat, doch sehr stolz auf diese Mannschaft.

    Capellan: Nun hat ja Fußball überhaupt nichts mit Politik zu tun, das wissen wir alle. Und trotzdem hat unser Wirtschaftsminister Werner Müller gesagt: Wenn wir gewonnen hätten, dann wäre das gut gewesen für den Aufschwung. Das hat er vor dem Spiel gesagt.

    Hildebrandt: Jetzt haben wir einen Abschwung, oder?

    Capellan: Ja, und Herr Schröder verliert jetzt die Wahl?

    Hildebrandt: Also ich weiß nicht, wessen Mannschaft gestern verloren hat, weil der Stoiber ja auch da war. Jetzt hat die Mannschaft für beide verloren, und vielleicht ist es für beide ganz schlecht, dass sie verloren hat. Vielleicht wird jetzt der Stoiber noch vorher umbesetzt.

    Capellan: Vielleicht wird der Stoiber jetzt nur Kanzler, weil die Deutschen nur Vizeweltmeister geworden sind.

    Hildebrandt: Wer hat eigentlich die Reise bezahlt? Das ist mir immer noch nicht ganz klar. Der Schröder wurde mitgenommen von seinem japanischen Freund?

    Capellan: Ich kann Ihnen das sagen. Edmund Stoiber hat selbst gesagt, er ist nicht als Kanzlerkandidat und nicht als CSU-Vorsitzender nach Japan geflogen, sondern als großer Freund des deutschen Fußballs und als Verwaltungsratvorsitzender des FC Bayern München, und dann hat ihn der DFP eingeladen und den Flug spendiert. Also da sage noch einer, Fußball habe etwas mit Politik zu tun.

    Hildebrandt: Ich dachte, er hätte einen Kredit von der Bayrischen Landesbank aufgenommen. Na ja, also irgendjemand hat es ihn bezahlt, er hat es nicht aus eigener Tasche bezahlt, das finde ich auch... Ich finde es schön, dass er da gewesen ist. Die Jungs haben natürlich dadurch viel besser gespielt. Die sollen ja sehr gut gewesen sein. Also in der ersten halben Stunde fand ich das hervorragend. Übrigens, von wegen mit Politik nichts zu tun haben, sie haben schon alle gesagt: Es wäre eigentlich gut für die Weltwirtschaft, wenn Südkorea oder Japan gewinnt. Und da habe ich schon gedacht, es wird jetzt über die Schiedsrichter so gelenkt, dass das passiert. Und Südkorea kam ja auch sehr weit nach vorne, und die Linienrichter müssen vielleicht irgendwie... Also ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.

    Capellan: Sie haben den Olli Kahn mehrfach angesprochen. Aber die Überschrift "Kahn macht Stoiber zum Kanzler" würden Sie nicht unterschreiben wollen?

    Hildebrandt: Nein, dann hätte er den Fehler nicht gemacht. Dann müsste der Kahn, wenn er diesen Fehler bewusst gemacht hätte, umgesprungen sein, und irgendjemand hat ihm gesagt: Mach den Stoiber nicht zum Kanzler. Und da hat er den Ball reingelassen, oder ich weiß nicht, wie das zusammenhängt.

    Capellan: Also Oliver Kahn muss nicht befürchten, dass er jetzt vielleicht CSU-Ehrenmitglied wird?

    Hildebrandt: Ich weiß nicht, was jetzt passieren wird, nachdem dieses Spiel verloren worden ist. Aber gestern waren sie alle so laut und so stolz und so betrunken, und wir hatten hier in Bamberg ein Open-Air Konzert. Es war wirklich grauenhaft. Die fuhren mit ihren Autos vorbei und hupten. Sie dürfen ja sonst nicht hupen. Also haben sie dieses zum Anlass genommen. Ich weiß nicht, sie haben diese Niederlage gestern wie einen Sieg gefeiert. Also wird es wahrscheinlich doch zugunsten von Stoiber ausgehen.

