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Fußballnachwuchs in der Bundesliga
Kaum deutsche Spieler unter den Stars

Reyna und Bellingham beim BVB, Musiala und Davies beim FC Bayern: Teenager, die Weltstars werden. Unter deutschen Spielern ist das rar, Spielertypen wie Zentrumsstürmer oder Außenverteidiger gibt es auch kaum. Der DFB hat Ideen, das zu ändern. Ob die Klubs mitziehen, ist aber unklar.

Von Daniel Theweleit | 25.10.2020
Die Dortmunder Jungstars Giovanni Reyna (17) und Erling Haaland (19)
Die Dortmunder Jungstars Giovanni Reyna und Erling Haaland (Renate Feil/M.i.S./imago)
Max Eberl spricht gerne schnell und viel. Aber der Monolog, zu dem der Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach vor einigen Tagen ansetzte, als er auf die Entwicklung junger Spieler in Deutschland angesprochen wurde, war selbst für seine Verhältnisse ausführlich und tiefgreifend.
"Das ist eine Thematik, die uns schon länger verfolgt, dass wir keine Mittelstürmer haben, Außenverteidiger weniger werden. Ich glaube, dass wir im Fußball mit diesem Weg, den wir 2000 eingeschlagen haben, es geschafft haben, sehr, sehr gute Fußballer zu entwickeln. Die sehr häufig im Zentrum sind, wir haben sehr offensivstarke Spieler kreiert und haben dabei gemerkt, dass wir eigentlich weniger Verteidiger haben. Innenverteidiger gibt es nicht mehr so viele Außenverteidiger gibt es nicht mehr so viele, diesen klassischen Mittelstürmer".
Eberl sagt das nicht anklagend, er bezieht seine Gladbacher explizit mit ein in die Verantwortung für die Entwicklungen, die unter anderem dazu führen, dass die deutschen Auswahlmannschaften im Juniorenbereich international etwas den Anschluss verloren haben. In der Youth League, der Nachwuchsklasse der Champions-League-Teams hat es seit der Gründung 2013 nur zweimal ein deutsches Team bis ins Halbfinale geschafft.
Fußball 1. Bundesliga 25. Spieltag Borussia Mönchengladbach - Bayern München am 19.03.2017 im Borussia-Park in Mönchengladbach Max Eberl ( Sportdirektor Mönchengladbach )
Max Eberl, Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach (Revierfoto)
Eberl benennt weitere Probleme: "Man kriegt es ja mit, die Nachwuchsleistungszentren holen englische Jungs, französische Jungs, portugiesische Jungs, damit nehme ich uns ja nicht aus. Wir holen ja auch ausländische Toptalente", benennt Eberl ein weiteres Problem und fordert:
"Aber vielleicht muss man sich da Gedanken machen, dass man die Anzahl reguliert. Dass man eben nicht unzählige Ausländer in seinem Kader hat, sondern da auch Begrenzungen einführt, um den deutschen Jungs die Möglichkeit zu geben."
Dieser Vorschlag wurde vom DFB geprüft, ist aber "leider Gottes so in der Form nicht umsetzbar", kommt Joti Chatzialexiu, der sportliche Leiter der Nationalmannschaften beim DFB zu der ernüchternden Erkenntnis:
"Es ist ein Geschäftsmodell geworden, Spieler aus dem Ausland zu holen und später mit einer gewissen Rendite auch zu verkaufen. Es war ja so, dass man früher ausschließlich in der nahen Umgebung gescoutet hat, jetzt ist das schon Europa und Weltweit, ich glaube damit müssen wir uns abfinden. Diese Schraube können wir nicht mehr zurückdrehen. Insofern müssen wir unsere Spieler auf diese Konkurrenz besser vorbereiten. Dann werden sie auch wieder diese zentralen Positionen besser einnehmen."
