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Fussballexperte fordert mehr deutsche Spieler in der Bundesliga

Birke: Das Aus der deutschen Nationalmannschaft. König Fußball regiert Europa, die Europameisterschaft ist im Moment in Portugal und Fußball regierte lange Zeit sein Leben, jetzt regiert er mit als Wissenschafts- und Bildungssenator in Bremen. Ich begrüße in den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk den langjährigen Werder Bremen Manager Willi Lemke. Schönen guten Morgen.

    Lemke: Guten Morgen, Herr Birke.

    Birke: Herr Lemke, fehlten einige Bremer Spieler im Kader, hatten wir zu wenig Bremer Spieler, hätten wir Ailton vielleicht einbürgern müssen, um erfolgreich zu werden?

    Lemke: Ja, da ist schon ein bisschen was Wahres dran. Wenn man nun heute sehr traurig und enttäuscht ist, dann wird aber bei der Analyse übrigbleiben, dass wir im Konzert der Großen momentan mit der Spielstärke, die wir in unserer Mannschaft haben nicht mithalten können. Ganz einfach ist es das Fazit, wenn Sie sich angucken, wie andere Mannschaften bestückt sind, da können wir nicht gegenhalten und deshalb ist es auch keine Sensation, dass wir gestern ausgeschieden sind. Es ist für uns alle unheimlich enttäuschend, weil eine Fußballeuphorie im Augenblick in unserem Land ist, wie es ja beispiellos ist. Das merkt man ja am Arbeitsplatz, in den Straßenbahnen, in den Bussen, überall gibt es nur ein einziges Thema, natürlich auch bei mir in den Schulen und Hochschulen, überall wo ich hinkomme werden wir drauf angesprochen. Das ist einerseits phantastisch, andererseits hält die Mannschaft, unsere Mannschaft nicht mit, das hat verschiedenen Ursachen, natürlich liegt es unter anderem daran, dass wir nicht mehr den Straßenfußball haben, den wir früher gehabt haben. Fußball ist eine von vielen Freizeitmöglichkeiten unserer Jungen, aber nicht die zentrale und außerdem wird auch die Frage gestattet sein, ob es den richtig ist, dass wir in der Bundesliga zum Teil mit Mannschaften antreten, in denen noch ein oder zwei deutsche Profis spielen. Das hat mit Sicherheit auch etwas damit zu tun, dass die Nationalmannschaft derartig schwach besetzt ist. Das müssen Sie sich ja vorstellen wie in einem großen Konzertsaal, wenn da der Stardirigent Rudi Völler heißt und er hat aber ein Orchester vor sich mit Solisten, die zum Teil gerade aus dem Jugendsinfonieorchester gekommen sind, da hat er die besten Talente, die sind auch schon klasse und haben gestern auch schon Akzente gesetzt, aber trotzdem wird er nicht Weltklasseleistung oder europäische Spitzenleistung erbringen, weil die Solisten nicht vorhanden sind. Das heißt, man kann Rudi Völler das gar nicht vorwerfen, sondern ...

    Birke: Rudi Völler sollte also Ihrer Meinung nach, Herr Lemke, Trainer bleiben, oder Teamchef bleiben?

    Lemke: Ja, klar. Sie können da jetzt auch einen anderen Weltklassetrainer hinsetzen, die Solisten, die dort das Orchester bilden, die werden dadurch in ihrer Einzelleistung nicht besser. Ich glaube, er ist sehr, sehr anerkannt bei den Spielern, das weiß ich aus langjähriger Erfahrung, er hat einen unheimlichen Stellenwert in der Mannschaft und ich glaube auch, dass er der richtige Mann ist für diesen Job. Nur, der beste Stardirigent kann nichts damit anfangen, wenn seine Solisten nicht auf absolutem Spitzenniveau spielen.

