
Köln, Berlin oder München: Viele Städte in Deutschland versuchen, den Autoverkehr zu reduzieren – um das Zentrum oder Stadtviertel klimaresilienter zu machen, die Luftqualität zu verbessern, Raum für Grün und mehr Schatten zu schaffen. Oder um die Sicherheit von Fußgängern und Radfahrern zu verbessern.
Zentrale Maßnahmen dabei: Verkehrsberuhigung und der Rückbau von Parkplätzen für Bepflanzung oder für Sitzplätze der Gastronomie. Dabei kommt es häufig zu Kritik und Ablehnung. Doch können solche Maßnahmen durchaus auch zu Zufriedenheit und Erfolg führen – wenn die Städteplaner einige wichtige Aspekte berücksichtigen.
Welche Reaktionen rufen Verkehrsberuhigungsprojekte häufig hervor?
Veränderungen im öffentlichen Raum – besonders bei Parkplätzen oder im Autoverkehr – führen häufig zu sehr emotionalen Reaktionen, bei Befürwortern wie auch Gegnern der jeweiligen Maßnahme. Auch bilden sich “Lager”, was einen sachlichen Austausch von Argumenten und eine differenzierte Debatte über Vor- und Nachteile behindert oder sogar unmöglich macht.
Ein Beispiel dafür sind die Konflikte in München um das Projekt in der Weißenburger Straße. Für ein Jahr durften dort allein Lieferanten und Anwohner die Straße mit Autos nutzen – und dies nur vormittags. Zu allen anderen Zeiten war der Straßenraum Passanten und Radfahrern vorbehalten. Georg Dunkel von der Münchner Verkehrsplanung hält seine Erfahrungen fest: “wahnsinnig emotional”.
Ähnliche Eindrücke schildern Anwohner in Köln Deutz, als es dort darum ging, die Deutzer Freiheit in eine Fußgängerzone umzuwandeln.
Verkehrsberuhigungsmaßnahmen stoßen oft auf Ablehnung und sogar Proteste von Anwohnern, Handwerkern und Geschäftsleuten vor Ort. Im Extremfall kommt es zu Klagen gegen die Stadt durch Bürger. Es gibt zwei Hauptgründe:
Verkehrsberuhigungsmaßnahmen stoßen oft auf Ablehnung und sogar Proteste von Anwohnern, Handwerkern und Geschäftsleuten vor Ort. Im Extremfall kommt es zu Klagen gegen die Stadt durch Bürger. Es gibt zwei Hauptgründe:
Anwohner fürchten steigende Mieten und Geschäftsleute fürchten Umsatzeinbußen, wenn Parkplätze für Kunden wegfallen oder für Lieferanten keine Ladeflächen mehr zur Verfügung stehen.
Wie kann man die Ängste von Anwohnern und Geschäftsleuten ausräumen?
Die Möglichkeiten umfassen im Wesentlichen drei Bereiche: Erstens Kommunikation und frühzeitige Einbindung der Anwohner, zweitens Probephasen und richtige Zeitplanung sowie schließlich drittens eine ansprechende Gestaltung.
Kommunikation
Verkehrsplaner müssten mit den jeweiligen Zielgruppen und den Anwohnern in den Austausch treten, um Sorgen und Ängste von Anfang an zu berücksichtigen, sagt Georg Dunkel. Auch sollten Vertreter der Stadt direkt auf Anwohner zugehen. Informationsveranstaltungen allein reichen nicht aus, weil viele Bürger gar keine Zeit hätten, die zu besuchen – und weil nicht alle Gruppen damit erreichbar sind. Daher sollten vorab verschiedene Formate eingesetzt werden: Onlineformate, Social Media, Hotlines, Feste oder eben Veranstaltungen vor Ort, damit Bürger mit der Verwaltung ins Gespräch kommen können.
Außerdem wichtig: ein klares Erwartungsmanagement, sagt Uta Bauer vom Deutschen Institut für Urbanistik. Also vorab kommunizieren: An welchen Entscheidungen können sich Anwohner beteiligen? Können sie die Maßnahme auch insgesamt infrage stellen? Wird eine Befragung und Auswertung stattfinden?
Verkehrsveränderungen funktionierten allein dann, wenn die Bedürfnisse aller Betroffenen berücksichtigt würden, betont Dunkel. Ein Beispiel: München arbeitet immer häufiger mit einer sogenannten Drei-L-Zone. Das steht für “laden – liefern - leisten”. Diese Zonen stehen also auch Handwerkern und Anlieferern zur Verfügung.
