Stiefkind Fußverkehr
So werden unsere Städte fußgängerfreundlich

Im Schnitt stirbt jeden Tag in Deutschland ein Fußgänger bei einem Verkehrsunfall. Ein Grund: Der Fußverkehr spielt in der Stadt- und Verkehrsplanung nur eine untergeordnete Rolle. Doch es gibt Ansätze, den Verkehr fußgängerfreundlicher zu machen.

    Eine Person läuft über einen Zebrastreifen.
    Immer wieder werden Fußgänger auf Zebrastreifen angefahren. (IMAGO / Michael Gstettenbauer)
    Selbst wenn man mit dem Auto irgendwo hinfährt, legt man einen Fußweg zurück. Man muss erst zum Auto laufen und dann vom Parkplatz zum eigentlichen Ziel. Und auch sonst wird jeder dritte Weg per pedes zurückgelegt. Doch Fußgänger leben gefährlich: Unfälle, bei denen sie verletzt oder sogar getötet werden, geschehen jeden Tag zu Dutzenden.

    Wie gefährlich ist es, zu Fuß zu gehen?

    „Der Pkw ist der größte Feind des Fußgängers und der Fußgängerin“, sagt Michael Müller-Görnert vom Verkehrsclub Deutschland (VCD). Alle 18 Minuten komme ein Fußgänger bei einem Verkehrsunfall zu Schaden. Im Schnitt sterbe jeden Tag ein Fußgänger im Straßenverkehr.
    Laut Statistischem Bundesamt wurden 2024 insgesamt 397 Fußgänger bei Unfällen auf deutschen Straßen getötet. Die Zusammenstöße finden laut Müller-Görner oft an Zebrastreifen und zugeparkten Kreuzungen statt. Aber auch, weil Autos auf Gehwegen parkten und Fußgänger auf die Straße ausweichen müssten, komme es zu Crashs.

    Vor welchen Problemen steht der Fußverkehr in Deutschland?

    Einer der Gründe für die hohe Unfallgefahr ist, dass Fußgängern in Städten oft nur wenig Platz eingeräumt wird. Bei der Verkehrsplanung fiel der Fußverkehr jahrzehntelang hinten runter – der Autoverkehr war das Maß aller Dinge. Hinzu kommt: Gerade in historischen Innenstädten sind die Gehwege oft sehr schmal. Durch falsch abgestellte E-Scooter und Fahrräder wird es noch enger. Aber auch Postkästen, Ladesäulen, Parkuhren, Werbetafeln und Mülltonnen rauben Fußgängern Platz.
    Bei der Planung des Verkehrsflusses ziehen Fußgänger ebenfalls häufig den Kürzeren. Ampelphasen sind teilweise so knapp bemessen, dass es schwierig ist, die Straße rechtzeitig zu überqueren – besonders für Menschen mit Geheinschränkungen oder Personen mit Kindern. Außerdem variiert die Qualität der Bürgersteige stark, besonders dort, wo Hausbesitzer selbst für den Gehweg zuständig sind. Split oder Kopfsteinpflaster können für Menschen mit Rollator, Rollstuhl oder Kinderwagen zu Hindernissen werden.

    Welche Ansätze gibt es, den Fußverkehr zu stärken?

    • Gegen Ende ihrer Amtszeit Anfang 2025 verabschiedete die Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) eine nationale Fußverkehrsstrategie. Sie sollte mit dazu beitragen, den Fußverkehr als gleichwertige und gleichberechtigte Verkehrsart anzuerkennen und die Verkehrssicherheit zu erhöhen.
    • Die abgelöste Ampel-Regierung verfolgte auch das Ziel einer „Vision Zero“, also die Reduktion der Zahl von Verkehrstoten auf null. Der Verkehrsclub Deutschland und andere Interessensvertreter fordern dazu unter anderem die Einführung eines Tempolimits von 30 Stundenkilometern innerorts.
    • Eine weitere Möglichkeit sind bauliche Veränderungen: In der Stadt Mainz etwa wurde der Straßenraum neu aufgeteilt, sodass Radfahrer und Fußgänger mehr Platz haben. Aachen führte extrabreite „Premium-Fußwege“ ein. In Göttingen ist die Innenstadt weitgehend autofrei und der öffentliche Nahverkehr bewegt sich dort im Schritttempo.
    • Die Initiative "Berlin autofrei" will die Berliner Innenstadt nahezu autofrei gestalten. Fast alle Straßen innerhalb des S-Bahn-Rings sollen demnach zu "autoreduzierten Straßen" erklärt werden. Private Autofahrten sollen pro Person nur zwölfmal im Jahr möglich sein. Ausnahmen von dem faktischen Autoverbot soll es nach Vorstellung der Initiative für Menschen mit Behinderung, Polizei, Rettungsdienst, Feuerwehr, Müllabfuhr, Taxen sowie Wirtschafts- und Lieferverkehr geben. Das gilt auch für Busse. Die Initiative will ein Volksbegehren in Berlin durchführen. Dafür muss sie binnen vier Monaten 170.000 Unterschriften von Berlinern sammeln. Der Senat wollte das Vorhaben für nicht zulässig erklären, da er Grundrechte verletzt sah. Der Berliner Verfassungsgerichtshof erklärte den Antrag zur Einleitung des Volksbegehrens für zulässig und widersprach damit der Einschätzung des Senats.

    Was würde eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Tempo 30 in Städten bringen?

    Die finnische Hauptstadt Helsinki hat die „Vision Zero“ – also die Reduktion der Zahl von Verkehrstoten auf null – bereits erreicht. Neben verschiedenen baulichen Maßnahmen wurde dort ab 2018 die Höchstgeschwindigkeit auf 30 Stundenkilometer festgesetzt.
    Aber auch in Deutschland können Kommunen innerorts die Höchstgeschwindigkeit auf unter 50 Stundenkilometer begrenzen. Mainz beispielsweise hat in der Altstadt die gesetzlichen Möglichkeiten für Tempo 30 ausgeschöpft. Außerdem wurde der Straßenraum neu aufgeteilt, um Fußgängern mehr Platz zu schaffen.
    Die größte Sorge in Bezug auf Tempo 30 ist, dass der Verkehr in der Stadt nur noch sehr schleppend vorankäme. Eine Untersuchung des Umweltbundesamtes kommt aber zu dem gegenteiligen Schluss. Wenn in einer Stadt Autos nicht mehr schneller als 30 Stundenkilometer fahren können, verbessert das sogar den Verkehrsfluss.

    Warum kommt dem Fußverkehr in der Verkehrsplanung nur eine geringe Bedeutung zu?

    Historisch war der Straßenraum stark auf den Autoverkehr ausgerichtet. Fußgänger wurden an den Rand gedrängt, während breite Fahrbahnen und reibungsloser Verkehrsfluss Priorität hatten. Diese Ausrichtung wirkt bis heute nach.
    Politisch zeigt sich die geringe Priorisierung unter anderem am Budget: Die Fußverkehrsförderung der Bundesregierung belief sich 2024 auf lediglich 2,5 Millionen Euro – ein Bruchteil dessen, was beispielsweise Österreich ausgibt.
    Marius Gerads