    Birke: Kann man die Schuld wirklich so einseitig den Solisten, den Spielern, den Individualisten dann zuschieben? Denn Aufgabe eines Orchesterdirigenten ist es eben doch auch, das Gesamtwerk zu vollbringen und eben eine Einheit zu bilden und das scheint doch Rudi Völler ja nicht gelungen.

    Lemke: Das ist völlig richtig, was Sie sagen, er muss eine Einheit bilden. Ich habe gestern auch eine Einheit gesehen, aber es waren zu wenig Weltklassespieler dabei. Gucken Sie sich doch unsere Mannschaft an und vergleichen Sie diese Mannschaft mit der niederländischen Mannschaft, mit der tschechischen Mannschaft, mit den Franzosen, mit den Engländern, mit den Portugiesen. Überall haben sie eine Vielzahl von absoluten Weltklassespielern und jetzt sagen Sie mir einmal in unserer Mannschaft fünf Spieler, die Sie unter der Rubrik Weltklasse eingruppieren würden, da fallen Ihnen vermutlich keine fünf Weltklassespieler ein. Die finden sie aber in den gegnerischen Mannschaften und das ist das Entscheidende. Natürlich haben Sie Recht, dass man mal in einem Spiel durch eine mannschaftliche, - das ist übrigens der Sinn auch, das ist der Hintergrund von Pokalsensationen -, in einem Spiel kann man mal so ein Ding umbiegen, aber in einem langen Prozess, drei Spiele sind ja schon ein mittelfristiger Prozess und wenn man dann gegen Holland nur ein Unentschieden erreicht und gegen die Letten nur ein Unentschieden und gegen die B-Elf von den Tschechen hier 2:1 verliert, dann ist es völlig normal und völlig richtig, dass die Mannschaft gestern nach Hause geschickt worden ist.

    Birke: Also, ein verdientes Ausscheiden Ihrer Meinung nach? Tun wir nicht genug für den Nachwuchs in der Bundesrepublik?

    Lemke: Das habe ich eben angedeutet. Fußball ist nicht die zentrale Freizeitbeschäftigung unserer Jungen, ich erlebe das jeden Tag, auch wenn ich mir den Schulsport angucke. Es gibt eine Vielzahl von Alternativen, leider auch die nichts mit Sport zu tun haben, die Neuen Medien, die Beschäftigung am Computer mit Computerspielen, die Fernsehberieselung von nachmittags bis nachts, das ist alles kontraproduktiv. Ich kenne das noch von früher, dass wir eben auf der Straße Fußball gespielt haben. Kein Kind spielt heute mehr auf der Straße Fußball, sondern wir haben eine sehr, sehr verwöhnte Nachwuchsgeneration, die haben nicht den Ehrgeiz der Jugendlichen anderer Nationen, die sagen, im Fußball erfüllt sich für mich ein Lebenstraum, daran arbeite ich mit großer Härte, mit täglichem stundenlangen Training, nur so kann man dann letztendlich zu den ganz großen Erfolgen kommen. Das gibt es nicht und außerdem habe ich angedeutet und da stehe ich auch dazu, ich frage mich, ob es richtig ist, dass wir es eben hinnehmen, dass wir noch mit ein oder zwei deutschen Spielern in den Anfangsformationen in der Bundesliga spielen in unseren Vereinen, da muss man überlegen, ob das nicht gegebenenfalls korrigiert werden muss.

    Birke: Das heißt, Sie würden vielleicht für eine Mindestzahl an deutschen Spielern plädieren in der Liga?

    Lemke: Das muss zumindest von den Verantwortlichen in den Gremien nach diesem erneuten Debakel diskutiert werden. Ich glaube, dass es so ein Alarmsignal war von gestern Abend. Das schreit quasi danach, den Nachwuchs deutlich zu stärken. Wir tun vieles im Deutschen Fußball ...

    Birke: Was tun Sie denn als Bildungssenator, in Bremen haben Sie ja gewissen Einfluss, was tun Sie denn konkret auch zur Förderung des Breitensports, auch des Fußballs?