Wolfsburg's French defender Maxence Lacroix (L) and Leverkusen's German forward Florian Wirtz vie for the ball during the German first division Bundesliga football match VfL Wolfsburg v Bayer Leverkusen in Wolfsburg, northern Germany, on September 20, 2020. (Photo by Ronny Hartmann / AFP) / DFL REGULATIONS PROHIBIT ANY USE OF PHOTOGRAPHS AS IMAGE SEQUENCES AND/OR QUASI-VIDEO
Einer der wenigen jungen Topspieler aus Deutschland: Leverkusens Florian Wirtz (rechts) (AFP)
Chatzialexiu und seine Mitarbeiter haben die Zustände in den Nachwuchsleistungszentren analysiert. Sie sind zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Faktor aus dem Verantwortungsbereich des DFB zu den Ursachen für dem Mangel bestimmter Spielertypen zählt. Die Beobachtungen hätten ergeben, dass im Fußballalltag der ambitionierten Jugendteams
"eigentlich die Misserfolgsvermeidungsstrategie im Vordergrund steht und weniger der offensive, attraktive Fußball. Das kann man auch keinem Trainer verübeln, das System zwingt sie dazu, dass sie nicht in einen Wettbewerbsnachteil kommen. Wir glauben, dass wir Wettbewerbsformen schaffen müssen, in denen die Entwicklung der Spieler im Vordergrund stehen kann."
Der Plan: Neben Wettbewerben, in denen Titel oder Auf- und Abstiege ausgespielt werden, soll es bald andere Wettkämpfe geben, in denen ohne Druck gekickt werden kann. Professionell wie im Nachwuchsleistungszentrum, aber mit der Unbeschwertheit eines Nachmittags auf dem Bolzplatz. Womöglich steht dem Alltagsbetrieb im Jugendfußball damit eine kleine Revolution bevor, die auch die Trainer betrifft. Viele Fußball-Lehrer träumen schließlich davon, über die Nachwuchsleistungszentren in den Profibereich aufzusteigen. Aber dazu müssen sie natürlich in erster Linie Erfolg haben.
Trainer als Ausbilder, weniger Ergebnisorientierung
"Wir brauchen da auch ein Umdenken, einen Paradigmenwechsel. Die Trainer werden immer wieder an den Ergebnissen gemessen. Man schaut sich immer nur die nackten Ergebnisse an, beobachtet aber nicht, wie die Trainingsarbeit war, wie der Umgang mit den Spielern ist. Das sind ganz wesentliche Punkte, die für die Entwicklung unserer Spieler von großer Bedeutung sind",
sagt Chatzialexiu, der sportliche Leiter der DFB-Nationalmannschaften. Man werde künftig darauf achten, auch andere Trainertypen auszubilden, die weniger getrieben sind vom Wunsch nach schnellem Erfolg. Trainer, die sich eher als Ausbilder von Einzelspielern und Menschen begreifen. Völlig offen ist nur, wie die Ideen aus dem derzeit ja nicht unbedingt besonders gut beleumundeten Verband in der Liga ankommen. Und ob genügend Kooperationsbereitschaft vorhanden ist.
"Wie willst du dich entwickeln, wie willst du fördern?"
Mit der Aufkündigung des einstmals erfolgreich in Deutschland praktizierten Gentlemen-Aggreements, in dessen Rahmen sich die großen Klubs keine minderjährigen Spieler gegenseitig abwarben, wurde beispielsweise großer Schaden angerichtet, sagt Eberl in seiner kleinen Grundsatzrede:
"Was auch klar ist, dass dieses ständige Wechseln in Leistungszentren innerhalb der entscheidenden Jahre mit 15, 16, 17, 18, wenn du da drei Vereine hattest: Wie willst du dich entwickeln, wie willst du fördern? Also da sitzen wir schon alle im Boot. Da sitzen die Jungs im Boot, da sitzen die Vereine im Boot, aber auch die Berater, die es eigentlich noch gar nicht geben darf für unter 18-Jährige."
Es wird spannend, ob im Geflecht der unterschiedlichen Interessen grundsätzliche Verbesserungen möglich sind. Oder ob es am Ende wie zuletzt doch vor allem darum geht, den größtmöglichen und am besten auch schnell sichtbaren Vorteil für die eigene Sache herauszuschlagen.