Testläufe
Testphasen sorgen für mehr Akzeptanz bei Anwohnern und Betroffenen. So hat beispielsweise die Stadt Rotterdam mit Probeläufen gearbeitet, als sie verkehrsberuhigte Phasen geschaffen hat. Die Verkehrsplaner gingen schrittweise vor, ersetzten einzelne Parkplätze mit Fahrradabstellmodulen in Größe und Form eines Autoparkplatzes, zunächst in zwei bis drei Straßen.
Solche Probeläufe können zeigen, dass die Folgen besser sind, als gerade von Geschäftsleuten gefürchtet, bestätigt auch Uta Bauer. Und sie zeigen auch, an welchen Stellen Verkehrsberuhigung tatsächlich nicht funktioniert, beispielsweise in der Friedrichstraße in Berlin. Dort seien die Gegenargumente so stark gewesen, dass das Projekt nicht zu halten war.
Der Nachteil an Testphasen: Sie binden viele Ressourcen und sind aufwendig. Nachdem Erfahrungen aus Probeläufen gesammelt wurden, müsse eine Stadt deshalb Umgestaltungsmaßnahmen auch ohne diese angehen können. Das bedeutet also auch: Lernbereitschaft in der Verwaltung.
Zeitplanung und Gestaltung
Wichtig ist der Zeitpunkt, an dem eine Verkehrsberuhigungsmaßnahme einsetzt: Im Sommer ist die Akzeptanz höher als im Winter, wenn bei Schnee, Regen und Kälte Menschen eher wenig flanieren oder Rad fahren wollen.
Begrünungsmaßnahmen brauchen zudem eine Weile, bis sie ihren Effekt entfalten: Frisch gepflanzte Büsche, Bäume oder neu angelegte Blumenbeete sehen zunächst eher unscheinbar aus und spenden noch wenig Schatten. Hier ist wichtig, den langfristigen Wert solcher Maßnahmen zu verdeutlichen.
Schließlich ist die Qualität der Gestaltung wichtig. Das bedeutet ein ansprechendes Gestaltungsdesign mit Wiedererkennungswert. Ein Beispiel dafür ist Barcelona, wo viele Viertel umgestaltet wurden. Dabei waren Architekten, Landschaftsplaner, Verkehrsplaner beteiligt, ein interdisziplinäres Team, das jedoch eine einheitliche Designsprache geschaffen hat.
Sind die Vorbehalte gerechtfertigt – Was zeigen die Erfahrungen?
Die Umwandlung in eine Fußgängerzone sorgt für steigende Mieten, sagt Georg Dunkel. Die Aufwertung durch die Verkehrsberuhigung – mehr Ruhe, bessere Luft, weniger Unfälle, insgesamt mehr Lebensqualität – könne also zu Gentrifizierung führen und Verdrängungseffekte verstärken.
Dazu kommt: Häufiger finden solche Maßnahmen in wohlhabenden Nachbarschaften statt, sagt die Soziologin Sarah George vom Wissenschaftszentrum Berlin – also dort, wo Menschen mit höherer Bildung, höheren Einkommen wohnen und Mietpreise dementsprechend im Durchschnitt höher sind. Daher bieten Verkehrsberuhigungsmaßnahmen durchaus auch “potentiellen, sozialen Sprengstoff”.
Wichtig sei daher, Verkehrsberuhigungsmaßnahmen sozial abzufedern – durch Schutz vor steigenden Mieten, faire Parkregelungen und indem Anwohner eben mit ihren Bedürfnissen in die Projekte miteingebunden werden.
Für die Einzelhändler zeigt sich: Meist profitieren sie von der Verkehrsberuhigung, ihre Umsätze erhöhen sich. Eine Fußgängerzone entschleunigt, führt auch zu höheren Fußgängerfrequenzen, Passanten nehmen Geschäfte und Schaufenster mehr wahr.
Die Situation kleiner Geschäftsinhaber ist oft prekär, die risikobereitschaft entsprechend gering: In den vergangenen Jahren waren gerade sie von Umsatzeinbußen betroffen. Dies liegt allerdings weniger an fehlenden Parkplätzen, sondern an der Konkurrenz durch den Onlinehandel, an Personalmangel, oder daran, dass sich für kleine Geschäfte oftmals keine Nachfolger finden.
csh