    Lemke: Das sind natürlich zwei ganz unterschiedliche Fragen. Den Breitensport fördern wir durch eine enge Kooperation mit den Vereinen, zum Teil haben wir bis zu fünf Stunden Sport pro Woche in den Schulen, nicht nur von Lehrern gegeben, sondern im Personalmix unter Einbeziehung der Vereine. Aber, das ist ein Punkt, das betrifft den Breitensport, damit die Kinder sich nicht nur gesund ernähren sondern auch gesund bewegen und dem Sport zugefügt werden. Ich kann unmöglich als Bildungssenator sagen, so Leute, wir vergessen alle anderen Sportarten und jetzt wird nur noch ein Schwerpunkt auf Fußball gelegt, da würde ich ja ausgelacht werden bundesweit, das geht nicht. Wir haben viele, viele andere Sportarten, die auch entsprechend vorstellig werden und ich kann ja überhaupt nicht sagen, jetzt wird nur noch ein Fußballschwerpunkt gesetzt, das geht gar nicht, sondern das muss von den Vereinen kommen. Da muss viel mehr der eigenen Jugend eine Chance gegeben werden und ich würde auch dafür plädieren, dass eine Bundesligamannschaft eine gewisse Anzahl von deutschen Spielern nicht nur in ihrem Kader sondern auch in der Formation haben muss zum Schutze des eigenen Nachwuchses. Hier ist es so, dass immer im Zweifel einem erfahrenen Profi, egal ob er jetzt aus Afrika kommt oder aus Osteuropa oder aus Lateinamerika, immer der Vorzug gegeben wird gegenüber einem jungen, talentierten deutschen Spieler, weil man sagt, nein, der ist noch nicht so weit, der kann das noch nicht, der bringt das noch nicht, weil die Trainer so unter unglaublich starkem Druck stehen, dass sie jedes einzelne Spiel immer wieder gewinnen müssen und unter ständigem Druck stehen, den sie nur damit kompensieren, dass sie sagen, ich nehme dann lieber einen älteren Spieler aus den genannten Ländern, die sind hungrig, die wollen hier unbedingt ihr ganz großes Geld verdienen in der Fußballbundesliga und das kann man ja hier verdienen, wie wir wissen und da ist es eben zum Schaden des deutschen Nachwuchses.

    Birke: Herr Lemke, abschließend ganz kurz noch die Frage, ist das Resultat da in Portugal auch Spiegelbild des Generalzustandes unserer Gesellschaft? 1954 wie Phoenix aus der Asche und jetzt diese ganze Lethargie, Larmoyanz?

    Lemke: Darüber kommt man manchmal wirklich ins Grübeln. Dieser Zusammenhalt der Weltmeisterelf von 54 im Vergleich zu dem Auftreten unserer Mannschaft gestern Abend, nicht was die Geschlossenheit angeht, auch gar nicht den Siegeswillen, da hat Rudi Völler völlig Recht, ich glaube schon, dass sie völlig richtig eingestellt waren, aber sie konnten gestern nicht besser spielen. Dann haben sie natürlich auch noch ein bisschen Pech gehabt, wenn der Ballack-Schuss in der zweiten Halbzeit ins Tor geht, geht das gestern völlig anders aus, aber Wenn und Aber ist nicht. Ich glaube, darüber muss man auch nachdenken, ob wir noch ehrgeizig genug sind, ob wir noch bereit sind, die Ärmel wirklich hochzukrempeln, wenn es mal nicht so gut läuft, oder ob wir nur in Larmoyanz verfallen. Diese Gedanken, die teile ich, darüber müssen wir wirklich einmal ernsthaft nachdenken.

    Birke: Kein Glück und viel Pech gehabt, die deutsche Elf ist ausgeschieden in Portugal bei der Europameisterschaft im Fußball. Das war Willi Lemke, Bildungssenator in Bremen und langjähriger Werder Bremen Manager, recht herzlichen Dank für dieses Gespräch.

    Lemke: Da nicht für, tschüß.