    Capellan: Schröder war, so hatte man den Anschein, doch ein bisschen sauer, dass das mit der Wahlkampfunterstützung nicht so geklappt hat. Beim Festbankett der deutschen Nationalmannschaft hat Gerhard Schröder gesagt: Ich spreche heute auch im Namen von Edmund Stoiber, damit es mit dem Reden nicht zu lange wird. Das war aber das einzige Mal, dass ich auch in seinen Namen rede. Darf sich eigentlich ein Kanzlerkandidat so etwas gefallen lassen?

    Hildebrandt: Ich weiß nicht, was im Hintergrund passiert ist, aber es muss noch alles entwirrt werden, weil der Wahlkampf jetzt weitergeht. Wahrscheinlich bis zum September werden wir alle mit den Fahnen herumlaufen, denn die müssen ja irgendwie bewegt werden. Der Vergleich ist so schön: Wenn der Stoiber gewinnt, fahren sie dann auch mit den Autos durch die Stadt und hupen? Oder nehmen sie vielleicht auch die bayrische Fahne? Das könnte ja auch sein.

    Capellan: Sie haben gerade über das Spiel gesprochen. Es war ja gestern gar nicht so schlecht. Vorher haben alle geschimpft über Rudis Rumpeltruppe, die sich da so ins Finale geschummelt haben, und da haben die anderen ganz stolz gesagt: Hier zeigen sich wieder die deutschen Tugenden: Pflichtbewusstsein, Kampfgeist, Arbeitseinsatz. Das war ja auch dem Oliver Kahn in der Zeitlupe immer ins Gesicht geschrieben. Aber ausgerechnet im Endspiel haben sie kräftig gezaubert. Muss man jetzt sagen: Selbst Schuld? Wären sie bei ihren Tugenden geblieben?

    Hildebrandt: Ich nehme an, dass die Spielweise der Deutschen die Brasilianer so aufgestachelt hat, dass sie noch besser gespielt haben, als sie sonst gespielt hätten. Das könnte der Fehler gewesen sein. Wenn sie weiter so gespielt hätten wie gegen Paraguay, dann wären die Brasilianer langsam eingeschlafen, und dann hätte man ein Tor schießen können, aber so, ich weiß es nicht. Der Bode war gestern zwei oder dreimal vor dem Tor, und ich dachte, ich fahre jetzt weg, und fahre mit einer beruhigenden 1:0 - Führung nach Bamberg. Aber sie haben über ihre Verhältnisse gespielt, das stimmt schon. Erstaunlich.

    Capellan: Sie sind auf Tournee in Bamberg. Wenn jetzt durch diese Weltmeisterschaft diese Wahl entschieden sein sollte, ist es für Sie als Kabarettist auch ein bisschen blöd, oder?

    Hildebrandt: Das habe ich jetzt nicht verstanden.

    Capellan: Wenn die Bundestagswahl schon entschieden sein sollte durch diese Fußballweltmeisterschaft und Stoiber Kanzler werden sollte, dann geht Ihnen vielleicht der Stoff aus.

    Hildebrandt: Aber hören Sie mal, die Vorstellung, dass man durch ein verlorenes Endspiel eine Wahl gewinnt, ist doch sehr merkwürdig. Wer soll denn durch ein verlorenes Spiel gegen Brasilien in Deutschland die Wahl gewinnen? Können Sie mir dann ein Tipp geben? Ach so, Sie meinen, eventuell der Möllemann. Das könnte natürlich sein, dass er jetzt eventuell 38 Prozent statt 18 Prozent bekommt. Davon abgesehen, haben wir immer genügend Stoff.

    Capellan: Wo geht es heute hin?

    Hildebrandt: Ich fahre weiter nach Wiesbaden. Wir haben dort im Kurhaus ein Konzert.

    Capellan: Viel Spaß. Danke Ihnen.